Tichys Einblick
Europa vor der Wahl

Bei Anne Will wollte es nicht werden

Die FDP gegen Planwirtschaft, aber mit Macron? Die CD(S)U will mehr EU – mit Orban? Da fand sich bei Will nicht mal Zeit zum gemeinsamen Bashing.

Screenprint: ARD/Anne Will

Ein Stuhlkreis über EU-Europa ohne grüne Krawallschwestern oder rote Pöbelnaturen? Ach, dachte die Anne Will-Redaktion wahrscheinlich, die Beatrix von Storch schaffen Christian Lindner und Manfred Weber auch alleine. Und dann saßen ja auch noch eine Frau Kahlweit vom Süddeutschen Beobachter dabei und der griechische Hallodri Yanis Varoufakis. Das dürfte ja wohl reichen.

Aber das war wohl eine Fehleinschätzung, denn die Vize-Vorsitzende der AfD-Fraktion im Bundestag entkam selbst dort den ein, zwei Angriffen ohne Blessuren, wo sie, etwa bei der Frage nach der Teilnahme an der EU-Wahl bei gleichzeitiger Überlegung der Abschaffung des EU-Parlaments, leicht in die Defensive geriet.

Denn die Kandidaten der konkurrierenden Parteien hatten ganz andere Probleme als die AfD – nämlich sich selbst. Lindner geriet schon nach dem ersten Gong ins Schwimmen, denn einerseits tritt er mit Macron auf derselben Liste zur EU-Wahl an, andererseits kann er den Macronschen Wunsch nach mehr Planwirtschaft kaum mit seinem innenpolitischen Gerede in Einklang bringen. Daher flüchtete er schon früh in „Werte“, „Interessen“ und „bestimmte große Fragen“, die man nicht alleine …

Bei den Binsen aber war Manfred Weber zu Hause, der tatsächlich vom „besten Europa, das wir jemals gehabt hatten“ und „Wohlstand, den wir nie hatten“ schwadronierte, und man kann das vielleicht damit entschuldigen, dass er Jahrgang 1972 ist, also erst 46 Jahre alt, wie er selber betonte, und er das großartige Europa vor der EU in ihrer heutigen, ausufernden Form bis in die Achtziger des letzten Jahrhunderts einfach nicht kennt. Außerdem vertritt er die Sichtweise eines Unionsfunktionärs, der begeistert aufzählte, dass allein in den letzten sechs Monaten 50 Verordnungen und Richtlinien auf den Weg gebracht seien über Klima, Autos, Plastik und über eine EU-weite Verbrecherkartei, so dass sich die europäischen Polizeien nun (Jetzt erst? Wirklich?) über ihre Pappenheimer austauschen könnten. Schön. Die eigentlich Frage ist aber dann: Wozu brauchen wir dann noch diese Berliner Regierung? Die macht doch alles Gute?

Lindner wollte dann bei den Steuerzahlern unter den Zuschauern Punkte machen, indem er populistisch gegen eine gemeinsame Einlagensicherung der Banken sei, und dass statt des Steuerzahlers bei einer Schieflage der Banken gefälligst die Eigentümer und die auf die Dummheit der EU Spekulierenden zahlen sollten.

Hier soll kurz Varoufakis zu Wort kommen, der in aller Deutlichkeit die Fakten auf den Tisch legte: Wir haben längst eine Schuldengemeinschaft. Das geht ja auch gar nicht anders bei einer gemeinsamen Währung, und er erinnert grinsend an 2010. Lindner möge doch einfach sagen wofür er sei, nicht nur wogegen.

Heute sei „man“ neun Jahre weiter, glaubt Lindner allen Ernstes, und dann sei er auch gegen den EU-europäischen Mindestlohn, wie auch die Bundesregierung. Da korrigierte ihn Diplomjournalistin Will, Maas habe heute das Gegenteil gesagt, aber Lindner sagte, was weiß der schon. Die Redaktion piepte die Diplomjournalistin dann an, jawohl, das stehe im Koalitionsvertrag. Egal, schwamm Lindner weiter, er sei für eine EU-Europäische Initiative für disruptive Irgendwas, also Künstliche Intelligenz. Aber mittlerweile geht es ja auch um eine allgemeine EU-gleiche und EU-weit einheitliche Arbeitslosen- und Sozialversicherung bei der sich die Frage stellt, ob das deutsche Sozialstaatsniveau auf das rumänische abgesenkt wird oder das rumänische auf das deutsche angehoben wird, was wiederum nur die Deutschen bezahlen würden, was also dann irgendwie egal wäre. Aber dieses Thema wird natürlich nicht behandelt. Dafür: Orban, der Ungar.

Langsam und ungesteuert wurde die Veranstaltung zum unfreiwilligen und vielleicht sogar unbemerkten Offenbarungseid der Mehr-EU-Parteien CDU/CSU und FDP, da wird die Diplomjournalistin Will wohl zu einer strengen Nachbesprechung müssen. Lindner haute dem selbstgefälligen Weber dann seinen Koalitionsfreund Orban um die Ohren mit dem Göring-Eckhardt-Ausruf: Trennen Sie sich von Victor Orban!

Allen Ernstes wurde die Orban-Kritik am Spekulanten und angeblichen Europa-Freund Soros als Antisemitismus bezeichnet, und die Süddeutsche Beobachterin behauptete, Orban fördere Antisemitismus. Während ausgerechnet Deutschland und Frankreich massenhaft und fortgesetzt Antisemiten importieren. Weber rief in einem Atemzug zum Kampf gegen denselben und gegen Kinderpornographie auf; ein Kampf, der nur mit der EU möglich sei. Und ja, gegen Orban lägen alle Optionen auf dem Tisch. Das war für von Storch die Gelegenheit, anzumerken, Weber brauche die Stimmen der Ungarn um Kommissionspräsident werden zu können. Warum an dieser Stelle der jetzige, Schonklod Juncker mit einem seiner bereits berüchtigten Ischias-Auftritte eingeblendet wurde, weiß der Himmel.

Lindner bewies die Biegsamkeit seiner Argumente, indem er nun behauptete, ausgerechnet Orban, der die ungarischen EU-Außengrenze lückenlos schließt, stünde gegen den Erfolg eines einheitlichen EU-Grenzschutzes.

Weber beklagte die Hochnäsigkeit der Westeuropäer gegen die Osteuropäer, er aber wolle Brückenbauer sein, wohl wie der bayerische Papst Benedikt, der aber nicht mehr im Dienst ist.

Will Annes Attacke auf Beatrix kam zu spät, um noch den miserablen Eindruck der anderen Parteigänger korrigieren zu können. Sie verhedderte sich in einem Zahlenspiel, nach dem ihr 96 deutsche Stimmen in einem 750-Köpfe-Parlament zu wenig seien, und Lindner versuchte das dann mit dem unsinnigen Vergleich der paar Bremer Stimmen im Bundestag zu kontern, was ihm auch nicht über seine allgemeine Konturlosigkeit hinweg half.

Da wird der Staatsfunk und die ihn begleitende Presse noch einen Zahn zulegen müssen, um uns diese EU der CDU/CSU/SPD/Grünen und FDP schmackhaft zu machen, und wir wollen ausgerechnet mit einer Feststellung eines Journalisten aus der linksgestrickten „Wiener Zeitung“ enden, der über den Zustand der EU noch 2016 schrieb:

„Eines der Fundamente sind die sogenannten Maastricht-Kriterien. Das sind Obergrenzen für Budgets, Inflation, Staatsverschuldung. Wenn Großkonzerne Milliardengewinne steuerschonend herumschieben können, während die Jugendarbeitslosigkeit in den meisten Ländern zwischen 15 und 25 Prozent liegt, dann läuft etwas ziemlich falsch.“

Daran hat sich nicht ein Jota geändert. Gute Nacht.

Die mobile Version verlassen