Wer bei einem Londoner Buchmacher darauf gewettet hat, dass der Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg seinen Widerstand gegen jedweden Kompromiss beim Brexit auch nur mildern würde, kann sich jetzt über einen schönen Gewinn freuen. Dies war kaum zu erwarten, und doch ist es passiert: Rees-Mogg bringt plötzlich Kompromisslinien ins Spiel – er verlangt nicht mehr kategorisch die Neuverhandlung des Brexit-Vertrages wegen der Nordirland-Frage, stattdessen möchte er sich vielleicht mit einem Zusatzprotokoll und eine Befristung des sogenannten „backstop“ zufreidengeben. Sogar eine Zustimmung zum noch im Januar in Bausch und Bogen abgelehnten Brexit-Vertrag, den Theresa May verhandelt hatte, scheint möglich, wenn dieser am 12. März modifizierter Form dem Unterhaus vorliegt. Denn die tory-Front bröckelt.
Damit nicht genug. Auch Labour-Chef Jeremy Corbyn wird von seinen Getreuen in Richtung EU getrieben. Noch vor wenigen Wochen hatte er vor allem auf Neuwahlen spekuliert, dann auf Änderungen am Brexit-Vertrag; nun wurde auf Kurs in Richtung eines zweiten Referendum gezwungen, eines „public vote“. Dessen Ziel die Mehrheit von einer wachsenden Zahl der Labour-Parteigänger auch schon klar definiert ist: Bremain.
Bremain – zunächst auf Zeit
Am 14. März wird dann aller Wahrscheinlichkeit nach das Unterhaus über ebendiese Verschiebung des Brexit abstimmen. Und das ist nicht anderes als ein Bremain auf Zeit. Denn auch wenn zunächst von zwölf Wochen die Rede ist, zeigt doch ein Blick auf die ungeheure Zahl ungelöster Fragen, dass diese Verschiebung wahrscheinlich Verlängerungen erfahren wird – möglicherweise mehrere und längere, als bisher vorstellbar ist. Ungeachtet dessen pokert die Premierministerin weiter. Als ob sie es nicht selbst längst besser wüsste, schreibt sie in der „Daily Mail“, der Fokus des Unterhauses müsse nun darauf liegen, den Deal zum EU-Austritt zu verabschieden und die Europäische Union am 29. März zu verlassen: „Das Parlament sollte seine Pflicht erfüllen, damit unser Land vorankommen kann!“ So drückt sie es aus.
Casdorff nennt dieses Vorgehen „konfus“. Was ein Hinweis darauf ist, dass er nicht oft bei britischen Buchmachern wettet. Dass er die Mentalität der Engländer nicht recht erfasst hat. Der Brexit wird – zuerst von den Brexiteers selbst übrigens – auf der britischen Insel als Wette angesehen. Die Befürworter des Alleingangs setzen auf einen Austrittsvertrag und wetten auf die Zahl der Wochen, die zu dessen Durchsetzung als Verlängerung hinzugegeben werden müssen. Oder auf die Anzahl der Verlängerungen. Oder auf das Jahr, in dem der Brexit dann wirklich Realität wird. Denn je ungeordneter sich das Szenario beim Brexit gestaltet, desto besser sind die Chancen, und nicht nur die im Wettbüro. Falls es dann schließlich doch zu einem zweiten Referendum kommt, würden die Briten auch diese Herausforderung mit nonchalenter Geste annehmen, „sportsmen“ eben. Was aus dem Blickwinkel des Kontinents als „chancenvernichtend“, „tragisch“ und „beängstigend“ empfunden wird, sehen die Briten viel spielerischer. Sie sehen die Vorteile, egal, wie es kommt – wetten?