Die wichtigsten westlichen Demokratien – USA, Frankreich, Großbritannien – stecken in der Krise. Es sind Parteiendemokratien, aber ihre Parteien bilden die vom technologisch-ökonomischen Wandel der Welt hervorgerufenen Umwälzungen nicht mehr ab und haben den wachsenden Bedrohungen nichts entgegenzusetzen. In Großbritannien strangulieren sich die etablierten Kräfte gegenseitig ins Koma. In anderen Ländern wie in Macrons Frankreich versuchen „Bewegungen“ die Kluft zu schließen. Trump in den USA oder auch Kurz in Österreich haben sich etablierte Parteien gekapert. Überall, links wie rechts, sind sogenannte Populisten im Aufwind, was aber nichts anderes heißt, als dass sich gegen die etablierten Eliten gerichtete Kräfte formieren. Nur Deutschland geht noch immer einen Sonderweg. Weshalb?
I.
Ist Deutschlands Gesellschaft womöglich weniger tief gespalten? Die größte Partei beendet den Zerfall scheinbar mit drei Buchstaben – AKK – als wäre alles nur eine simple Führungsfrage. Die SPD wird zwar marginalisiert, weil sie die Bedürfnisse ihrer ehemaligen Stammwähler ignoriert, aber die linke Bewegung der Sahra Wagenknecht ist schon zu Ende, ehe sie überhaupt richtig erwacht ist. Nicht wenige Deutsche glauben gar an eine Renaissance der Volksparteien. Vielleicht kommt ja auch Kaiser Barbarossa wieder und bringt Deutschland in Ordnung. Weshalb also haben neue Kräfte, haben Bewegungen in Deutschland keine Chance?
II.
Sicher, eine Antwort lautet: Den (meisten) Deutschen geht es noch immer verhältnismäßig gut. Sie zehren ihre beträchtliche Substanz ohne Geschwindigkeitsbegrenzung auf. Deshalb ist das wankende Selbstbewusstsein noch nicht im Sein angekommen. Das kann sich rasch ändern.
III.
Eine zweite Antwort ist wohl in der besonderen Mentalität der Deutschen zu finden. Sie sind – und das wiederum liegt an ihrer maßlos langen obrigkeitsstaatlichen Tradition – in einer noch immer übermäßig ausgeprägten Staatsgläubigkeit gefangen. Trotz multiplen Staatsversagens – Energiewende, Migrationskrise, Bildungskatastrophe, Mobilitätsdesaster – traut die Mehrheit der Regierung zu, die Dinge zu regeln. Der Grad der Politisierung ist noch immer vergleichsweise gering. Es ist Biedermeier. Das erste Biedermeier aber war Vormärz – wenn dann auch die Märzrevolution kläglich scheiterte und die Diktatur der herrschenden Eliten nur festigte. In der gescheiterten Achtundvierziger-Revolution liegt der Urgrund für die folgenden Tragödien der deutschen Geschichte. Wiederholt sich die Geschichte – wenn auch als Farce?
IV.
Die dritte Antwort zeigt die besondere deutsche Dialektik in der Großkrise unserer Tage. De facto gibt es – außer der ideologisch kontaminierten AfD – nur eine Partei, die in sich nicht gespalten ist. Es sind die Grünen. Genau deshalb befinden sie sich im Höhenrausch. Sie könnten sogar die Unionsparteien überflügeln, in Berlin, in Baden-Württemberg sind sie bereits Nummer eins. Die Grünen haben Eigenschaften einer Bewegung, einer Sammelbewegung jenseits der Parteien. Doch was genau sammelt sich da? Es ist gerade der Mangel an Liberalität, es ist die Regulierungswut, der volkspädagogische Anstrich, das autoritäre Staatsverständnis der Grünen, das auf bürgerlich-konservative Wähler so attraktiv wirkt. Die Grünen sind eine reaktionäre Partei. Deshalb kommen sie so gut an.
V.
Auch dafür stehen die Grünen: Die Mehrheit der Deutschen hat die Utopie noch immer der Realität vorgezogen. Der deutsche Bürger nennt sich mittlerweile nur noch Mensch und will die ganze Welt umarmen, beziehungsweise wach küssen. In Wahrheit sucht er nur Frieden mit sich selbst. Weil er den nicht finden kann, rettet er hilfsweise die Menschheit. Darunter macht er es nicht.
VI.
Und dazu noch Staatsschauspieler Robert Habeck. Keine Bewegung kommt ohne charismatischen Führer aus. Er gilt als Verkörperung des vernünftigen Staates. Als moralische Instanz – ein seit Hegel verhängnisvolles preußisch-deutsches, also auch sehr romantisches Missverständnis. Die Vorstellung eines Kanzlers Habeck schreckt den Bürger nicht. Denn der verkörpert den Traum vom guten Führer.
VII.
Und weshalb sollten die Bürger CDU oder SPD oder FDP wählen, wenn die sich Schritt für Schritt dem grünen Irrsinn anpassen, und sei es nur, um sich Machtoptionen zu sichern? Auch das war schon immer so: Im Zweifel wählt der Bürger das Original.