Tichys Einblick
In der Protest-Schule

„Fridays for Zukunftsangst“

„A, Anti, Anticapitalista!“, skandierte ein Mittzwanziger im schwarzen Kapuzenpulli einen Schlachtruf der Autonomen-Szene. Die klimabewegten Schüler schrien ihm nach, so laut sie konnten. Ihre Eltern, Lehrer und sonstigen Begleiter zückten die Handykameras und strahlten begeistert.

Eine Jugendrevolte sind die „Fridays for Future“, die man treffender „Fridays for Zukunftsangst“ nennen könnte, sicher nicht. Denn dafür bekommen die Jungs und Mädchen, die freitags die Schule schwänzen, um gegen den Klimawandel zu demonstrieren, viel zu viel Applaus von den Älteren. Journalisten, Politiker, Lehrer — alle sind ganz begeistert von der plötzlich so „engagierten“ Jugend. Kein Wunder, plappern die Kleinen doch vor allem das nach, was ihnen die Großen jeden Tag einbläuen: Bald geht die Welt unter. Schuld daran sind Energiekonzerne, Donald Trump und der böse Kapitalismus.

Eine Schulleiterin hat neulich ihrer Lokalzeitung in bemerkenswerter Offenheit erklärt, dass sie sich noch viel stärkeren Protest wünsche. „Es müsste wehtun“, sagte sie der „Frankfurter Neuen Presse“. Sie erinnere sich an Zeiten, in denen sie „selbst an Blockaden und ähnlichen Protesten teilgenommen habe, um die Gesellschaft aufzurütteln“, heißt es in dem Artikel. „Wenn die Schüler nachmittags eine Hauptverkehrsstraße blockieren und die ganzen Abgasverursacher ausbremsen würden, wäre das wirkungsvoller, als morgens durch die Innenstadt zu laufen. Das ist zu bequem, das tut niemandem weh.“

Beherzigt hat diese Nachhilfelektion bisher noch keiner ihrer klimarettenden Schüler. Die Großdemonstration lief in Frankfurt am vergangenen Freitag genauso friedlich und störungsfrei ab wie in anderen Städten. Rund 6.000 Teilnehmer trafen sich laut Frankfurter Polizei in der Innenstadt. Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) freute sich darüber so sehr, dass er die 16-jährige Galionsfigur der Schulstreiks per Twitter nach Frankfurt einlud: „Ich teile die Ziele der protestierenden Schülerinnen und Schüler für mehr Klimaschutz von ganzem Herzen. Es wäre großartig, wenn auch die Mit-Initiatorin, @GretaThunberg, nach Frankfurt kommen würde. Ich lade sie herzlich zu uns ein! #FridaysForFurture“.

Bei der Demonstration in Frankfurt mischten sich auffallend viele Erwachsene unter die Schulschwänzer. Es waren Väter in Regenjacken, die ihre kleinen Töchter an der Hand durch die Menge lotsten. Wohl in der Hoffnung, eine neue Greta großzuziehen. Es waren Mütter, die ihren Kindern selbst gebastelte Schilder und Klimawandel-Skulpturen (Erdkugel am Galgen über Grillrost) hinterhertrugen wie vergessene Turnbeutel. Und es waren Grundschullehrerinnen, die ihre halbe Klasse zur Demo geschleift hatten. „Seid ihr schön brav?“, fragte eine vorbeigehende Frau die Kindergruppe. „Jaaa“, schallte es aus dem guten Dutzend kleiner Kehlen zurück. „Das sollt ihr doch gar nicht“, sagte die Frau und ging weiter. Protest kann in dieser Stadt, die stolz darauf ist, einen Straßenschläger hervorgebracht zu haben, der später Außenminister wurde, nicht früh genug gelernt werden.

Direkt hinter den Grundschülern standen drei ältere Herren mit roter Flagge. Sie verteilten Flugblätter des kommunistischen Jugendverbands „Rebell“. Unter der Überschrift „One Solution — Revolution!“ versucht die vom Verfassungsschutz beobachtete Parteiorganisation darin den Spagat zwischen Klimaschutz und Klassenkampf: „Um unsere Erde zu retten, müssen wir den Kapitalismus revolutionär überwinden! Als Jugendverband der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) ist unsere Perspektive dabei der echte Sozialismus. Erst wenn die kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung abgeschafft ist, kann die Menschheit in Einheit mit der Natur leben.“ Leider sind die Adressaten des Flugblatts zu jung, um sich daran zu erinnern, welch’ Umweltparadies der echte Sozialismus seinerzeit im östlichen Teil Deutschlands geschaffen hat.

Was bei Anti-Merkel-Demonstrationen wie in Dresden oder Chemnitz heftig kritisiert wurde — dass harmlose Bürger gemeinsam mit Extremisten auf die Straße gehen — interessiert offenbar niemanden, wenn es ums Klima geht. Denn die ergrauten Stalinisten der MLPD waren nicht die einzigen Linksradikalen, die sich bei „Fridays for Future“ unter die streikenden Frankfurter Schüler mischten. Ein Transparent der „Linksjugend Solid“ wurde mitten im Demonstrationszug hochgehalten. Das Motiv: eine Erdkugel, auf der ein erdrückender Stapel Dollarscheine lastet. Die Textbotschaft: „Ausgebeutet und zerquetscht — Weg mit dem Kapitalismus für unsere Zukunft“. Und vorneweg lief ein Mittzwanziger im schwarzen Kapuzenpulli, der den minderjährigen Demonstranten kräftig einheizte. „A, Anti, Anticapitalista!“, skandierte er mit krächzender Stimme einen Schlachtruf der Autonomen-Szene. Die klimabewegten Schüler schrien ihm nach, so laut sie konnten. Ihre Eltern, Lehrer und sonstigen Begleiter zückten die Handykameras und strahlten begeistert.


Sebastian Ludwig hat zugesehen.

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