Laut Bundesdrucksache 19/3051 sind beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) allein über 300 Mitarbeiter einer „Dublin-Gruppe“ damit beschäftigt, die Rückverteilung von sich illegal in Deutschland aufhaltenden Migranten in die EU-Ersteinreiseländer zu organisieren.
Allerdings mit äußerst mäßigem Erfolg, wenn nur etwas mehr als zehn Prozent der deutschen Dublin-Ersuchen erfolgreich in einer vorläufigen Überstellung münden. Wann und wie viele der Überstellten dann erneut illegal nach Deutschland zurückkommen, ist unbekannt. Hinzu kommt, dass bereits bei der Zusammenstellung der Dublin-Ersuchen ein Großteil gar nicht gelistet wird in Ermanglung echter Erfolgaussichten.
Es ist einer kleinen Anfragen der linken Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke zu verdanken, dass Licht ins Dunkel kommt und die Bundesregierung eine Reihe unangenehmer Fragen beantworten muss. So antwortete die Bundesregierung der Abgeordneten, dass von Januar bis November 2018 in Deutschland 151.944 neue Asylanträge gestellt wurden. Davon seien für gut ein Drittel Übernahmeersuchen (ÜE) an die EU-Mitgliedstaaten gestellt worden.
Was mit den anderen zwei Dritteln ist? Ein weiteres Drittel kommt mittlerweile per Flugzeug aus dem außereuropäischen Ausland nach Deutschland. Grundsätzlich ist diese Zuwanderung „illegale Migration auf dem Luftweg nach Deutschland“. Die Behörden wissen das allerdings nicht etwa, weil es an Flughäfen bei den Einreisekontrollen so ermittelt wurde. Nein, die Zahlen sind das Ergebnis lückenhafter späterer Befragungen der Migranten zu Reisewegen.
Woher sie ihre Visa haben, welche Visa das sind, wer sie eigentlich ausstellt, von wo aus sie nach Deutschland starten und wie überhaupt beim Abflug kontrolliert wird – all das bleibt im Nebel.
Was also über Jahrzehnte leidlich funktionierte, nämlich eine sorgfältige und engmaschige Ermittlung von Einreisegründen und die im Zweifelsfalle sofortige Festsetzung in die Abschiebehaftbereiche der Flughäfen, scheint nach aktueller Rechtsauffassung nicht mehr möglich bzw. wird behördlicherseits nicht stringent genug möglich gemacht.
Mindestens ein Drittel der eingangs genannten über einhundertfünfzigtausend Migranten ist also nach Dublin-Vereinbarung illegal in Deutschland und müsste in ein EU-Einreiseland rücküberstellt werden. Ein weiteres Drittel kommt per Flugzeug ins Land ohne dass die Einreise abschlägig entschieden werden würde. Dabei haben die Behörden gerade in Flughäfen eine Reihe von Möglichkeiten, diese neue Einwanderungsroute nachhaltig abzudichten, wenn sich bis in die Herkunftsländer herumsprechen würde, dass es alles andere als leicht ist, an deutschen Flughäfen zum Zwecke der Daueraufenthaltserschleichung erfolgreich einen Asylantrag zu stellen.
An deutschen Flughäfen besteht nämlich theoretisch nach wie vor die Möglichkeit zu Schnellverfahren in geschlossenen Transitbereichen ohne Einreisemöglichkeit. Asylanträge könnten hier nach dem Unverzüglichkeitsgrundsatz binnen Stunden oder wenigen Tagen entscheiden werden.
Aber die Zahlen der Einfliegenden sind ein Indiz dafür, dass es sich längst in den Herkunftsländern herumgesprochen hat: „Das Flughafenverfahren wird nur an Flughäfen umgesetzt, die Asylsuchende auf dem Flughafengelände unterbringen können. Dies gilt derzeit für die Flughäfen Berlin-Schönefeld, Düsseldorf, Frankfurt/Main, Hamburg und München.“ Nimmt der illegal einreisende dann einfach einen anderen Flughafen?
Geeignete abweisende Informationskampagnen in Flughäfen der Herkunftsländer könnten großflächige Plakathinweise der Bundesregierung sein, die die Chancenlosigkeit dieser illegalen Einreise in einfachen Worten erklären könnten. Dafür allerdings müsste diese Form der Einwanderung aber chancenlos bleiben. So unterlässt man auch solche faktisch sinnlosen Warnhinweise.
Halten wir fest: Ein Drittel der Antragsteller ist also illegal per Flugzeug eingereist, ein weiteres Drittel wurde bereits in einem anderen EU-Land (Dublin-Regel) registriert und das verbleibende Drittel hat sich beispielsweise erfolgreich vor so einer Registrierung drücken können, besitzt keinen Ausweis und wurde auch nicht im europäischen Fingerabdruckverfahren registriert. Willkommen also in Deutschland.
Aber zurück zur Beantwortung der kleinen Anfrage von Ulla Jelpke durch die Bundesregierung. Am Beispiel Griechenlands wird hier besonders deutlich, warum die Rückführung der Dublinfälle so schleppend funktioniert, wenn unglaubliche 97 Prozent der Anträge der Bundesregierung an Griechenland abgelehnt werden und dann auch noch die wenigen zugestandenen Fälle nicht ausreisen, weil trotz Aufnahmebereitschaft die Umsetzung der Ausreise schon in Deutschland scheitert.
Die Bundesregierung teilt der Abgeordneten Jelpke mit, dass von den wenigen akzeptierten Überstellungen nach Griechenland gerade einmal sechs Personen tatsächlich dort angekommen sein sollen. Ob sich diese Rückgeführten bereits wieder in Deutschland oder wo überhaupt befinden, ist nicht bekannt. Zweifellos ersichtlich ist allerdings, dass diese Leute schon echtes Pech gehabt haben oder sich verdammt ungeschickt angestellt haben müssen. Denn als Illegaler legal in Deutschland bleiben zu dürfen, gelingt heute fast jedem, hier zu scheitern, wäre tatsächlich Scheitern auf ganzer Linie.
Warum die deutschen Behörden so hilf- und machtlos agieren, macht eine weitere Antwort der Bundesregierung wieder am Beispiel Griechenlands deutlich, wenn obendrauf noch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Rückführung der Dublin-Fälle von Deutschland nach Griechenland erschwert, wenn darin eine Verletzung des „Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention“ erkannt wird insbesondere für so genannte „vulnerable (verletzliche) Personengruppen“.
So stellt die europäische Kommission also fest, dass die in Griechenland für Schutzsuchende herrschenden Lebensverhältnisse ein Ausschlussgrund für Rückführungen sein könnten.
Das muss man sich einmal vorstellen: Der EU-Mitgliedsstaat Griechenland wird von der EU-Kommission faktisch für bestimmte Personengruppen von Zuwanderern als nicht sicher eingestuft. Die EU-Kommission betrachtet Griechenland also faktisch als partiell nicht sicheren Herkunftsstaat (Herkunft hier im Sinne von EU-Einreiseland nach D).
Oder noch kürzer gesagt: Wer es erst einmal von woher auch immer irgendwie nach Deutschland schafft – und die Wege sind vielfältig ¬– der kann ziemlich sicher sein, dass sein langfristiger Aufenthalt samt aller angebotenen finanziellen und medizinischen Versorgungsleistungen gesichert ist.
Und sollte die Bundesregierung doch einmal ernsthaft nach geltendem EU-Recht rückführen oder abschieben wollen, dann können sich die Anwälte der von Rückführung oder Abschiebung Bedrohten jetzt auf die EU-Kommission berufen, die die notwendigen Argumente nachgeliefert hat, die dann vor deutsche Gerichten Bestand haben dürften. Und wenn es wider Erwarten immer noch haken sollte, dann liefert eben die UN mit Umsetzungsbegehren bezüglich ihrer Flüchtlings- und Migrationspakte die passenden rechtsverbindlichen Antworten.
Die Bundesregierung will zu alldem ihre Hände in Unschuld waschen. Aber kann sie wirklich darauf hoffen, dass vom Bürger restlos vergessen wird, wo die eigentlichen Baumeister dieses Staatversagens sitzen?
Während dieser Text hier entsteht, sendet Ulla Jelpke per Email ein Update zur Lage. Der Politikerin der Linken sind sogar die 9209 vollzogenen Dublin-Überstellungen noch zu viel. Sie befindet „erhebliche Defizite in den Asylsystemen maßgeblicher EU-Mitgliedstaaten an den Außengrenzen der Union.“
Gut, so kann man die EU natürlich noch weiter auseinanderdividieren, wenn eine Reihe von Mitgliedsstaaten nicht mehr als sichere Herkunftsländer (Einreiseländer) gelten sollen. Wenn also durch die sich gerade selbst verdauende EU ein weiterer Graben gezogen wird, der humanitäre von irgendwie inhumanen EU-Staaten trennt. Auch spricht Jelpke diesen Staaten jede Fähigkeit ab, diese Menschen menschenwürdig aufzunehmen, wenn sie befindet:
„Eine konsequente Anwendung der Dublin-Regeln würde absehbar zum Kollaps der Ersteinreiseländer führen. Das bestehende Dublin System ist ungerecht, weil es die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz auf kaputtgesparte Peripheriestaaten der EU abwälzt und dazu führt, dass Schutzsuchende wie Stückgut quer durch Europa verschickt werden.“
Und wieder kommt die EU zur Hilfe, wenn dieses Mal das Europäische Parlament „länder- und fraktionsübergreifend mit großer Mehrheit einen Vorschlag vorgelegt“ hat. Wie der aussieht, muss man nicht lesen, es reicht auch hier zu wissen, dass Deutschland deshalb nicht weniger, sondern einfach nur immer mehr illegale Zuwanderung erwarten darf.
Das deutsche Dilemma abschließend zusammengefasst: 300 Mitarbeiter sollen sich im BAMF offiziell in einer so genannten „Dublin-Gruppe“ um die Rückverteilung von sich illegal in Deutschland aufhaltenden Migranten in die EU-Herkunftsländer kümmern. Bei 9000 tatsächlich vollzogenen Rückführungen sind das 30 Personen pro Mitarbeiter, also weniger als drei im Monat, also eine Art persönliche Intensivbetreuung, die am Ende die tatsächlichen Kosten noch übersteigt, würden die Personen einfach im Land bleiben.
Hier wird Behördenarbeit nur noch symbolisch gemacht. Sie hat keinerlei abschreckende Wirkung mehr in dem Sinne, dass sich der illegal nach Deutschland Einreisende um seinen Daueraufenthalt sorgen müsste. Herzlich Willkommen