Tichys Einblick
#Narrengate

Für offene Scherzgrenzen

Darf man Witze über Minderheiten machen? Jederzeit. Die meisten können es nur nicht. Politiker im Karneval schon gar nicht. Ein Beitrag von Alexander Wendt.

imago/Becker&Bredel

Treffen sich eine CDU-Chefin und eine Bundesjustizministerin beim Karneval. Tusch. Eine Pointe gibt’s nicht, tätä. Wär‘ auch noch schöner.

Von der Karnevalsaison 2019 bleibt eine Flammenschrift an der Wand, künftigen Politikergeschlechtern jeder Nummerierung zur Mahnung: #Narrengate. So heißt das nämlich, wenn konkurrierende Politiker und das Berliner Kommentariat Annegret Kramp-Karrenbauer vorwerfen, vor dem Stockacher Narrengericht einen Witz über Intersexuelle gemacht zu haben, also über eine Minderheit.

Die Sache landete nicht nur in vielen Zeitungen, sondern sogar in der nächsten Gerichtsinstanz,

drohender Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan hin oder her. Der Hochkomiker unter den deutschen Landespolitikern, Berlins regierender Bürgermeister Michael Müller, rügte die Haltung hinter Kramp-Karrenbauers Witz, oder vielmehr, die fehlende Haltung. Karrenbauers Delikt hörte sich so an:

„Wer war denn von euch vor kurzem mal in Berlin? Da seht ihr doch die Latte-Macchiato-Fraktion, die die Toiletten für das dritte Geschlecht einführen. Das ist für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder noch sitzen müssen. Dafür, dazwischen, ist diese Toilette.“

Berlins Bürgermeister und andere machten sich einer Fakenewsverbreitung schuldig. Denn Karrenbauer hatte in Stockach nicht nur keinen Witz über Intersexuellentoiletten erzählt, sondern überhaupt keinen Witz. Die Pointen in ihrer Rede hätte selbst Oliver Welke noch zehnmal umschreiben müssen, bevor sie im Papierkorb gelandet wären. Das war allerdings noch gar nichts gegen den Auftritt von Justizministerin Katarina Barley, die als Freiheitsstatue verkleidet in die Bütt kam, um zu erzählen, sie sei gerade aus den USA emigriert, selbstredend wegen Trump, der eine Mauer bauen möchte, statt sich an Ronald Reagan ein Beispiel zu nehmen, der bekanntlich unter dem Jubel aller progressiven Kräfte Deutschlands in Berlin tear down this wall gerufen hatte. Erst, so Barley, habe sie erwogen, nach Frankreich zu emigrieren, weil, „Macron steht ja auf ältere Semester“, tätä, aber sie sei wegen der schlimmen Gelbwesten dort auf Asylsuche ins eigentliche Mutterland der Freiheit abgeschwenkt, nach Deutschland. Was wiederum nicht als Pointe gemeint war.

Als Highlights der närrischen Saison 2019 im Land der Freien und Legeren bleiben uns also: erstens der matte Versuch des Komikers Bernd Stelter, in der WDR-Karnevalssendung einen Scherz über Frauen mit Doppelnamen zu reißen, worauf eine Frau namens Gabriele Möller-Hasenbeck die Bühne erklomm und ihm sagte, so etwas ginge im 21. Jahrhundert gar nicht (worauf wiederum die WDR-Oberen sich tagelang fragten: Wolln mer rausschneide? Oder doch nicht?). Zweitens die Witzhaubitzen Kramp-Karrenbauer und Barley, und drittens die dringende Empfehlung eines Hamburger Kindergartens, die Kleinen auf keinen Fall im Indianerkostüm zum Fasching zu schicken, das sei diskriminierend, weil kulturelle Aneignung.

Der Witz, das wusste der Königsberger Komiktheoretiker Immanuel Kant, entsteht „aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts“ (Kritik der Urteilskraft, Kapitel 64). Wenn Politiker auf die Karnevalsbühne treten, dann fehlt schon die gespannte Erwartung. Denn Faschingsreden von Parteivorsitzenden mit oder ohne Doppelnamen entstehen im Ausschlussverfahren. Ein Witz über Merkel? Die Frau eignet sich dafür wie Schuhcreme zum Fensterputzen. Ein Jokus über grüne Tugendbürger, die katharinaschulzegleich tonnenweise Kerosin verjubeln, aber im Flugzeug die Stewardess fragen, ob der Kaffee fair gehandelt ist?

Bloß nicht, die Leute will die CDU ja als Wähler. Karrenbauer hätte auch die Sache mit der kulturellen Aneignung als Vorlage nehmen können für einen Scherz über Claudia Roth: Ist es eigentlich korrekt, wenn man gar nicht beim Zirkus arbeitet, aber trotzdem Roncalli-Zelte anzieht?

Nee – das beleidigt den kommenden Koalitionspartner. Witze leben vom Klischee, und bei Karrenbauer stimmte schon das nicht. Intersexuelle sind keine Männer, die sich nicht entscheiden können, ob sie beim Pinkeln sitzen oder stehen sollen. Das – also letzteres – sind die CDU-Parteirebellen um Friedrich Merz.

Obwohl Kramp-Karrenbauer also gar keinen Witz gemacht hatte, mahnte eine Journalistin namens Anna Sauerbrey (kein Namenswitz) im deutschen Esprit-Zentralorgan „Tagesspiegel“: „Auch im Karneval muss die Würde des Einzelnen geschützt werden. Oder besser: gerade im Karneval und gerade gegen das Schenkelklopfen im Alkoholdunst, gegen chauvinistische Reflexe von angeschickerten Trinkbrüdern- und Schwestern, gegen ihren verqueren Humor und ihre Herabsetzungsgelüste.“

Wahrscheinlich ging Barley bei Sauerbrey gerade noch so durch, bis auf das alterssexistische Herabsetzungsgelüst gegenüber Mme Macron.

Zurück zur Ausgangsfrage: Darf man Scherze über Minderheiten machen? Jederzeit, sofern man kann, denn alles andere wäre echte Diskriminierung. Der Witz lebt vom Klischee, und das gedeiht in Enklaven am besten, überhaupt zielen die meisten Witze auf Exoten, also Ostfriesen, Polen, Mantafahrer und, aus Frankfurter Sicht, auf Offenbacher. Die besten Witze machen Angehörige diverser Minderheiten sowieso selbst, allen voran die Juden.

Kommt Schnorrer Moische Goldmann zum Millionär Brodsky: „Ich hab Ihnen ein Geschäft vorzuschlagen, bei dem Sie 50.000 Rubel verdienen.“

„Hübsche Summe. Worum handelt’s sich?“

„Ich hab gehört, Sie bieten dem Bräutigam Ihrer Tochter hunderttausend Rubel Mitgift. Ich nehm’ sie für die Hälfte.“

Eine Transsexuelle erzählte dem Autor dieser Zeilen einmal einen Witz, der auf dem nicht unwahren Klischee beruht, dass Transsexuelle maliziös sind:

„Was passiert, wenn eine Transe in ein Haifischbecken fällt?

Die Haie kriegen eine Identitätskrise.“

Die allerbesten Humorblüten über Schwule zeichnete und schrieb der Kölner Autor Ralf König, der in seinem mehrbändigen Konrad-und-Paul-Werk sämtliche Klischees seines Milieus verarbeitet, und das auch noch massenkompatibel wie Wilhelm Busch: Von König stammt die Vorlage zu dem Film „Der bewegte Mann“.

Die weltweit komischsten Behindertenwitze stammten von John Callahan, einem leider mittlerweile verstorbenen amerikanischen Cartoonisten mit gelähmten Beinen und Armen, dem der Regisseur Gus Van Sant vor kurzem ein Biopic widmete, „Don’t worry, he won’t go far on foot“ (In einem Callahan-Cartoon sagt das ein Cowboy zum anderen, als sie in der Wüste einen verlassenen Rollstuhl sehen). Einer der berühmtesten Callahan-Cartoons ist übrigens dieser:

In dem Van-Sant-Film wird auch gezeigt, wie das mit dem Zeichnen klappte.

Auch die boshaftesten Oneliner über Frauen (gut, keine Minderheit, aber ein klischeegesättigtes Ziel, genau so wie Männer) stammen von Frauen. „Für eine Spitzenposition musste man früher als Frau die Vagina noch benutzen. Heute genügt es, eine zu haben. Das ist entwürdigend” (Lisa Eckhart). Oder Bette Midler über eine echte Minderheit, nämlich Princess Anne: „Es ist bewundernswert, wie sich Princess Anne für die Natur einsetzt – wenn man bedenkt, was die ihr angetan hat.“

Eigentlich existieren nur zwei Minderheiten, die aus Prinzip keine Witze über sich selbst machen, genau genommen, überhaupt keine Witze, und die auch deshalb als Wahlverwandte durchgehen: regressive Linke und Muslime*. Beide bleiben nur halbwegs erträglich, solange sie keine Macht haben. Deshalb muss alles getan werden, damit dieser Zustand so bleibt beziehungsweise wiederhergestellt wird.

Sollten sich Anna Sauerbrey, Margarete Stokowski und Aiman Mazyek einmal zum Lachen in den Atombunker begeben, dann wäre es das beste, wenn jemand von außen abschließt und den Schlüssel wegwirft.

Würde das einmal klappen, dann könnte unsereiner einen Piccolo öffnen und sich im beginnenden Alkoholdunst auf die Schenkel klopfen.

Helau!

* Eine Ausnahme gibt es, die der Autor kennt: Sulaiman Wilms, Chefredakteur der „Islamischen Zeitung“. Von ihm stammt der Oneliner: „Wie lange dauert eigentlich Ramadan? Fast’n Monat.“ Aber Wilms, das muss bedacht werden, ist Konvertit.


Dieser Beitrag von Alexander Wendt ist zuerst bei PUBLICO erschienen.

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