Tichys Einblick

Terrorabwehr als Alibi? EU-Kommission plant neues Datensammelmonster

Unmengen von Daten konsequent miteinander zu vernetzen verspricht großartige Fahndungserfolge gegen den Terror. Allerdings weiß Deutschland spätestens seit der Rasterfahndung und seit der Schullektüre der verlorenen Ehre der Katharina Blum, wohin das führen kann.

imago/photothek

Gegenüber der lückenlosen Kontrolle von über einer Milliarde Chinesen und gegenüber dem, was die EU gerade plant, ist Heinrich Bölls Real-Dystopie von 1974 allenfalls ein linksnostalgisches Rührstück aus der Klamottenkiste der RAF-Rezeption.

Die Chinesierung der Bürgerechte innerhalb der EU-Staaten schreitet munter voran. Wie hatte Angela Merkel, die große Lenkerin der EU-Geschicke, bei ihrem Aufritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt? „Ich habe mich mit Präsident Xi Jinping sehr oft darüber unterhalten, wie man eigentlich auch voneinander lernen kann, was der eine und was der andere gut macht.“ 

Kommen wir also zum neuesten Lerneffekt und auch dazu, wie seine fortschreitende Vergläserung dem EU-Bürger als etwas Sinnvolles verkauft werden soll. Im Begehren, eine Massenüberwachung voranzutreiben, wird nach einem bewährten Muster vorgegangen, wenn zunächst der sprichwörtliche Teufel an die Wand gemalt wird und dann versprochen wird, diesen Monstern (Wahlweise Nazis oder Kinderschänder) mit dem massivsten Unkraut-EX beizukommen, das bereit steht: Der maximalen Ausweitung der Kontrollzone.

Offiziell will die EU dem Terrorismus mit der Bündelung verschiedener Datensammelstellen begegnen. Und das klingt auch zunächst nach dem richtigen Weg, wenn Überwachungstechniken synchronisiert werden gegen den Terror. Wenn sich daraus aber eine umfassende Massenüberwachung ergibt, wie renommierte Datenschützer gerade hochalarmiert warnen, dann ist die Verhältnismäßigkeit der Mittel weit überschritten bzw. diese herbeigeführte Überschreitung wird Mittel der Wahl, wenn wir Angela Merkels Von-China-lernen-heißt-siegen-lernen mitdenken.

So sollen jetzt Daten in den EU-Datensystemen aus den Bereichen Migration, Reisen und Polizei miteinander verknüpft werden. Daten, die vorher insbesondere auch aus Datenschutzgründen im Prinzip voneinander isoliert gespeichert waren. Zusammenlaufen soll das alles in einem neuen Identitätsspeicher mit dem Ziel, für europäische Behörden mit einem Klick durchsuchbar zu werden: Klingt effizient wie praktisch, oder?

Und klicken darf dann im Prinzip fast jede Behörde, von der Ausländerbehörde bis zum Polizisten oder bei Einreisen in die EU an Flughäfen und Bahnhöfen. Der Operationsrahmen wird hier für eine Reihe von Akteuren deutlich erweitert. Das deutsche Innenministerium erhofft sich so zukünftig bessere Fahndungserfolge und eine intelligentere und gezieltere Zusammenarbeit.

Wer hätte etwas gegen Zusammenarbeiten? Zunächst einmal eine Reihe renommierter Datenschützer. So vielversprechend für die einen, so bedrohlich für die anderen, wenn kein Geringerer als der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar von einer „der großen technologischen Gefahren“ spricht, „die bisher viel zu wenig diskutiert werden. Hier droht eine umfassende Massenüberwachung, die sich nicht auf diejenigen beschränkt, die über die EU-Außengrenzen einreisen.“

Was Datenschützern europaweit missfällt, ist, dass hier der Kampf gegen den Terror nur Mittel zum Zweck sein könnte. Schon bald nach der Verabschiedung des Gesetzespakets im April 2019 im EU-Parlament sollen die Ausschreibungen für den Bau neuer IT-Systeme anstehen. Gegenüber dem deutschen Ableger des US-Medienunternehmens Buzzfeed erklärte „jemand aus dem EU-Parlament“, dass hier sowohl das Tempo überraschen würde, wie auch die unkonventionelle Vorgehensweise, wenn die EU-Kommission sogar in etlichen Abgeordnetenbüros angerufen hätte, um mit ihrem Anliegen vorwärts zu kommen.

Buzzfeed verweist darauf, welche enorme Macht sich nun in der dafür zuständigen harmlos klingenden Behörde eu-LISA (Europäische Agentur für Betriebsmanagement von IT-Großsystemen mit Sitz in Brüssel und in Tallin) bündeln würde, wenn das Portal die einzelnen Komponenten so aufzählt:

Und weil hier doch eine ungeheure Menge an alten und neuen Daten in die bekannte Büchse gequetscht werden sollen, soll für den europäischen Beamten eigens eine „Suchmaschine für Identitäten“ gebastelt werden.

Auch wie das technisch laufen soll, wir beschrieben:

„Die Daten selbst landen im Identitätsspeicher, einer Art Kerndatensystem, in dem Personeninformationen aus allen sechs Systemen zusammengeführt werden können. Das können Touristen, Kriminelle oder Asylsuchende sein. Das Fassungsvermögen: 300 Millionen Datensätze. Eine neue Biometrie-Komponente, der gemeinsame „Biometric Matching Service“ (sBMS), soll systemübergreifend Abgleiche ermöglichen.“

Festhalten muss man allerdings schon jetzt: Fluch und Segen dieser massiven Zentralisierung liegen auf der Hand. Oder genauer: Wohin das Pendel ausschlägt, wird sich daran messen lassen müssen, in welchen Händen sich dieses Monster befindet. In den Händen von Bewunderern des so effizienten chinesischen Unterdrückungs- und Kontrollapparates dürfte es allerdings zum Fluch werden.

Oder noch konkreter gefragt: Hätte dieses neue Supersystem einen Anis Amri verhindern helfen können? Oder am Ende doch viel mehr eine Ausweitung der Mouvement des Gilets Jaunes (Gelbwestenbewegung) auf ganz Europa, wenn der französischer Präsident den Protest gegen seine Politik und Person so kommentiert: „Europa war nie in so großer Gefahr.“ Und wenn er weiter „die Schaffung einer Agentur für den Schutz der Demokratie“ fordert. Werden die gesammelten Daten dieser Agentur dann auch irgendwann automatisch Teil der großen Überwachungsmaschine? Die Datengier der Mächtigen macht sie verdächtig. Noch allerdings ist es eine demokratisch legitimierte Macht auf Zeit. Aber wie lange noch?

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