Was erfahren die Kinder jetzt und in den kommenden Jahren über das Thema, das uns länger beschäftigen wird, als vielen klar ist? Was hören die Kinder von Eltern mit und ohne anderen als deutschen Wurzeln? Sie merken, ich sage nicht „Migrationshintergrund“. Weil es ein schreckliches Bürokratenwort ist. Kalt. Mit der Wärme des Wortes Flüchtling kann es nicht konkurrieren. Werden die Lehrer in den Schulen den Unterschied zwischen den verschiedenen Formen von Flucht erklären und was jede bedeutet?
Was erfahren Schüler in der Grundschule, was im Gymnasium über die Ursachen der Massenmigration unserer Tage? Wie werden Lehrer erklären, warum Millionen Europäer in vergangenen Jahrhunderten nach Amerika und Australien auswanderten, dort also Einwanderer waren, während der weitaus größere Teil der Millionen, die heute aus den gleichen Gründen nach Europa wollen, Flüchtlinge sind? Die Begriffsverwirrung ist heillos. Wenn die Kultusbürokratie neue Lehrpläne macht, muss sie höllisch aufpassen. Sollen Kinder und Jugendliche mit denen in Frankreich und überall in Europa erst Begriffe abklären, damit sie miteinander reden können? Denn dort heißt überall Illegale Immiganten, was Politik und Medien in Deutschland in Bausch und Bogen Flüchtlinge nennt.
Was sagen die Großen den Kleinen?
Zahllose Iren und Deutsche, die im 19. Jahrhundert auf dem Unterdeck der Schiffe nach Amerika zogen, waren nach heutigem Neusprech „Wirtschaftsflüchtlinge“, denn sie gingen der Not wegen, sie flohen vor keinem Krieg. Das spielte für ihre Zukunft auch keine Rolle, denn sie mussten nicht nur die Reise selbst finanzieren, sondern in der Neuen Welt ihr Dasein alleine meistern. Was werden die Großen den Kleinen sagen, wenn sie tatsächlich oder angeblich Nachteile durch die Hinzukommenden haben? Wie wird sich das auf den Schulhöfen und Schulwegen niederschlagen? Gibt es jemanden bei den Kultusbehörden und allen anderen Verantwortlichen, die sich mit diesen Fragen beschäftigen – oder machen alle Dienst nach Vorschrift wie in der Berliner Lageso?
Als für mich die Schule begann, war der Krieg zwei Jahre vorbei. Ich hatte leibhaftige russische Soldaten gesehen. Einen aus dem Dachfenster in der Pilotenkabine seines Tieffliegers. Er sah mich auch und lächelte. Drei Wochen später quartierte sich ein russischer Militärarzt in dem Zimmer ein, das ich später mit meiner Großmutter teilte. Mit seiner großen Pistole auf dem Tisch dufte ich spielen. Was die Großen später über „den Russen“ erzählten, glaubte ich nicht. Zu mir waren sie nett und freundlich gewesen. Wieder ein paar Wochen später ging die Rote Armee und machte der britischen Besatzung Platz, die 10 Jahre blieb. Die Tommys waren nicht immer nett.
Bis zum Ende des Gymnasiums gab es nichts, was die Schule uns über die Zeit seit dem Ende des Ersten Weltkrieges bis in unsere damaligen Tage vermittelt hätte: Ja, in Geographie arbeiteten wir mit einem alten Atlas, dem ganz am Ende eine Karte mit den aktuellen Grenzen eingeklebt worden war. Über das „Dritte Reich“ hörten wir nichts. Der Geschichte-Unterricht schloss mit dem Jahr 1920. Unsere Meinung über die Nazizeit bildete sich meine Generation selbst: in Österreich kompliziert dadurch, dass in die Jahre von 1920 bis zu Hitlers Einmarsch in Österreich 1938 auch die Zeit des Austrofaschismus von 1934 an fällt. Die kannten wir nur aus den Erzählungen der Eltern und Großeltern. Von ihnen erfuhren wir bruchstückhaft, wer in welcher Parteiarmee mitgemacht hatte bis zum offenen Bürgerkrieg 1934, den das Militär der Vorgänger der heutigen ÖVP nur gewann, weil sich die reguläre Armee auf ihre Seite schlug.
Warum erzähle ich das? Weil es mich beschäftigt, wie sich der unversöhnliche Streit, der öffentlich mehr versteckt als offen und in den Social Media mehr polemisch verzerrt als mit gepflegten Argumenten stattfindet, sich in den pädagogischen Einrichtungen fortsetzen wird, aber auch in den vielen Vereinen bis zum Sport. Weil ich befürchte, dass der Raum Schule und Bildung zusammen mit dem Raum Kindheit und Jugend so politisiert wird, wie es die Generation meiner Eltern wurde. Den Massenmedien entkommt sowieso niemand (ganz).
Werden Schule und Kindheit politisiert?
Kann es sein, dass der Krieg um Worte, der in Deutschland – aber den anderen Staaten Europas auch – beim Jahrhunderthema Einwanderung tobt, unsere Gesellschaften auf lange Zeit spaltet? Können Pädagogen von der Kita bis zur Universität damit überhaupt umgehen? Tragen sie den Krieg der öffentlichen Streithähne um die Deutungshoheit im Migrationsgeschehen in die Schulen? Oder andersherum: Lässt sich dieser Streit aus den Schulen raushalten?
Dass Eltern, die es sich materiell leisten können, ihre Kinder in Privatschulen ihrer Wahl schicken, war schon vor dem Anschwellen der Migrationswelle zu beobachten. Bleiben die Kinder von Einwanderern in Gegenden, die jetzt schon als Problemzonen gelten, aber dann auch in bisher verträglich gemischten Schulklassen unter sich, gelingt Integration nicht einmal bei denen mit den eigentlich besten Chancen. Die Wiederkehr der Klassengesellschaft in neuen Formen droht: Gated Communities mit eigenen Schulen, Kitas und Kindergärten. Spätestens nach dem Abitur die Youngsters zum Studium oder zur Ausbildung nach England und Nordamerika. Und zuhause der Straßenkampf zwischen solchen und solchen Jugendgangs. Schade, dass ich damit nicht übertreibe, sondern nur 1 und 1 zusammenzähle.
Wenn die Chancen steigen sollen, dass der Bürgerkrieg mit Worten nicht anhält oder noch eskaliert, muss abgerüstet werden. Ich nenne ihnen mal, was mir so einfällt an Worten, die jede Debatte töten, bevor sie beginnen kann. Wessen Absicht das nicht ist, lässt besser von ihnen.
Im Übrigen bin ich der Auffassung, dass wir Vorschläge machen und über sie diskutieren müssen, wie wir mit den Problemen möglichst gut umgehen, die wir haben und die wir durch keine Maßnahmen der Welt auf den Stand davor zurückdrehen können werden. Die Computerfunktion reset steht uns hier nicht zur Verfügung.
„Altparteien“: Das diffamierende Wort braucht es nicht, um die Fehler und Versäumnisse der schon lange agierenden politischen Parteien in der Sache und im Handeln ihrer Personen deutlich zu kritisieren.
„Bio-Deutsch“: klingt anders als „artrein“ oder „blutrein“, ist aber das Gleiche. Ich bin das jedenfalls nachweislich nicht.
„Dumpfbacke“: Mit dümmlich, naiv, grob, gefühllos und so weiter kann ich beschreiben wer oder was das verdient.
Links- und rechtspopulistisch: Sie merken, nennt man das im Zusammenhang, braucht man keine Gänsefüßchen. „Rechtspopulistisch“ wird öfter als „linkspopulistisch“ genannt, was man (noch) nicht „rechtsradikal“ oder „rechtsextrem“, „linksradikal“ oder „linksextrem“ nennen möchte, heißt man eben „populistisch“. Zur Wahrheitsfindung trägt das nicht bei – im Gegenteil. Das gilt auch für Links und Rechts als Synonym für einen politischen Standort. Ist gegen TTIP oder für Zusammenarbeit mit Putin links, wenn es Sahra Wagenknecht sagt, und rechts, wenn das Marine Le Pen tut?
„Lügenpresse“: Aus dem Repertoire von Joseph Goebbels, „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda und Leiter der Reichskulturkammer“, wanderte das Schimpfwort als „westliche Lügenpresse“ und „kapitalistische Lügenpresse“ in die DDR und zu den 68ern.
Mainstream-Medien: wird auch sachlich verwendet, aber inzwischen nur noch pauschalisierend verstanden – von Angreifern und Verteidigern.
Migrationshintergrund: meint entweder Fremder, Ausländer oder Zugewanderter oder … Besser sagen, was genau, als hinter einem Nebelwort im Unklaren lassen, das trotz seiner gewollt harmlosen, scheinbar amtlichen Sachlichkeit ausgrenzt. Mich auch.
„Pack“: Prolosprache, nein danke.
„Systempresse“: Variante von „Lügenpresse“ in der Nazizeit. Bei den 68ern hieß das Lügenpresse und Springerpresse.
„Systemparteien“: siehe „Altparteien“.
„Teddybärenwerfer“: sinnloses Schimpfwort.
„Volksverräter“: unverdautes Überbleibsel, inhaltsloses Schimpfwort.
Vulgär- und Fäkal-Worte: nein, danke.
Für Vorschläge zur Ergänzung der Liste bin ich stets offen und dankbar.