Stößt keine Region der Welt pro Kopf so viel Kohlendioxid aus wie Sachsen? Das behauptete gerade ein Landtagsabgeordneter der Linkspartei. Es handelt sich um groben Unfug – und gleichzeitig um ein Symptom.
Seit dem Aufstieg der perfekt gemanagten 16jährigen Schwedin Greta Thunberg zur politischen Figur scheint eine Art Wettbewerb um die absurdeste Klima-Aussage geführt zu werden. Erlaubt ist praktisch alles, was zu Thunbergs Kernsatz passt: „Ich will, dass ihr in Panik geratet.“
Über den Klimasünder Sachsen verbreitete der „klimaschutzpolitische Sprecher“ der Links-Fraktion Marco Böhme in einer Pressemitteilung:
„Es ist erschreckend, wie hier im Landtag der menschengemachte Klimawandel geleugnet wird bzw. behauptet wird, andere Länder seien schlimmer. Deutschland und Sachsen sind seit hundert Jahren CO2-Großemittent und damit verantwortlich für den Klimawandel, Sachsen ist pro Kopf weltweit Spitzenreiter.
Die sächsische Koalition hat Solarworld pleitegehen, die Pumpspeicherwerke vergammeln lassen und vernachlässigt die Windenergie. Daher haben die jungen Menschen kein Vertrauen mehr zu dieser Politik, die seit Jahrzehnten den Ausstieg aus der Kohle bekämpft und die Erneuerbaren blockiert.“
Daran gehört praktisch alles entweder in die Kategorie „Fake News“ beziehungsweise Unfug. Es gibt schon „den menschengemachten Klimawandel“ nicht: Das Klima wandelt sich, seit es ein Klima gibt. Seit dem Erscheinen des Menschen auf der Erde, vor allem seit der Industrialisierung, so die Annahme der Wissenschaft, gibt es einen menschengemachten oder so genannten anthropogenen Anteil daran (etwa 96 Prozent des CO2 stammt aus natürlichen Quellen). Für die Behauptung, Sachsen sei „weltweit Spitzenreiter“ beim Pro-Kopf-Ausstoß von CO2, liefert Böhme keinen Beleg. Kein Wunder: Sachsen liegt noch nicht einmal innerhalb Deutschlands an der Spitze. Die energiebedingten Kohlendioxid-Emissionen des Bundeslandes betrugen 2016 12,1 Tonnen pro Kopf, die von Brandenburg – dünner besiedelt, viele Kohlekraftwerke – bei 22,5 Tonnen. Wie sieht es im internationalen Vergleich aus?
Deutschland stieß 2017 laut Daten der EU 9,47 Tonnen pro Kopf aus (und gehörte damit zu den Ländern mit wachsender Emission, 2016 waren es 9,37). Aber dünn besiedelte Länder rangieren natürlich sehr viel weiter oben in der Tabelle, Curacao etwa mit 45,10 Tonnen, Staaten mit mittlerer und geringer Bevölkerungsdichte und starker Kohleverstromung wie Kanada (18,62), Australien (17,22), Estland (17,10) und Kasachstan (12,88), Ölscheichtümer (Oman 19,87 Tonnen), aber auch Kleinstaaten mit hohem Lebensniveau (Luxemburg 17,61 Tonnen).
Pro-Kopf-Zahlen sagen ohnehin wenig, wenn es um die menschenverursachte CO2-Produktion geht. Hier liegt China praktisch uneinholbar an der Spitze mit 10,4 Millionen Kilotonnen, etwa 27 Prozent des weltweiten Ausstoßes. Deutschland trägt etwa 2,3 Prozent zur weltweiten CO2-Emission bei. Im Ranking des Pro-Kopf-Ausstoßes versteckt sich China übrigens mit 7,45 Tonnen bescheiden im Mittelfeld.
Auf Nachfrage von Publico, auf welche Zahlen der Linkspartei-Politiker seine Behauptung vom CO2-Pro-Kopf-Spitzenreiter Sachsen stützt, antwortet ein Fraktionsmitarbeiter: „Sie haben uns mit Ihrer Nachfrage auf einen Formulierungsfehler aufmerksam gemacht. Eigentlich sollte es heißen: ‚Deutschland und Sachsen sind seit hundert Jahren CO2-Großemittent und damit verantwortlich für den Klimawandel, Sachsen ist pro Kopf weltweit im Spitzenfeld.’“
Aber auch nur dann, wenn man den Begriff „Spitzenfeld“ sehr, sehr großzügig auslegt und gleichzeitig ignoriert, dass Pro-Kopf-Zahlen, siehe oben, bei diesem Thema wenig sagen.
In die gleiche Kategorie wirrer Anklagen rund um den Klimakatastrophismus gehört die Behauptung, das Land Sachsen habe den Solaranlagenhersteller Solarworld pleitegehen lassen. Die Solarworld AG wurde schlicht durch billigere Solarzellen aus China niederkonkurriert; das Unternehmen verbuchte schon vor seiner endgültigen Pleite 2018 Jahr für Jahr Millionenverluste, und besaß kein funktionierendes Geschäftsmodell. Einmal ganz abgesehen davon, dass die Pleite-Firma ihren Sitz nicht in Sachsen hatte, sondern in Nordrhein-Westfalen. Und Pumpspeicherkraftwerke kann Sachsen schon deshalb nicht „vergammeln“ lassen, weil das Land gar keine betreibt. Richtig ist, dass Betreiberunternehmen nicht mehr in Pumpspeicher investieren, weil deren altes Geschäftsprinzip – mit billigem Nachstrom nach oben pumpen, zur Nachfragespitze tagsüber nach unten – unter den Preisbedingungen des massenhaften Grünenergie-Ausbaus nicht mehr funktioniert.
Und das ist nicht nur in Sachsen so.
Aber es kostet eben Zeit, Zahlen und Zusammenhänge zu sortieren. Panik- und Klimaschuld-Rhetorik lässt sich jederzeit billig und eingängig produzieren.
Eine besondere Kostprobe des Wir-wollen-eure-Panik-Modus lieferte die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock ab. Als Gast bei Maybritt Illner verkündete sie am 13. Dezember 2018 zur beste Sendezeit:
„Deutschland hat pro-Kopf Emission von 9 Gigatonnen pro Einwohner.“
Das wäre wirklich bedenklich. Denn eine Gigatonne – das sind eine Milliarde Tonnen. Tatsächlich liegt der statistische Pro-Kopf-Ausstoß, siehe oben, bei 9,47 Tonnen, Baerbock lag also um den Faktor neun daneben. Aber „Giga“ – das macht sich immer gut. Erst recht, wenn jemand die Zahl weder mit Pro-Kopf-Werten anderer Länder noch mit absoluten Zahlen ins Verhältnis setzt. Wenn sich die Grünen-Vorsitzende zur Klimapolitik äußert, dann öfter nach dem Motto: Darf’s ein bisschen mehr sein? In einem Streitgespräch mit dem FDP-Chef Christian Lindner behauptete Baerbock in der ZEIT (4/2019), „Pro Kopf stoßen wir doppelt so viel CO₂ aus wie Frankreich und zehn mal so viel wie Schweden.“ Schwedens Pro-Kopf-Emissionen liegen bei 4,54 Tonnen. Deutschland liegt etwa beim Doppelten. Aber eben nicht beim Zehnfachen. Das Streitgespräch mit dem falschen Zahlenverhältnis (und etlichen anderen verdrehten und durcheinandergeschüttelten Fakten) steht noch immer unkorrigiert auf der Grünen-Webseite.
Diese Freizügigkeit im Faktischen passt zu Baerbocks mittlerweile legendären Offenbarung im Deutschlandfunk (21.1. 2018), wie das Problem fehlender Stromspeicher zu lösen wäre: „Das Netz ist der Speicher.“
Eine Fake News besonderer Qualität setzte die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg am 11. März 2018 in Umlauf.
„Heute gedenken wir der vielen tausend Opfer der Atomkatastrophe von Fukushima“, twitterten die Verantwortlichen, die Steuergelder eigentlich dafür erhalten, aufzuklären. Tatsächlich starben damals etwa 16.000 Menschen in Japan durch einen Tsunami. Die Zahl der Strahlentoten von Fukushima lag lange bei Null, und seit September 2018 bei einem Opfer. Schon 2013 praktizierte Claudia Roth den abgebrühten Propagandaschwindel, die Tsunami-Toten einfach zu Atomkraftopfern umzulabeln.
Bei Greta Thunberg handelt es sich um eine 16jährige Aktivistenfigur – bei dem Linkspartei-Politiker Marco Böhme, bei Annalena Baerbock und Claudia Roth um Erwachsene, die tatsächlich weitreichende Entscheidungen treffen dürfen.
Die grüne Bundespolitikerin Katrin Göring-Eckardt verzichtete vorsichtshalber ganz auf Zahlen und Fakten, als sie am vergangenen Wochenende eine Kanzelrede in der Duisburger Salvator-Kirche hielt, in der sie Greta Thunberg mit dem alttestamentarischen Propheten Amos verglich. „Mich erinnert Greta an die Stelle aus dem Prophetenbuch Amos, wo es heißt: ‘Sie hassen den, der im Tor Recht spricht, und verabscheuen den, der die Wahrheit sagt’“, meinte die Bundestagsabgeordnete, die früher einige Theologievorlesungen gehört hatte.
Ein anderes Wort von Amos wäre sogar noch treffender gewesen, vor allem für ihre Bemühungen und die von anderen Politikern und Panik-Aktivisten:
„Euch allein habe ich erwählt von allen Geschlechtern der Erde, darum suche ich an euch heim all eure Schuld.”
Dieser Beitrag von Alexander Wendt ist zuerst bei PUBLICO erschienen.