Es gibt bald keine Hannoveraner mehr, auch Augsburger wird man vergeblich suchen. Was ist geschehen? Ist eine riesige Flutwelle von der Nordsee über Niedersachsen bis nach Bayern geschwappt, die kürzlich auch noch Gießen erfasst hat? Eine Flutwelle ist es schon, aber nicht aus Wasser, sondern eine Welle – vielleicht auch ein Nebel – der Geschlechtervielfalt. Nebenbei bemerkt, die Pferderasse Hannoveraner gibt es schon noch, und sie umfasst auch Stuten. Aber zu vermuten ist, folgt man dem Leitfaden der Stadt, dass die Bewohner Hannovers jetzt, ganz gleich, wie sie sich selbst sehen, von den Angestellten und Beamten der Stadtverwaltung als Hannoveraner*innen bezeichnet werden müssen. Wie man das ausspricht, wäre noch zu klären.
Hannover selbst erklärt zu der Neuregelung, dass „sie der neuen Gesetzgebung, nach der zum Beispiel seit dem 1. Januar das dritte Geschlecht im Personenstandsregister geführt wird“, entspreche. Dass sowohl beim Verfassungsgericht wie auch im Beschluss des Bundestages über die Sprache gar nichts gesagt wurde, ignoriert man hier. Und ob es wirklich ein drittes Geschlecht (oder sogar noch viel mehr) gibt, das mögen Mediziner diskutieren. Falls Sie übrigens eine Stellenanzeige lesen, in der ein „Installateur (m, w, d)“ gesucht wird, glauben Sie bitte nicht, dass das „d“ für „deutsch“ steht. Es bedeutet „divers“. Hannover hat aber nicht das „d“ gewählt, um die diversen Geschlechter sichtbar zu machen, sondern den Gender-Stern (*).
Gibt es vielleicht keine Bürgerinnen oder Bürgerdiverse oder Transbürger in der Stadt? Also vielleicht Oberbürger*innenmeister. Auch der Bürger-Service, das Bürgerbüro und das Bürgerforum Hannovers entsprechen nicht den neuen Leitlinien. Und kümmert man sich bei „Ausländerangelegenheiten“, der hannoverschen Logik entsprechend, nur um Männer? Schauen wir weiter in den Leitfaden der Stadt hinein. Beispiel Pronomina: „Die männliche Form wird häufig bei Pronomen verwendet, hierfür gibt es unkomplizierte Lösungen“, nämlich „alle“ statt „jeder, jede“ und „niemand“ statt „keiner“. Dass im „niemand“ auch ein „Mann“ steckt, ist den Beauftragten wohl entgangen. Den „Auszubildenden“ soll man gleich im Plural verwenden, damit er geschlechtsneutral ist. Vielleicht könnte man den „Lehrling“ wieder einführen?
Wenn der/die/das in die Berufsschule geht, sieht er sich in Hannover keinem Lehrer, sondern einem/einer „Lehrenden“ gegenüber – nur ist nicht jeder „Lehrende“ auch ausgebildeter Lehrer – in einem deutschen Bundesland „lehren“ Schüler wegen Lehrer-, Pardon, Lehrendenmangels sogar schon jüngere Schüler. Egal, auf solche Feinheiten kommt es nicht an. Aber denken wir mal weiter: Was, wenn der/die/das Auszubildende sich als sehr strebsam erweist? Die „Meisterprüfung“ dürfte er/sie/es jedenfalls nicht machen. Dass das Bäcker-, Metzger-, Schlosser- und Zimmererhandwerk abgeschafft wird, zumindest bis es geschlechtsneutrale Berufsbezeichnungen gibt (Backende, Schlossernde, Zimmernde), wäre nur folgerichtig. Unpassend wäre für einen weiblichen Zimmermann allerdings die Bezeichnung Zimmerfrau.
Schauen wir nach Augsburg. Dort wurde den städtischen Angestellten zum 1. Februar ebenfalls ein Leitfaden überreicht. Er soll aber nicht „reglementierend“ wirken, sondern nur empfehlen. Wie schön, dass Angestellten doch noch selbständiges Denken erlaubt ist. Die Stadt Augsburg erläutert: „Mit dem Leitfaden will man bei der Stadt erreichen, dass Frauen und Männer durch die Verwaltung gleichermaßen mit Respekt und Höflichkeit angesprochen werden.“ Auch hier weiß man, dass „männliche Formulierungen wie Bürger das weibliche Geschlecht nur mitformulieren“, es also nur mitgemeint sei, so der Sprecher der Stadt. Wie in Hannover müssen wir die Halbherzigkeit rügen, wenn wir lesen: „Als Chef der Verwaltung trägt Oberbürgermeister Kurt Gribl diese Empfehlungen mit.“ Oberbürgermeister!
Für Professor Hilke Elsen vom Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Augsburg ist der Leitfaden längst überfällig, „damit die Gleichberechtigung von Frauen auch in den Köpfen der Menschen stattfindet“, denn schließlich hingen Sprache und Denken eng zusammen. Gebe es nur männliche Formulierungen, werde automatisch nur an Männer gedacht. Den Leitfaden der Stadt Augsburg bewertet die 56jährige Wissenschaftlerin als einen „kleinen, aber wichtigen Baustein in der generellen Gerechtigkeitsdebatte.“ So ist es aus Augsburg zu vernehmen. Seltsamerweise empfiehlt Augsburg die „ärztliche Hilfe“ statt „Hilfe eines Arztes“. Man hat wohl nicht gesehen, dass „ärztlich“ von „Arzt“ abgeleitet ist. Beide Städte sind aber recht kurzsichtig. Neben den schon genannten Wörtern gibt es ja noch die Bürgersteige, das Einwohnermeldeamt, die Anwohner und Anrainer. Und was machen wir ganz allgemein mit Straftätern, mit Vergewaltigern, mit der Mittäterschaft, mit Meinungsmachern, mit Journalistenpreisen, mit Faktenfindern, mit Gründerpreisen und der Gründerzeit, mit Fußgängern, mit Amerikanern, mit Franzosen und Dänen?
Passenderweise sind die Deutschen, da ihr Name nicht von einem Ländernamen abgeleitet, sondern ein Adjektiv ist, schon unbeabsichtigt gegendert. Aber vielleicht fallen unseren Fachleuten auch noch Deutschinnen ein. Die Mitgliederinnen sind schon aus dem Gender-Ei geschlüpft. Es wartet also eine gewaltige Aufgabe auf Leute wie Hilke Elsen, außer den schon passenden Deutschen noch viel, viel mehr passend zu machen. Alle Zeitungstexte bitte geschlechtergerecht formulieren! In einem weiteren Schritt könnte man sich dann der Literatur widmen. Und bitte die Lieder nicht vergessen! Für die städtischen Kindergärten ist natürlich das Lied „Wer will fleißige Handwerker seh’n“ überhaupt nicht mehr angebracht. Die Kleinen könnten ja das falsche Weltbild bekommen.
Ausgerechnet Luise Pusch, die als eine der Begründerinnen der feministischen Linguistik in Deutschland gilt, ist nun gar nicht glücklich über Hannovers Initiative für den Genderstern. Sie glaubt, dass sich die Frauen nun „als Anhängsel wiederfinden, wie zu Anfang der feministischen Sprachkritik“. Sie sei nach wie vor für das Binnen-I, das sie bevorzuge, weil es dem von ihr favorisierten Femininum noch am nächsten komme. Das werde sich aber nur schwer durchsetzen lassen, weil viele Frauen „ihren Männern nicht zumuten wollten, was Frauen routinemäßig zugemutet werde, nämlich sich in der falschen Gender-Schublade wiederzufinden.“ Die anderen laut Gender-Theorie existierenden Geschlechter scheinen Pusch also nicht so sehr zu interessieren, sondern ihr Kummer ist das generische Maskulinum. Wie seltsam, plötzlich geht es wieder nur um Frauen und ihre Befindlichkeiten! Gender bedeutet doch aber, dass es angeblich gar keine natürlichen Geschlechter gibt und alles nur soziale Rollen seien. Deswegen doch die Bezeichnung Gender statt Geschlecht. Sogar „genderfluid“ soll es geben wie auch „bigender“ oder „genderqueer“. Vielleicht könnten sich die Feministinnen und die Gender-Leute einigen, was sie eigentlich wollen. Geht es um die Frauen oder die bis zu 60 Geschlechter? Der Anglist Anatol Stefanowitsch sorgt sich vor allem um die Frauen: Das generische Maskulinum sei eine „Erfindung des Patriarchats“. Wir sehen sie vor uns, die finsteren Gestalten (generisches Femininum!), die vor 5.000 Jahren am Lagerfeuer mit ebenso finsterer Gesinnung das generische Maskulinum erfunden haben, um ihre Frauen unsichtbar zu machen.
So alt soll laut dem Germanisten Helmut Glück das generische Maskulinum nämlich sein und in den ältesten indogermanischen Sprachen (zum Beispiel dem Griechischen) gut belegt. Weiter sagt er: „Eine Demokratie muss die Sprache (d. h. ihre Regeln) und den Sprachgebrauch der Leute, soweit er nicht vom Strafgesetzbuch beschränkt ist, in Ruhe lassen. Ein Sprachwissenschaftler muss ideologisch motivierten Übergriffen auf die Sprache und ihren Gebrauch entgegentreten – ebenso laienhaften, pseudowissenschaftlichen Instrumentalisierungen von Sprache für politische Zwecke.“
Beim Sittenstrolch, Raufbold und Trunkenbold denkt man tatsächlich eher an Männer. Wünschen sich die Feministen.
Rominte van Thiel ist freie Korrektorin/Lektorin. Sie schreibt sprachkritische Beiträge, vor allem für die „Deutsche Sprachwelt“.
Dieser Text erschien in leicht veränderter Form zuerst in der Ausgabe 75 der Deutschen Sprachwelt.