Obwohl der Wahlkampf um die Mandate 35 zu 35 ausging, ist einer der beiden Kontrahenten eindeutiger Sieger. Der bisherige Ministerpräsident Benyamin Netanyahu wird auch die nächsten Jahre die politischen Richtlinien Israels bestimmen, weil fünf potentielle Mitte-Rechts-Koalitionsparteien ihm eine vorläufige Mehrheit mit 67 von 120 Sitzen im Parlament garantieren (bei Redaktionsschluss waren noch nicht alle Stimmen ausgezählt).
Netanyahus fünfter Sieg ist sein größter, weil er sich gegen vier gestandene Gegner durchgesetzt hat, davon drei ehemalige, hochdekorierte Generalstabchefs und ein beliebter Ex-TV-Moderator. Die führende Presse stand in Schrift, Bild und Ton nahezu geschlossen gegen „Bibi“, wie Netanyahu von seinen Anhängern genannt wird. „Lügner, korrupt, Diktator“ gehörten noch am Wahlabend zum Umgangston der Medien, wenn von dem amtierenden Regierungschef die Rede ist. Das ist zwar Ausdruck freier Meinungsäußerung in einer offenen Demokratie, aber die Schmutzeleien haben auch vor Ehefrau und Kindern nicht Halt gemacht.
Netanyahu war sich nicht zu schade, noch am Wahltag nachmittags persönlich an den Strand zu gehen und Sonnenhungrige davor zu warnen: wenn ihr nicht wählen geht, wacht ihr morgen mit einer Links-Regierung auf. Zwei Stunden vor Schließung der Wahllokale motivierte er noch einmal seine Helfer: geht von Wohnung zu Wohnung, redet mit jedem, schickt SMS, nutzt Whatsapp und telefoniert, damit wir auch den letzten Wähler erreichen.
Entgegen Medien und Demoskopen
Zwei der drei führenden Umfrageinstitute prophezeiten dem Herausforderer Benny Gantz bis Mitternacht den Wahlsieg. Dies veranlasste den Ex-Militärmann sich in Siegerpose ablichten zu lassen und Netanyahu für seinen langjährigen Einsatz für Land und Leute großmütig zu danken. Um zwei Uhr früh betraten Netanyahu und seine Frau Sara freudestrahlend die von funkensprühenden Feuerwerkskörper erleuchtete TV-Bühne und konnten überzeugend verkünden: Likud wird die nächste Regierung bilden und „ich werde der Ministerpräsident aller Israeli sein, aller Juden und Nichtjuden, ob links oder rechts“. Von Benny Gantz und seinen Mitstreitern war bis in die Morgenstunden nichts mehr zu sehen.
Entgegen allen Voraussagen ist Moshe Feiglins „Identitäts-Partei“, die Palästinenser am liebsten deportieren will, an der 3,25-Prozent-Wahlhürde hängengeblieben. Das Scheitern dieser Partei zeigt entgegen weitverbreiteter Vorurteile: rechts von Netanyahu gibt es wenig zu ernten. Die Likud-Partei deckt das politische Spektrum weitgehend ab. Säkulare, Orthodoxe, Nationalreligiöse haben dort ebenso eine Heimat gefunden wie ein LGBT-Aktivist (Amir Ohana) und eine 25jährige arabische Israelin (Dima Tayeh), die im arabischen Fernsehen Israels Demokratie gerne lobt.
Israel ist gespalten und Netanyahu ist sicher kein Vertreter der „soft power-Bewegung“, der es allen rechtmachen will. Kein Wunder: der Judenstaat beherbergt Nachfahren aus 70 verschiedenen Ländern und unterschiedlichen Kulturen, ist Heimat dreier Weltreligionen und Wahlkampf findet in mindestens drei Sprachen, hebräisch, arabisch und russisch statt. Über allem steht der permanente aggressive Druck der arabischen Feindesländer und ihren Terrororganisationen.
Der alte und neue Ministerpräsident steht zweifellos vor einem Berg von Problemen. Eine Lösung des Nahost-Konflikts ist auch im 71. Gründungsjahr Israels in weite Ferne gerückt, Sicherheit hat Vorrang und frisst die Staatsfinanzen. Geld, das dringend benötigt wird, bezahlbare Wohnungen für Junge und Rentner zu bauen sowie für Investitionen in Bildungssystem und Infrastruktur.
Mehr Konsolidierung als Probleme
Aber der Alte und Neue hat auch eine herzeigbare Leistungsbilanz: in seiner zehnjährigen Amtszeit ist das Land sicherer geworden. 18 Terrortote 2018 sind 18 zuviel, aber ein deutlicher Rückgang gegenüber den Terrorjahren 2000-2003. Neben besten Beziehungen zu Trumps USA und gepflegten Kontakten zu Russlands Putin (12 Treffen seit Sept 2015) hat der internationale Netzwerker Netanyahu Freundschaft mit den volk- und einflussreichen Großstaaten Indien und Brasilien geschlossen sowie mit einer Vielzahl afrikanischer und mittelamerikanischer Schwellenländer.
Großes Interesse in den letzten zwei Jahren haben Netanyahus Besuche in Muslim-Staaten wie Oman und Kontakte zu UAE und Saudi-Arabien gefunden. Parallel dazu äußern sich immer mehr arabische Politiker wie zuletzt der UAE-Aussenminister Anwar Gargash positiv über Israel. Dies erlaubt den Rückschluss: ohne Israel geht in Nahost nichts, mit Israel fast alles.
Die BDS-Bewegung versucht seit 2005 Israel mit Boykott, Deinvestment und Sanktionen zu belegen. Die Initiatoren können ihren Laden eigentlich schließen: Israel hat seither sein Bruttosozialprodukt verdoppelt. Im Land herrscht quasi Vollbeschäftigung und jedes Jahr investieren Weltkonzerne und auch Mittelständler Milliarden in start-ups rund um Tel Aviv: 2018 über sechs Milliarden US-Dollar, Tendenz zunehmend (Quelle: sncentral.org). Die Bedeutung dieser Zahl wird klar, wenn man die Vergleichszahl Deutschlands, das zehn Mal größer ist, gegenüberstellt: vier Milliarden (Quelle: Atomico).
Und ein aber
Politisch ist Netanyahu schwer beizukommen. Aber er hat eine Achillesverse. Der Staatsanwalt ermittelt gegen ihn wegen dreier vermuteter Korruptionsfälle. Ob der zehnte Ministerpräsident Israels 2019 politisch überlebt, entscheiden seine Rechtsanwälte und das Gericht in Jerusalem. Im Herbst, im Umfeld des jüdischen Neujahrsfestes, Rosh Hashanah 5780, werden wir mehr wissen.