Im Herbst wird in Brandenburg gewählt. Stellt man eine Fehlertoleranz von +/- 3% in Rechnung, dann liegen nach jüngsten Prognosen SPD, CDU und AfD gleich auf. Die Regierungspartei „Die Linke“ wird um die 17 % verortet. Die SPD, die seit der Neugründung des Landes nach der Wende den Regierungschef stellt, ist personell und inhaltlich verbraucht. Sie benötigt eine Auszeit auf der Oppositionsbank. Eine günstigere Ausgangssituation für die CDU lässt sich also nicht denken. Nie war Siegen leichter. Und es kann sogar so kommen, dass Ingo Senftleben, der nicht auf Sieg, sondern auf Platz setzt, Regierungschef in Brandenburg wird – und zwar als Chef einer dunkelrotschwarzen Koalition, einer Koalition aus CDU und Die Linke.
Nun lassen sich recht realistische Gedankenspiele darüber anstellen, was geschieht, wenn eine in Brandenburg inzwischen regierungsunerfahrene CDU auf eine regierungserfahrene und in der Auseinandersetzung mit der SPD sogar noch gestählten Linken trifft. Wer in dieser Koalition Koch oder wer Kellner sein würde, dürfte keinem Zweifel unterliegen. Aber vielleicht fehlt sogar der Stoff zum Drama, denn des Senftleben Hauptziel scheint allein darin zu bestehen, Ministerpräsident zu werden, Inhalte zählen da wohl nicht allzu viel.
Die Vorstellungen in der Bildungspolitik von Linken und CDU erinnern jedenfalls an das Arbeiterkampflied: „Wann wir schreiten Seit an Seit/und die alten Lieder singen.“ Mit den Linken ist er sich schon heute einig, dass die zehnjährige Gesamtschule zu Lasten der Gymnasien favorisiert werden soll. Soviel DDR reloaded war nie. Dass die CDU das Lieblingsprojekt der Brandenburger Linken, die Benachteiligung und systematische Marginalisierung der bürgerlichen Gymnasien mit dem Ziel ihrer Auflösung übernimmt und hierin den Linken liebedienerisch hinterherläuft, ist ein Skandal. So stellte die Spitzenkandidatin der Linken, Kathrin Dannenberg, gut klassenkämpferisch klar: „Wir prangern dieses gegliederte Schulsystem an, welches viel zu früh über Lebenswege und Lebenschancen entscheidet und wir wollen eine andere Schule – eine Schule, in der Kinder gemeinsam lernen, sich entwickeln können, ohne Leistungs- und Notendruck – das haben wir mit unserem Konzept zur Umsetzung der Gemeinschaftsschule in Brandenburg deutlich gemacht.“
Ingo Senftleben übernimmt und übersetzt die Forderung der Linken für die CDU nach einem Bericht der Schweriner Volkszeitung so: „Außerdem plädierte Senftleben für gemeinsames Lernen. Gute Schulpolitik mache es möglich, dass Zwölfjährige mit ihren Freunden zusammenbleiben und nicht auf verschiedene Schulformen verteilt werden ...“ . Übrigens war Ingo Senftleben 2012 noch der Meinung, Einheitsschulen seien der falsche Weg. Tempi passati. Vorbild für Ingo Senftleben und für Kathrin Dannenberg von den Linken ist das Einheitsschulsystem der DDR. Vorwärts Genossen, wir müssen zurück.
Dass jemand, der so wenig von Bildung versteht, ausgerechnet Bildung zum Wahlkampfschwerpunkt macht, würde zumindest Erstaunen auslösen, wenn es um Inhalte ginge. In der Frage „Ehe für alle“ und in der Bewertung der sogenannten Schülerproteste unterstützt Senftleben – ebenfalls ohne tiefere Einsichten in die Klimaproblematik und wie zu befürchten steht, in naturwissenschaftliche und wirtschaftliche Zusammenhänge – die Fridayforfuture Bewegung Seit an Seit mit den Genossen. Kompatibel zu ihnen ist er auch in der Flüchtlingsfrage. Wenn man in dieser Situation spotten wollte, könnte man meinen, die CDU Brandenburgs wünscht sich nichts sehnlicher die Existenz als Blockpartei der SED-Nachfolger zurück, die auch unter einem Ministerpräsidenten Senftleben die Marschrichtung im Land vorgeben würde.
Das Hamburger Blatt hat nun in einem Porträt des selbst in Brandenburg noch recht unbekannten Spitzenkandidaten der CDU, wie die ZEIT süßsauer spottet, bereits wohlig geraunt, dass Senftlebens Vorhaben „Sprengraft“ berge, weil es „die politischen Koordinaten verschieben“ würde. Das allerdings würde der ZEIT-Redaktion gefallen: „Was zunächst nur den Landtag in Potsdam betrifft, könnte mittelfristig Folgen für die gesamte Bundespolitik haben. Senftleben ist bereit, ein Tabu zu brechen. Er hat angekündigt, nach der Landtagswahl im Herbst notfalls eine Koalition mit der Linken einzugehen.“ Zudem schätzt die ZEIT ein, „klingen“ Senftlebens Botschaften „eher linksliberal als erzkonservativ“. In der Bildungspolitik nicht einmal das, sondern nur links, denn verringerte Wahlchancen, das Einheitsschulmodell kann man kaum als liberal ansprechen.
Da hilft es wenig, wenn sich der Landesvorsitzende hinter einem angeblichen Franz-Josef-Strauß-Zitat versteckt, das eigentlich von dem preußischen Reformer Gerhart von Scharnhorst stammt: „Tradition heißt, an der Spitze des Fortschritts zu marschieren.“ Scharnhorst verwandte es im Zusammenhang mit seiner Militärrefom, die einen Schritt in Richtung allgemeine Wehrpflicht, hin zu einer Bürgerarmee machte, eben jene allgemeine Wehrpflicht, die von einer CDU-Regierung im Bunde mit den Sozialdemokraten mit dem Ergebnis abgeschafft wurde, dass Deutschland nicht mehr verteidigungsbereit ist. Tatsächlich hatte Strauß gesagt: „Konservativ heißt, auf dem Boden des christlichen Sittengesetzes in der weitest möglichen Form seiner Auslegung mit liberaler Gesinnung an der Spitze des Fortschritts zu marschieren.“ Diejenigen, die wie Senftleben Scharnhorsts oder Straußens Diktum zitieren, übersehen die Pointe der Zitate, denn wer an der Spitze des Fortschritts steht, bestimmt auch, was Fortschritt ist. Davon ist Senftleben weit entfernt.
Aber auch das ist nicht weiter wichtig, weil Jan Redmann, der parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Landtag in Brandenburg ist und den die ZEIT ohne Namensnennung einen „Vertrauten Senftlebens“ nennt, auf einem Podium definiert hat, dass er konservativ sei und deshalb alles das, was er mache, nur konservativ sein könne. Und da der Senftleben-Vertraute glühend für die „Ehe für alle“ eintritt, ist eben auch die „Ehe für alle“ konservativ. So war es Redmann, der „kürzlich“ als „Senftleben-Vertrauter im Landkreis Ostprignitz ein schwarz-dunkelrotes Bündnis gezimmert“ hat, wie die Hamburger Postille jubelt.
Allerdings vergaß die ZEIT, in ihrer Begeisterung zu erwähnen, dass dieses Bündnis nicht erfolgreich war, denn nicht alle Abgeordneten des von Redmann geschmiedeten Bündnisses wählten den CDU-Kandidaten – wie ausgemacht, so dass anders als die ZEIT den Eindruck erweckt, im Landkreis Ostprignitz kein CDU-Politiker als Landrat agiert, der sich auf ein schwarz-dunkelrotes Bündnis stützt , sondern weiter der SPD-Amtsinhaber die Geschicke des Landkreises führt.
Zwar gibt die ZEIT Senftlebens Position richtig wieder, doch verharmlost sie den Widerstand, der in der Landespartei gegen eine Koalition aus CDU und der Linken existiert. Und sie verschweigt überdies, dass aus diesem Grund ein Parteitagsbeschluss existiert, nach dem letztlich eine Mitgliederbefragung über die Koalition stattzufinden habe. Die ZEIT porträtiert Senftleben nicht nur, sie hat anscheinend ein großes politisches Interesse daran, dass sich „die politischen Koordinaten verschieben“. Journalismus als Propaganda.
Allerdings könnte sich dieser Beschluss als Papiertiger erweisen, denn ob am Ende die Mitglieder der CDU im Land Brandenburg sich wirklich gegen die Regierungsübernahme auch im Verein mit den Linken stellen wird, das ist doch sehr die Frage. Jedenfalls scheint Senftleben darauf zu setzen, mit dem Argument der Macht, endlich regieren zu können, auch diese Koalition von der Partei abgesegnet zu bekommen.
Der Wahlabend könnte jedoch auch zeigen, dass alle diese Überlegungen von der Realität überholt worden sind, wenn Senftlebens Platzwette nur auf einen kleinen Platz hinausläuft, wenn also die CDU die Marke 20 % nicht übersteigen wird. Geben es die Zahlen her, wird in Brandenburg ohnehin eine rot-rot-grüne Koalition das Land regieren. Schuld daran wäre der hasenfüßige Wahlkampf des Spitzenkandidaten der CDU, der nicht Themen und Positionen vertreten, sondern moderieren will. Brandenburg benötigt aber keinen Landespräsidenten, sondern einen Ministerpräsidenten. Nur auf „gute Ideen und sinnvolle Vorschläge“, „egal von wem sie stammen“ zu warten, ist bei weitem zu wenig. Wer sich in Floskeln verliert wie, „keinen Ruck nach links, keinen Ruck nach rechts, sondern einen Ruck nach vorn“ zu wollen, wird die Wähler weder erreichen, noch mobilisieren.
Auch wenn Sentfleben es gern so wahrnehmen möchte, dass der heftigste Widerstand gegen Schwarz-dunkelrot aus Westdeutschland käme, und die Werteunion nicht zu schätzen scheint, weil sie es wagt, Senftlebens Idol Merkel zu kritisieren und schlimmer noch, für christdemokratische Werte eintritt, ist die Aversion gegen dieses Bündnis in Ostdeutschland doch sehr ausgeprägt.
Die ZEIT zitiert Ingo Senftleben mit den Worten: „Ossi zu sein ist für mich kein Makel, sondern ein Gütesiegel“. Der Spitzenkandidat sieht sich – und hier ist das Detail, der Zungenschlag wichtig – nicht als Ostdeutscher, sondern nur als „Ossi“. Doch als Ostdeutscher kann man nicht Ossi sein. Den Unterschied kennt Senftleben anscheinend nicht – und darin liegt das tiefere Problem.