„Die Welt ist ein Kerker für den Gläubigen und ein Paradies für den Ungläubigen.“
(Abul Kasim Muhammad Ibn Abdallah, genannt: Mohammed, der Prophet)
Die St.-Johannis-Kirche in Berlin birgt ein ungewöhnliches Geheimnis. Zunächst einmal ist sie wirklich schön. Ihr Turm (das ist noch nicht das Geheimnis) wurde von Friedrich Karl Schinkel entworfen. Der Mann war Anfang des 19. Jahrhunderts das, was man heutzutage einen Star-Architekten nennen würde. Nach seinem Tod baute sein nicht ganz so grandioser Kollege Friedrich August Stüler die nicht ganz so grandiosen Nebengebäude. In denen findet bis heute der größte Teil des Gemeindelebens des evangelischen Pfarrsprengels Tiergarten statt.
Es gibt hier auch den früheren Theatersaal, und da kommen wir dann zum Geheimnis: Denn dieser Raum ist heute – eine Moschee. Und die Ibn-Rushd-Goethe-Gemeinde heißt natürlich auch nicht zufällig so. Sie ist benannt nach dem liberalen islamischen Gelehrten Ibn Rushd und dem bekennenden Freidenker Johann Wolfgang von Goethe.
Diese Moschee unterm Kirchendach platzt an diesem Abend aus allen Nähten. Vor dem Eingang im Untergeschoss stehen die Menschen in einer langen Schlange, die Treppe hinauf, bis hinaus auf die Straße. Drinnen drängen sich um die 200 Besucher, stehen dicht an dicht um die längst belegten Sitzplätze.
Auf der Bühne erscheint Ali Ertan Toprak, sicher einer der prominentesten Muslime in Deutschland. Er stellt das Projekt vor, das er zusammen mit einer Handvoll Gleichgesinnter auf den Weg gebracht hat: die „Initiative Säkularer Islam“.
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„Tritt frisch auf. Tu’s Maul auf. Hör bald auf.“
(Martin Luther zugeschrieben)
Topraks Rede ist im Inhalt glasklar und im Ton wütend. Er ruft seine Botschaft in den Saal, als ob er Thesen an eine Wand nageln würde. Liberale Muslime in Deutschland fühlten sich von der Bundesregierung allein gelassen, klagt er. Die deutsche Politik subventioniere mit den Islam-Verbänden ausgerechnet die radikalsten, von Islamisten ferngesteuerten Kräfte, die dann auch noch die Mehrheit der hier lebenden nicht-radikalen „Kultur-Muslime“ (Toprak) drangsalierten.
Einmal in Fahrt, schont der Jurist weder sich noch andere. Er begrüßt Elio Adler von der jüdischen „WerteInitiative“ – und kritisiert die Bundesregierung, die fortwährend den roten Teppich für Vertreter von radikalen islamischen Regimes ausrolle, welche Israel von der Landkarte tilgen wollten. Er begrüßt eine Vertreterin von „Terre des Femmes“ und lobt deren Einsatz gegen Kinder-Kopftücher – an dem sich die deutsche Politik ein Beispiel nehmen solle. Er begrüßt Sevim Dagdelen von der „Linken“ und lobt deren Kampf gegen den „türkischen National-Islamismus“ – den sich die Erdogan anbiedernde Bundesregierung zum Vorbild nehmen solle.
Und es wird nicht langweiliger. Im Gegenteil. Toprak feuert eine Breitseite nach der anderen gegen den politischen Islam. „Es gibt kein Recht, religiöse Normen im politischen Raum durchzusetzen“, ruft er. Zur Religionsfreiheit gehöre untrennbar die Religionskritik. Deshalb dürfe man die derzeitigen Islam-Verbände – insbesondere den Zentralrat der Muslime in Deutschland – auf keinen Fall als Körperschaften öffentlichen Rechts anerkennen.
Der gebürtige Kurde, der mit zwei Jahren nach Hamburg kam, hält Deutschland einen Spiegel vor, der kein günstiges Bild wirft. „Die deutsche Politik, die Kirchen, die sogenannte Zivilgesellschaft – alle vermeiden es peinlich genau, mit deutschen Rechtsradikalen zu reden“, sagt er. „Aber dieselben Leute reden täglich mit rechtsradikalen Migranten – nämlich mit den Islam-Verbänden.“ Toleranz gegenüber intoleranten, rechten Migranten sei aber nicht besser als Toleranz gegenüber intoleranten, rechten Deutschen.
Toprak zitiert den früheren Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm: „Nicht alles, was ein Glaube fordert, darf unter dem Grundgesetz verwirklicht werden.“ Und dann schreibt er allen muslimischen Migranten in Deutschland einen denkwürdigen Satz ins Stammbuch: „Wer sich mit Berufung auf einen Islam gegen das Grundgesetz wehrt, hat sich das falsche Land ausgesucht.“
Stehende Ovationen in der Moschee.
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„Der Zorn verdirbt den Glauben, so wie Essig den Honig verdirbt.“
(Abul Kasim Muhammad Ibn Abdallah, genannt: Mohammed, der Prophet)
Nicht-Experten können an diesem Abend viel lernen. Zum Beispiel, dass die deutschen Islam-Verbände höchstens 20 % aller in Deutschland lebenden Muslime repräsentieren – aber trotzdem quasi das Monopol als Ansprechpartner der Politik haben (bestätigt CDU-Mann Jens Spahn).
Zum Beispiel, dass vor 25 Jahren im Duisburger „Ausländer-Stadtteil“ Marxloh türkische Mädchen selbstverständlich in der Schule am Schwimmunterricht teilnahmen und kein Kopftuch trugen – während der aggressive, radikale Einfluss der Islamverbände das heute geändert hat (beklagt die „Linke“-Politikerin Sevim Dagdelen, die dort groß geworden ist).
Zum Beispiel, dass es nach dem Ersten Weltkrieg nur einen Staat gab, der seine Justiz streng nach der Scharia ausrichtete (dem religiös-islamischen Rechtskodex): Das war damals Saudi-Arabien. Heute tun das weltweit mindestens 30 Staaten – Tendenz: schnell steigend (erläutert der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban).
Zum Beispiel, dass säkulare Muslime von radikalen Muslimen immer offener als Ungläubige betrachtet werden (berichtet Ghadban).
Zum Beispiel, dass gleich eine Handvoll von Vertretern eines säkularen Islam in Deutschland von radikalen Muslimen bedroht werden und rund um die Uhr Personenschutz brauchen (erzählt Spahn).
Fakten können bedrückend sein.
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„Haltet die Religion aufrecht, und spaltet Euch nicht darin.“
(Abul Kasim Muhammad Ibn Abdallah, genannt: Mohammed, der Prophet)
Die anschließende Podiumsdiskussion ist gleich mehrfach bemerkenswert.
Zunächst einmal…
… wegen Jens Spahn – der ist bekanntlich Katholik aus dem tiefschwarzen und erzkonservativ-religiösen Westfalen (wo er es als mit einem Mann verheirateter Homosexueller im Kirchenumfeld auch nicht ganz leicht gehabt haben dürfte).
Spahn übt Selbstkritik, das kommt gut an. Viele Politiker hätten schlicht Angst, mit deutlicher Kritik am politischen Islam unerwünschte rechtsextreme Tendenzen in Deutschland zu stärken. Deshalb trete man oft zu leise und vorsichtig auf. „Solange es aber am Rosenmontag nicht genauso selbstverständlich Witz-Wagen über den Islam geben kann wie über die christlichen Kirchen, sind wir nicht am Ziel.“
… dann wegen Susanne Schröter. Die Leiterin des „Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam“ rückt die Türken in Deutschland in den Mittelpunkt – schließlich bildeten sie mit drei Millionen die mit Abstand größte Teilgruppe der insgesamt ca. fünf Millionen Muslime hier. „Erdogan ist ein faschistisch-nationalistischer Diktator, der versucht, die Türken in Deutschland zum politischen Islam aufzuhetzen“, erklärt sie kühl. Das hinzunehmen, sei ein völlig verfehltes Konzept von Toleranz: „Damit schützt man gerade nicht die Säkularen, sondern die Anti-Demokraten.“
… weiter wegen Sevim Dagdelen. Die Bundestagsabgeordnete der „Linken“ nimmt die Islam-Verbände ins Visier: „Die sind reaktionär, das sind Rechte.“ Die deutsche Politik fördere das, unverständlicherweise. Man dürfe aber mit „Außenposten fremder radikaler Mächte“ wie Ditib nicht kooperieren. Die Verbände des politischen Islam seien ausdrücklich keine Glaubenseinrichtungen. „Es geht nicht um Religionsfreiheit, sondern um Politik.“
… und schließlich wegen Elio Adler von der jüdischen „WerteInitiative“, der vermutlich die Sätze des Abends spricht: „Deutschland muss umkehren. Wir dürfen gegenüber ausländischen Extremisten keine Wohlfühl-Politik mehr machen.“
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„Martin Luther wollte die Kirche nicht spalten. Er wollte sie reformieren.“
(Papst Franziskus – Rom, 19. Januar 2017)
Aber er hat sie gespalten. In der Folge gab es unter anderem den Dreißigjährigen Krieg, der direkt und indirekt halb Europa entvölkerte.
Ein paar womöglich nicht ganz unwichtige Fragen wurden an diesem Abend nicht gestellt:
Wie soll sich ein säkularer Islam gegen den derzeit weltweit klar vorherrschenden politischen Islam durchsetzen?
Wie sollte das gelingen, ohne die islamische Welt – zusätzlich zur Konfessionskonkurrenz von Sunniten und Schiiten – auch noch in säkulare und politische Muslime zu spalten?
Falls das nicht ohne Spaltung gelingt: Wie sollten dann neue islamische Religionskriege verhindert werden?
Und falls auch das nicht gelingt: Wie sollte zumindest verhindert werden, dass solche Religionskriege auf deutschem bzw. europäischem Boden ausgetragen werden?
„Pfaffen sollen beten und nicht regieren“, sagt Luther. Wenn das nicht nur für Christen, sondern auch für Muslime gelten soll, wird die deutsche Politik nicht so bleiben können, wie sie ist. Sie wird ein paar Antworten liefern müssen.
Sie wird sie nicht durch Beten finden.
Bilder der Veranstaltung findet man bei Markus Hibbeler: