Der Islamische Staat, jene sich auf den Originaltext des mohammedanischen Koran berufende Miliz, die im Handstreich den halben Irak und Halb-Syrien unter ihre Kontrolle gebracht und den religiös begründeten Völkermord gegen Christen und Jesiden zur Staatsdoktrin gemacht hatte, scheint besiegt. So meldeten am vergangenen Wochenende die Kräfte der Syrian Democratic Forces (SDF), dass mit Baghus, einer Stadt am Euphrat nahe zum Irak, die letzte von Islamkämpfern gehaltene Stadt gefallen sei.
Die SDF ist jene Bodentruppe, die eng mit den in Syrien stationierten USA zusammenarbeiten und für den Westen die Drecksarbeit im Kampf gegen die Radikalmuslime erledigen. Gestellt werden sie maßgeblich von den kurdischen Einheiten der YPG – Yekîneyên Parastina Gel – den Selbstverteidigungskräften der syrischen und irakischen Kurden, die derzeit die Kontrolle über das befreite Kurdengebiet Rojava im Nordosten Syriens haben. Erstmals rückten die Kräfte der YPG ins Blickfeld der internationalen Öffentlichkeit, als sie von September 2014 bis Januar 2015 die nordsyrische Stadt Kobane – sehr zum Unwillen des türkischen Präsidialdiktators Erdogan – vom Islamischen Staat befreiten. Seitdem rückten die Kurden gemeinsam mit ihnen in den SDF verbündeten arabischen Kämpfern kontinuierlich gegen die Mörder der islamischen Miliz vor.
Das Ende des Kalifats
Am 23. März 2019 dann konnte die militärische Führung der SDF die Einnahme der letzten, vom IS gehaltenen Stadt melden und damit das territoriale Ende des „Kalifats“ des irakischen Hasspredigers Abu Bakr alBagdadi. Gleichzeitig allerdings unterstrichen die syrisch-kurdischen Kräfte, dass damit der Kampf gegen die Radikalmuslime noch nicht beendet sei. Schläferzellen in den befreiten Gebieten hatten bereits in der jüngeren Vergangenheit wiederholt Anschläge auf die demokratischen Kräfte begangen; die politische Idee jener, die unter anderem einen Völkermord an der Glaubensgemeinschaft der Jeziden begangen haben, sei nach wie vor virulent. Diese Einschätzung teilt US-General Joseph L. Votel wenn er feststellt, dass der Kampf noch nicht beendet sei. Er werde gemeinsam fortgesetzt werden, bis Daesh (die arabische Bezeichnung des IS) abschließend vernichtet ist.
Die Vorstellung eines weltbeherrschenden Islam, wie ihn der IS verfolgt, basiert auf dem wortgetreuen Verständnis der islamischen, im Koran niedergeschriebenen Imperialismusideologie. Sie hat seit dem Siegeszug der reaktionären, schiitischen Mullahs im Iran und mit massiver Unterstützung durch den Wahabismus der sunnitischen Söhne Saud ihren Weg gefunden vor allem in die Köpfe junger Muslime, deren begrenzte, geistige Fähigkeiten ihr Scheitern an der Moderne prägt. Auf diesem Wege wurde sie sowohl als Idee, aber auch durch IS-Kämpfer bis tief nach Europa hinein importiert, nachdem Angela Merkel 2015 die Grenzen für sogenannte Flüchtlinge unkontrolliert geöffnet hatte.
Die Kurden tragen die Hauptlast
Der militärische Sieg von Kurden und demokratischen Arabern über die letzte Hochburg des IS ist insofern erst einmal nichts anderes als ein Etappensieg. Nicht nur die Frage, wie mit den gegenwärtig über 9.000 gefangenen IS-Kämpfern und ihren in kurdischen Lagern festgesetzten Familien zu verfahren ist, bleibt ungeklärt. Offen ist auch, wann die Türkei, die bereits völkerrechtswidrig das kurdisch-syrische Afrin besetzt hat, aktiv gegen die YPG vorgehen wird. Diese Absicht haben Erdogan und seine Minister wiederholt und unmissverständlich verkündet und begründen sie damit, dass die YPG zur PKK gehöre und deshalb „terroristisch“ sei.
Tatsache ist, dass die YPG in ihrem Befreiungskampf gegen die regionalen Hegemonialmächte sich manches bei der PKK abgeschaut hat. Tatsache aber ist auch, dass sie – wie vom Führer der PKK im Interview mit dem Autoren bestätigt – organisatorisch und inhaltlich unabhängig von der Türkisch-Kurdischen Befreiungsbewegung agiert.
Tatsache aber ist vor allem auch, dass die YPG, in deren Reihen Frauen und Männer gleichberechtigt gegen den Feind kämpfen, die Hauptlast bei der Niederwerfung der islamischen Fundamentalisten getragen hat und nach wie vor trägt. Hierbei wurde sie von den USA logistisch und mit Material ebenso wie mit Luftwaffeneinsätzen unterstützt.
Der vorläufige Sieg über den Islamischen Staat ist insofern einer, den die syrischen Kurden mit den mit ihnen verbündeten Arabern und den USA errungen haben. Wenn also jemand den Fall der Stadt Baghus zu feiern hat, dann sind es diese Kräfte – niemand sonst.
Maas-los peinlich
Das allerdings sieht Mr Maas-los Peinlich Heiko Maas offensichtlich anders. Über Twitter verbreitete er:
„Baghus ist befreit! Ein wichtiger Schritt ist getan. IS beherrscht kein Gebiet mehr. Möglich war das nur durch eine beispiellose internationale Zusammenarbeit, zu der Deutschland beigetragen hat. #strongerUNited“
Der berechtigte Shitstorm ließ nicht auf sich warten. Denn tatsächlich hat Deutschland nicht das Geringste dazu beigetragen, dass der IS nun auch in Baghus besiegt werden konnte. Die deutsche Ausbildungshilfe konzentrierte sich auf die Kräfte der Barzani-Kurden im Nordosten des Irak – nicht auf jene Kurden, die in Syrien gegen den IS kämpfen.
In Sachen YPG hat sich die Bundesregierung hingegen jederzeit dem Sultan aus Ankara unterworfen, selbst das Zeigen der Symbole der mit dem Westen verbündeten YPG als angebliche Terrorsymbole unter Strafe gestellt. Stattdessen rollen heute deutsche Leo-Panzer mit türkischer Besatzung und türkischen Hoheitszeichen durch das einstmals friedliche Afrin, um Erdogans Traum der radikalen Umvolkung zu befördern. Denn Berichte aus den türkisch besetzten Gebieten besagen, dass vor allem die von Erdogan für die Drecksarbeit angeheuerten Radikalmuslime aktiv daran arbeiten, die kurdische Bevölkerung aus ihren Wohngebieten im Nordwesten Syriens zu vertreiben, um sie durch linientreue Turkmenen und Araber zu ersetzen.
Einfach nur schäbig
Deutschland, Herr Maas, hat durch seine unterwürfige Unterstützung der Erdogan-Türkei lediglich dazu beigetragen, dessen genozid-verdächtiges Vorgehen gegen die Kurden zu unterstützen. Zur Befreiung der vom IS gehaltenen Gebiete in Syrien hat es absolut nichts beigetragen.
Wenn Sie als deutscher Minister des Auswärtigen schon meinen, unqualifizierte Kommentare abgeben zu müssen zur Erfolgen, an denen Sie nicht den geringsten Anteil haben, dann hätte es ein Mindestmaß an Anstand zumindest erfordert, jenen den angemessenen Respekt zu zollen, die mit einem erheblichen Blutzoll diesen Erfolg erkämpft haben – und die wie schon so häufig in ihrer Geschichte kurz davor stehen, einmal mehr von ihren europäischen Partnern verraten zu werden, wenn Deutschland und die EU Erdogan das islambruderschaftliche Grünsignal für seinen nächsten Überfall auf die Kurden geben werden.
Die unmittelbaren Reaktionen ihres früheren Koalitionskollegen Volker Beck sowie des Vertreters der Kurdischen Gemeinde Deutschland, Ali Ertan Toprak, sind insofern mehr als berechtigt.
Beck konnte sich nur noch in den blanken Zynismus retten: „Ohne die deutschen Truppen am Boden wäre das nicht möglich gewesen. Ach, halt, das waren ja die Kurden. Und was tut Deutschland nun für die?“
Toprak findet für Sie, Herr Maas, nur noch das Wort „schäbig“: „Briten, Franzosen und Amerikaner haben die Kurden beim Namen genannt. Heiko Maas lobt sich selbst. Unfassbar schäbig, wie Deutschland den Beitrag der Kurden unterschlägt, um ja nicht die Türken zu verärgern … Was für eine rückgratlose Politik …“
Dem ist nichts hinzuzufügen. Den Sieg über den Islamischen Staat haben Kurden und Amerikaner gewonnen, während die Deutschen ihre Tore offenhalten für jene Mörder, die sich aus den Reihen des IS rechtzeitig haben absetzen können. Ihr Tweet, Herr Maas, ist nicht nur unfassbar – er ist maß-los schäbig und charakterisiert jenen Typus eines inhaltleeren, geschmeidigen Parteifunktionärs, der die Bürger sich zunehmend mehr mit Entsetzen von der Politik abwenden lässt.