„Nun sag, wie hast du’s mit dem Genderdeutsch?“ – dieser Gretchenfrage müssen sich heute alle stellen, die in der Öffentlichkeit sprachlich auftreten. Die kürzlich vom „Verein für Deutsche Sprache“ initiierte Unterschriftenaktion „Schluss mit dem Gender-Unfug!“ hat dies deutlich gemacht. Die Reaktionen in den Medien (vgl. Josef Kraus in TE 10. März) waren mehr positiv als negativ. Bei den negativen fällt auf, dass sie kaum sprachliche Argumente bringen, sondern politische: Die Aktion wird eingeordnet in ein „reaktionäres Weltbild“ (dpa) mit „nationalistischen Tendenzen“ (Münchner Merkur) und „in den Dunstkreis der AfD“ (Süddeutsche Zeitung). Allerdings stellt die SZ (8. März) sich selbst die Gretchenfrage und gibt zu, es sei „schwierig, [beim Genderdeutsch] völlige Konsequenz zu üben, auch die Süddeutsche Zeitung tut dies bislang nicht“. Wie konsequent ist nun die SZ beim Gendern?
Das sprachliche Problem des Genderdeutsch liegt in der Grammatik, und hier beim Ersatz des sogenannten „generischen Maskulin“: Stellen wir uns ein Kind vor, das in der Ferne eine Gruppe reitender Personen sieht und sagt: „Ich sehe Reiter“. Aus der Nähe betrachtet können diese reitenden Personen Männer sein, Männer und Frauen oder nur Frauen. Im letzten Fall sagt man im Feminin: „Ich sehe Reiter-innen“; in den beiden ersten ist die Maskulinform üblich, die also eine semantische Doppelfunktion hat: Sie bezeichnet erstens nur männliche Personen und zweitens, als „generisches Maskulin“, männliche und weibliche. Das generische Maskulin wird auch verwendet, wenn die Geschlechtszugehörigkeit unklar ist: „Ein unbekannter Täter“ kann ein Mann oder eine Frau sein.
Der Kandidat schlägt dem Dekan zwei Prüfer vor
lautet dann in Genderdeutsch übersetzt:
Der Kandidat/die Kandidatin schlägt dem Dekan/der Dekanin zwei Prüfer/Prüferinnen oder einen Prüfer und eine Prüferin vor.
Das hier benutzte Verfahren nennt man „Paarformel“ oder „Splitting“, und ist umständlich und wenig sprechbar, in graphischen Varianten wie Der/die Kandidat(in) wird es zwar kürzer, aber unaussprechlich.
Wie hält es die Süddeutsche Zeitung mit dem generischen Maskulin? Nun, sie verwendet es ausgiebig. Ausgewertet wurde die Ausgabe vom 11. März, Seite 1 bis 8. Das generisches Maskulin, zum Beispiel also (die) Beamten, Wähler, Bürger, Nutzer; jeder Dritte wurde in 161 Fällen genutzt, das ist eine Quote von 72 Prozent. Die Neutralform wie etwa Fans, Mitglieder, Kinder; (die) Deutschen, Reisenden wurde in 58 Fällen genutzt, die Quote beträgt hier 26 Prozent (Kollektivbezeichnungen wie Volk, Leute, Studentenschaft blieben unberücksichtigt). Wenig Verwendung findet mit fünf Nennungen und einer Quote von zwei Prozent die Paarformel (Splitting) wie etwa Richter und Richterinnen, Richterinnen und Richter. Vollständig vermeidet das Blatt aus München graphische Formen wie Richter/-innen, RichterIinnen, Richter*innen.
Fast drei Viertel der geschlechtergemischten Personengruppen werden in der SZ durch das generische Maskulin ausgedrückt. Das ist die Untergrenze; denn in insgesamt 30 Fällen, die nicht gewertet wurden, bleibt sachlich unklar, ob die Gruppe nur aus Männern besteht oder aus Männern und Frauen: Zum Beispiel lässt sich aus dem Artikel „Auf Patrouille [in Mali] mit deutschen Soldaten“ nicht entnehmen, ob auch Soldatinnen zur Patrouille gehörten.
Die Neutralform bezeichnet ein Viertel der geschlechtergemischten Personengruppen: viele/einige Abgeordnete, Profis, Stars, Jugendliche, Erwachsene etc. Die Paarformel kommt nur ausnahmsweise vor, in einem einzigen der 43 Artikel, in dem es um die Neuwahlen für den Bundesgerichtshof (BGH) geht: „An den Bundesgerichtshof werden 18 neue Richter gewählt“, lautet die Überschrift; im Text wird für diese Gruppe achtmal das generische Maskulin Richter verwendet und fünfmal Richterin(nen) und Richter bzw. Juristinnen und Juristen. Weshalb verwendet der Autor hier einige Mal die Paarformel? Vermutlich nicht, um zu gendern, sondern aus stilistischen Gründen: Er will hervorheben, dass auch Frauen an die Bundesgerichte kommen: „Nun werden also 18 neue BGH-Richterinnen und Richter gewählt“. Diese sprachliche Hervorhebung, bei der wie in der Anrede die Frauen zuerst genannt werden, wirkt aber nur, wenn ansonsten im Text das generische Maskulin die Regel ist. Bei durchgängiger Paarformel würde niemand hervorgehoben.
Fazit
Gendering kommt in der Süddeutschen Zeitung faktisch nicht vor. Die SZ schreibt wie die meisten Sprachteilnehmer ein grammatisch übliches Deutsch, also genau so, wie die Aktion „Schluss mit dem Gender-Unfug!“ es fordert: Ein Deutsch für alle, nicht eine Sondersprache für wenige.