„Was tun Sie“, wurde Herr K. gefragt, „wenn Sie einen Menschen lieben?“
„Ich mache einen Entwurf von ihm“, sagte Herr K., „und sorge, dass er ihm ähnlich wird.“
„Wer? Der Entwurf?“
„Nein“, sagte Herr K., „der Mensch.“
Diese scheinbar auf den Liebenden beschränkte Kurzgeschichte findet sich in den „Keuner-Briefen“ des Berthold Brecht. Sie beschreibt menschliches Verhalten und menschliches Streben derart treffend, dass ich sie als „Keuner-Prinzip“ bezeichnen möchte. Das Keuner-Prinzip definiert menschliches Verhalten sowohl individuell als auch kollektiv. In seiner individuellen Ausformung beschreibt das Keuner-Prinzip den scheinbar von Brecht beschriebenen Anspruch des Individuums, dass die anderen, die geliebten Individuen so sein mögen, wie es sich selbst dieses wünscht. Im Extremfall der narzisstischen Ego-Identität erwartet dieses, dass alle anderen so zu sein haben, wie es dieses in seiner Hybris definiert.
In seiner kollektivistischen Ausformung beschreibt das Keuner-Prinzip das Grundprinzip von Macht als Bestimmung der Wenigen über die Vielen. Oder auch des Einen über alle Anderen.
Das narzisstische Ego des Mohamed
Ein klassisches Beispiel für diese narzisstische Ego-Auffassung findet sich in der koranischen Philosophie des Mohamed. Dieser vorgebliche „Prophet” erhebt sich und seine Ich-Identität auf eine Identitätsebene oberhalb des Wir als Mensch unter Menschen. Er mutiert in seiner Philosophie zu etwas Übermenschlichem – einem Objekt oberhalb der Identität Mensch. Gleichzeitig schafft er im Sinne des Keuner-Prinzips eine einheitliche Mensch-Identität nach seinen eigenen Vorstellungen: Ein entindividualisiertes Teil eines Wir, welches seine Existenz im Sinne der koranischen Definitionen des Über-Ichs Mohameds zu organisieren hat.
Um dieses zu erreichen, kleidet das narzisstische Über-Ich des Mohamed seine keunerschen Ansprüche in ein vorgeblich göttliches Gebot, womit jegliche Möglichkeit der Hinterfragung der Richtigkeit des Gebotenen explizit als Häresie untersagt und verunmöglicht wird. Das Keuner-Prinzip des Mohamed definiert ein menschliches Konstrukt, dem sich jegliche Anderen außer ihm selbst sich als Gruppe ohne Mohamed bedingungslos dem von eben diesem definierten Wir des Islam zu unterwerfen haben. Das Über-Ich des Mohamed beschreibt sich zwar als Teil des islamischen Wir – grenzt jedoch sein Ego über die Propheten-Funktion gezielt gegen dieses ab, sodass wir es mit einem singulären Individual-Ich des Mohamed und dem Kollektiv-Wir aller anderen ohne Mohamed zu tun haben. Die islamische Anhängerschaft sind „der Mensch” des Keuner Mohamed: Der arabische Kaufmann hat sich einen Entwurf von ihm, dem Menschen als seinem Anhänger, gemacht und mittels des Koran und der ihm zuwachsenden weltlichen Macht dafür gesorgt, dass „der Mensch” als Muslim diesem Entwurf nicht nur „ähnlich” wird, sondern so werde wie der Entwurf.
Das Keuner-Prinzip der Götter
Diese absolutistische Form des Keuner-Prinzips, welches nicht nur den Anspruch erhebt, dass „der Mensch” einem von Keuner gemachten „Entwurf” im Sinne eines Idealbildes „ähnlich” werde, sondern dieser Mensch genau und in jeder Hinsicht diesem Entwurf entspreche, findet sich bereits in der von früheren Entstehungsphilosophien entlehnten Schöpfungsgeschichte des Tanach. Dort machen sich die „Alahjm” als Kollektiv der Götter, nachdem sie die Welt geschaffen haben, ein „Bild” – also einen „Entwurf” im Sinne einer gedachten Idealvorstellung – von jenem Wesen, welches als letztes der Schöpfung sich eben diese zu Nutzen machen möge. Es entsteht „h‘Adém” (Adam) – der Mensch. Um diesen zu perfektionieren, stellen ihm die Götter „ch‘wah“ (Eva) zur Seite und geben dem Paar die Möglichkeit, nun ebenfalls gleich den Göttern Leben entstehen zu lassen.
Theologen machten in der Hybris ihres eigenen Keuner-Prinzips aus der göttlichen Vorstellung von dem, was „Mensch” sein soll, sich selbst zum „Ebenbild Gottes” – und „keunerten” damit die Vorstellung, welche sie sich von „ihrem Gott” gemacht hatten, zu jenem Gott als Ebenbild des Menschen. Das, was im Sinne der frühen Schöpfungsphilosophie das Ergebnis der Vorstellung der Götter gewesen ist, kehrt den Prozess faktisch um und schafft sich über seine Vorstellung des Göttlichen einen Entwurf von Gott, der dem Menschen selbst ähnlich ist. Damit überwinden sie gleichzeitig die mythische Distanz zwischen sich und Gott: Sie vervollkommnen die durch die Möglichkeit der Schöpfung dem Menschen gegebene Göttlichkeit dadurch, dass sie Mensch nicht nur in seiner Schöpfungsfähigkeit, sondern auch in seiner Anmutung gleich Gott werden lassen. Gott, den Juden und Christen aus dem alttestamentarischen Kollektiv der Götter – oder besser: des Göttlichen – werden lassen, ist in seinem Kern Mensch, weil Mensch in seinen Fähigkeiten und seiner Anmutung Gott ist.
Die Umkehrung des Göttlichen
Der kreative Geburtsfehler dieser Philosophie – bedingt durch die Lebenswelt ihrer menschlichen Schöpfer – ist die narzisstische Singularität des Gottes, die sich in der Singularität des von den Göttern geschaffenen Menschen „h’adém” widerspiegelt. H’adém, „der Mensch“, als göttliches Produkt ist Mann. Und so sehr er als Mann ist wie Gott, so bedarf er zum Einsatz seiner göttlichen Schöpfungsfähigkeit doch eines zweiten Wesens – weshalb die Götter aus ihm heraus ihm ein Pendant zur Seite stellen, welches zwangsläufig nicht Gott, sondern bestenfalls Gott ähnlich sein kann. Denn wenn Gott den Menschen h’Adem nicht nach seinen Vorstellungen, sondern gemäß theologischer Anmaßung als sein Ebenbild schuf, dann muss – vice versa – Gott ein Mann sein; und ch`wah die Frau, kann tatsächlich nicht als Ebenbild des Gottes, sondern nur etwas Gekeunertes sein.
Diese Situation offenbart sowohl den technischen Denkfehler der monotheistischen Tanach-Autoren als auch jenen der Theologen, welcher sich bei der Überwindung des polytheistischen Götterhimmels durch die Patriarchalisierung des Göttlichen hereingeschlichen hat.
In der ursprünglichen, adaptierten Version war – wie wortgetreu im Tanach übernommen – tatsächlich von einen Götterkollektiv – den álahjm – die Rede. Das entspricht jener letztlich auch wieder keunerschen Gottesvorstellung des frühantiken Menschen, dessen Götterwelt mit männlichen wie weiblichen Göttern und Halbgöttern besetzt war. Soweit von Emanzipation die Rede sein soll, so ist in diesen Gottesvorstellungen eher eine Notwendigkeit der männlichen Gleichberechtigung im Göttlichen zu erkennen, denn die Urmutter der lebendigen Existenz war – entsprechend ihrer irdischen Funktion – weiblich.
In dieser prämonotheistischen Götterwelt können in keunerscher Umkehr tatsächlich die Götter den Menschen nach ihrem Ebenbild geschaffen haben – so wie der Mensch in seiner Vorstellung sich die Götter weitgehend in menschlicher Gestalt dachte. In der Gottesvorstellung der Monotheisten allerdings macht diese Ebenbild-Vorstellung jedoch nur noch dann Sinn, wenn das Weib aus seiner göttlichen Funktion verdrängt wird. Ist h‘Adém nicht nach den Vorstellungen des einen Gottes, sondern als sein Ebenbild entstanden, dann ist Frau nichts anderes als jede andere Kreatur außer Mann. Und tatsächlich findet sich diese Vorstellung der Minderwertigkeit der Frau bis heute in den nahöstlichen Kulturen, von denen aus der Monotheismus seinen Ursprung nahm.
Die Entgöttlichung der Frau
Der Monotheismus ist damit vorrangig ein Instrument der gezielten Entgöttlichung der Frau – und der Umkehrung der göttlichen Schöpfungskraft des Menschen. Die Behauptung, der Ein-Gott habe als „Elohim“ die Menschen nach seinem Ebenbilde geschaffen, kann eben dann nicht funktionieren, wenn Frau auch Mensch sein soll. Sie macht nur Sinn, wenn entweder die Schöpfer der Menschen ebenfalls mehrgeschlechtlich – und damit polytheistisch – zu verorten sind, oder aber der eine Gott, der sich erst ein Bild vom Menschen macht, aus dem der Mann wurde, um dann seine Phantasie spielen zu lassen und zur Perfektionierung des Menschen Adam noch das Weib schuf, agierte tatsächlich auf der Basis kreativer Vorstellungskraft. Wenn dem aber so ist, dann wird Gott weder aussehen noch sein wie Mann oder Frau – sondern irgendwie anders.
Exodus 20.04 gibt den Anhängern des Jahwe unmissverständliche Order: „Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.“
Hier wird dem Menschen das Keunern seines Gottes explizit untersagt – womit insbesondere hier die klerikale Anmaßung der menschlichen Gottgleichheit explizit abgelehnt wird. Denn wäre Mensch als Abbild Gottes geschaffen, dann wäre dieses Gebot überflüssig. Tatsächlich aber basiert es auf den seinerzeit üblichen Gepflogenheiten, sich die Götter zwar einerseits menschlich, andererseits jedoch auch animalisch vorzustellen. Anubis mit dem Wolfskopf, Horus mit dem Falkenkopf oder Seth, dessen ursprüngliche Kopfdarstellung dem Elefantenfisch des Nils (spez: Mormyrus kannume) entspricht, ebenso wie der Musch-Husch als Schlangenkopfreptil der Babylonier dürften bei der Order gemäß Ex20.04 Pate gestanden haben.
Von der Immaterialität Gottes zurück zur Materialität
Kulturhistorisch ist die Problematik des göttlichen Keunerns in mehrerlei Hinsicht interessant. So kennzeichnet sie mit dem entsprechenden Verbot des Tanach den Bruch zu jener Phase menschlicher Kulturentwicklung, in der Vielgötterei selbstverständlich und damit die Idee, sich seine Götter bildlich vorzustellen, unbestritten war. Dem Asherahisten oder auch dem Mardukisten stand es frei, sich seinen Gott in seiner Phantasie nach seinem menschlichen Bilde zu denken. Dem Monotheisten jedoch wurde die Möglichkeit genommen – und so rettet er sich entgegen der Logik und dem geschriebenen Wort der Genesis in die Vorstellung, Gott habe ihn, den Menschen, nicht nach dem Keuner-Prinzip geschaffen, sondern als Abbild seiner selbst.
Gott, der im Monotheismus ohne Visualisierung existieren soll und deshalb alles sein kann, wird durch das menschliche Bedürfnis, sich seinen Gott als irgendetwas vorstellen zu müssen, rehumanisiert. Das im Sinne der uraustralischen Alcheringa unmateriell Geistige des monotheistisch Göttlichen wird durch das Keuner-Bedürfnis des Menschen wieder zurück geführt auf eine früh-kulturelle, fast schon animistische, weil realistische Gottesbildidee.
Das lässt letztlich nur den Schluss zu, dass der Mensch der frühen Eisenzeit durch die monotheistische, gestaltlose Gottesvorstellung gänzlich überfordert war. Er benötigte für seinen „Glauben“ eine bildliche Vorstellung seines Gottes – und da es ihm untersagt war, sich eine bildliche Vorstellung von seinem Gott zu machen, rettete er sich in die Hilfskonstruktion der göttlichen Ebenbildvorstellung seiner selbst. Er schuf damit gleichzeitig eine Ebene von Gottesidentität, die unterhalb des universellen Anspruchs der Alcheringa und gleichzeitig oberhalb der menschlich-familiären, polytheistischen Götteridentität lag.
Die Hybris des Ego des Mohamed wird erst insofern möglich, weil die Immaterialität der monotheistischen Gottesvorstellung zurückgefahren wird auf die Materialität der polytheistischen Götter – und gleichwohl diese Materialität nur noch einem, nun unzweifelhaft männlichen Gott zuweist, zu dessen alleinigem Vollstrecker sich Mohamed selbst ernennt. Er stellt sich faktisch selbst neben den einen Gott und führt damit sowohl die göttliche Immaterialität als auch den monotheistischen Anspruch des Gottes ad absurdum.
Sozialisation als Instrument des Keuner-Prinzips
Anhand der vorangegangenen Aspekte wurde deutlich, dass ein wesentlicher Bestandteil von Religion eben jenes Keuner-Prinzip ist. Als solcher greift Religion entweder unmittelbar zu auf die Person oder mittelbar über sozialen Anpassungsdruck. Das Prinzip von Sozialisierung – gleich ob unter religiösem oder nicht-religiösem Vorzeichen – verfolgt immer das Keuner-Modell. Jede Form der Erziehung ist darauf ausgerichtet, das zu erziehende Wesen in dem Sinne zu formen, wie der Erziehende sich davon zuvor ein Bild gemacht hat. Das Keuner-Prinzip ist insofern – anders als bei Brecht – tatsächlich nicht auf den liebenden, geliebten Menschen beschränkt. Es ist vielmehr ein Grundprinzip jeglicher menschlicher Existenz – da es kein anderes Ziel verfolgt als jenes, das Individuum Gruppen-kompatibel zu machen.
Die menschliche Komponente des Keuner-Prinzips scheint jedoch in der Rigorosität der Anwendung desselben zu liegen. Ob Religionen oder politische Ideologien: Sie alle verfolgen vorrangig das Ziel, das Individuum in ihrem Sinne nach einem von ihnen definierten Bilde zu schaffen. Damit geht es letztlich immer auch um die Ent-Individualisierung des Individuums zugunsten eines übergeordneten Wir oder Ihr. Im Extremfall – Beispiel Islam oder auch real existierender Sozialismus / nationaler Sozialismus – wird der Ent-Individualisierungsanspruch derart radikal, dass Gruppenmitglieder, die die Ent-Individualisierung nicht über sich ergehen lassen wollen, zur physischen Vernichtung führen kann.
Identität als Prinzip der Ausgrenzung
Die Identität der Gruppe steht nach dem Keuner-Prinzip somit absolut über der Identität des Individuums – und die Gruppe kann nicht nur inkludierende, sondern auch exkludierende Kriterien definieren, nach denen die Zugehörigkeit zum Kollektiv festgeschrieben wird. So galt dem Kommunismus beispielsweise der Adlige wie der Großbürger per se als Klassenfeind. Der nationale Sozialismus deutscher Prägung definierte den Juden als nicht dem Wir zugehörig. Der Islam macht Gleiches bei allen Nicht-Muslimen und unterscheidet dabei noch in zwei Gruppen, von denen eine quasi in der Anwartschaft auf die Zugehörigkeit zum islamischen Wir eine begrenzte Existenzberechtigung zugeschrieben bekommt, während die andere grundsätzlich aus dem Wir ausgeschlossen wird und mit dieser Exklusion das Recht des islamischen Wir einhergeht, jenes exkludierte Ihr der nicht dazu gehörenden physisch zu vernichten.
Diese Mechanismen von Inklusion und Exklusion funktionieren grundsätzlich nach dem Keuner-Prinzip über die Definition einer Gruppen-Identität. Sie dienen dazu, ein von den Herrschenden beherrschbares Kollektiv von Gleichen zu schaffen – und sie bedienen sich dabei wahlweise der Religion oder der Ideologie als Instrument der Alleinsetzung ihres jeweiligen Keuner-Anspruchs. Das Keuner-Prinzip Brechts ist insofern so alt wie die Menschheit. Es folgt seit je dem Ziel, durch die Fremdbestimmung der Individualität des Anderen diesem sein Ich zu nehmen und durch das Bild des Ich des Nehmenden zu ersetzen. Kurz: Es geht immer nur um eines – um die Macht der Herrschenden über die zu beherrschenden.