Tichys Einblick
Festnahme in London

Assange: Der Haftbefehl kam aus den USA

Fast sieben Jahre dauerte das Aysl von Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London. Unter merkwürdigen Umständen wurde es jetzt gebrochen. Keineswegs waren es Vorwürfe aus Schweden, die zur Festnahme des Wikileaks-Gründers führten. Der Haftbefehl kam vielmehr aus den USA.

Jack Taylor/Getty Images

Mehr als sieben Jahre lang kam die einzige offizielle Anklage, die gegen Julian Assange vorlag, aus Schweden. Wegen des auf verdächtige Weise nebulös wirkenden Vorwurfs der Vergewaltigung sollte er in Stockholm vor Gericht erscheinen. Doch der Gründer der Enthüllungs-Plattform Wikileaks ist blendend informiert. Er wusste genau, wer ihn ebenfalls um jeden Preis vor Gericht sehen wollte – und will: die Justizbehörden der USA. Und genau diese Gefahr einer Auslieferung über den Atlantik war es, die Assange im Juli 2012 veranlasst hatte, in die Botschaft Ecuadors zu flüchten und so lange dort auszuharren.

Und nun ist er in Handschellen abgeführt worden. „UK must resist!“ rief er auf dem nur wenige Meter langen Weg vom Botschaftsgebäude zum Fahrzeug der Londoner Polizei. Doch seine Auslieferung dürfte kaum zu verhindern sein. Ungewöhnlich sind indes die Umstände der Verhaftung. Die Londoner Polizei teilte mit, der Botschafter Ecuadors habe sie in die Botschaft „eingeladen“. In Großbrtannien drohen ihm bis zu 12 Monate Haft, weil er sich nicht an gerichtliche Auflagen gehalten hat. Gegen seine mögliche Auslieferung will er kämpfen, und das könnte bis zu drei Jahre lang dauern, wie seine Anwälte mitteilten. Welche Anklagepunkte letztendlich gegen ihn zugelassen werden, ist offen. Assange kann nur abwarten.

Bleibt die Verhaftung. Die verlief insoweit ungewöhnlich, als Ecuador damit geltendes Recht selbst aufgegeben hat. Präsident Lenín Moreno betont denn auch, kaum dass Assange verhaftet war, auffällig deutlich, er habe souverän gehandelt. Und keinesfalkls auf Druck von irgendeiner Seite. Aufmerken lässt auch, was aus der Botschaft ergänzend verlautete. Demnach hat sich Assange in den Räumen der Botschaft mehrfach nicht an die geltenden Regeln gehalten. Da ist von manipulierten Überwachungskameras die Rede, von Auseinandersetzungen mit Wachleuten, von Unfreundlichkeiten – nun, wir waren nicht dabei, aber das klingt ein wenig an den Haaren herbeigezogen. Wenn Moreno wirklich eigenständig gehandelt hat, bedürfte er dieser Erklärversuche nicht.

Warum Moreno Assange loswerden wollte

Interessant wird es in folgendem Punkt: Zu den Hausregeln in der ecuadorianischen Botschaft gehört es auch, sich nicht in die Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen. Und die Veröffentlichung neuer Papiere aus dem Vatikan auf Wikileaks im Januar, an der Assange direkt beteiligt gewesen sein soll, wird nun als Grund für das aprupte Ende des Botschaftsasyls genannt. Wichtiger als der Vatikan ist aber möglicherweise Ecuador selbst. Präsident Moreno sieht sich mit Vorwürfen der Korruption und der Tätigung illegaler Geschäfte gegen Mitglieder seiner Familie konfrontiert. Es geht um die sogenannten INA-Papers, die einem ecuadorianischen Abgeordneten aus dem Wikileaks-Umfeld zugespielt wurden. Das wäre einerseits nicht zu kritisieren, wenn es denn die Wahrheit ist, andererseits hätte Assange gewissermaßen die Hand gebissen, die ihn fütterte – wobei dieser Vorgang mitnichten als geklärt angesehen werden sollte.

Was hingegen klar ist: Assange wurde vom ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa in die Londoner Botschaft eingeladen, der 2012 amtierte. Correa war ein Linkspopulist, ein Freund des venezoelanischen Machthabers Nicolás Maduro. Doch die Wähler in Ecuador haben sich vom Sozialismus verabschiedet, und Correas Nachfolger Moreno kommt aus dem eher bürgerlichen Lager. Die Sympathien für Assange halten sich in Grenzen, und unbeschadet der Frage, ob Moreno und seine Familie belastet sind: einem Botschaftsasyl war die Grundlage jedenfalls entzogen.

Doch Spekulationen rund um die ecuadorianische Innenpolitik treten jetzt in den Hintergrund – die Botschaft von Ecuador ist für Assange Geschichte, und dieser ist es für den Botschafter. Es erweist sich jetzt vielmehr, dass Assange richtig vermutete, von den Justizbehörden der USA aufgrund neuer Enthüllungen seiner Wikileaks-Plattform verfolgt zu werden. In diesem neuen Fall geht es um Papiere aus dem Wahlkampf des heutigen US-Präsidenten Donald Trump, die im Zusammenhang mit Kontakten des Trump-Teams stehen. Und nun, plötzlich, macht die US-Justiz kein Geheimnis mehr aus ihrem Auslieferungsantrag für Assange – bisher war der sorgfältig geheimgehalten worden. Die britische Polizei bestätigte jetzt die Existenz dieses Antrags.

Ein dunkler Moment für die Internetfreiheit

Den Status eines Asylsuchenden zu entziehen, ist eine Sache. Auch ein Ultimatum, wann das Haus zu verlassen ist, kann ein Hausherr aussprechen. Die Einladung an die Polizei dagegen bedeutet, dass Ecuadors Präsident Moreno de facto die diplomatische Immunität seiner Botschaft in London aufgegeben hat. Und solch ein Schritt erscheint schwer vorstellbar ohne erheblichen politischen Druck an anderer Stelle. Wie eine müde Ausrede wirkt es angesichts dessen, wenn Moreno verlauten lässt,  die britische Regierung habe schriftlich zugesagt, Assange nicht an ein Land auszuliefern, in dem ihm Folter oder die Todesstrafe drohten.

Nun gut – was Assange vorgeworfen wird, ist kein Delikt, für das die Todesstrafe denkbar ist. Auch in den USA nicht. Daher ist der Verweis auf Folter und Todesstrafe „weiße Salbe“ – was Assange droht, sind bis zu 45 Jahre Haft, wobei hier zumindest Hoffnung auf vorzeitige Freilassung besteht, wie der Fall von Bradley Edward Manning beweist. Dieser Mitstreiter, der sich inzwischen als Frau fühlt und den vornamen Chelsea nutzt, wurde 2017 freigelassen. Er, der heute als Frau angesprochen werden möchte, war zu 35 Jahren Haft verurteilt und nach vier Jahren aus der Haft entlassen worden.

Was der Fall Manning mit Assange zu tun hat

Doch genau der Fall Manning hätte, richtig verstanden, als Vorzeichen dafür verstanden werden können, was passieren würde. Seit dem 8. März ist diese schillernde Figur mit Geheimnisverrats-Hintergrund wieder in Haft, weil er oder sie nicht mit einer geheim tagende Grand Jury kooperieren wollte und will. Und was die Jury wissen will, sind exakt die Vorgänge ab 2010, die Assange betreffen. Diese Beugehaft gegen Manning, die möglicherweise im Zusammenhang mit den Vorbereitungen für den Haftbefehl gegen Assange erlassen wurde, könnte bis zu zwei Jahre lang sein, eine Extrastrafe wegen Kooperationsunwilligkeit inclusive.

So wirft der ganze juristische und politische Komplex die Frage auf, wieviel Freiheit im Internet erlaubt sein soll. Und vielen Menschen geht es dabei längst um die Freiheit generell. Das ist der Hintergrund, warum der Fall Assange die enorme weltweite Aufmerksamkeit erfährt, nach wie vor. Und mit seiner Verhaftung ging ein Stück dieser Freiheit verloren, so zuminest fühlen es viele Menschen. Assange hat viel verloren, vielleicht bereits den Kampf um seine persönliche Freiheit. War schon das Asyl in der Botschaft am ehesten ein selbstgewählter Hausarrest, so stehen nun, falls die auslieferung wegen unterschiedlicher Delikte in die USA durchgewunken wird, viele Jahre Gefängnis für Assange auf dem Spiel. Edward Snowden, ehemaliger US-Geheimdienstmitarbeiter, sparte angesichts der spektakulären Festnahme in London nicht mit großen Worten. Zugleich hat er die Sorgen aller, die das Internet als Medium für ihre Veröffentlichungen nutzen, wohl am treffendsten auf den Punkt gebracht: „Die Bilder werden in die Geschichtsbücher eingehen. Assanges Kritiker mögen jubeln, aber dies ist ein dunkler Moment für die Pressefreiheit.”

Update am 12. April, 23.30 Uhr.

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