Tichys Einblick
Abschied

Bruno Ganz: Das traurige Gesicht der Schaubühne ist gestorben

Wen und was Bruno Ganz auch immer spielte, spielte er ganz.

imago/Manfred Siebinger

Jenseits des fünften oder sechsten Lebensjahrzehnts bringt es das Älterwerden wohl mit sich, dass das Sterben alltäglicher wird. Der Volksmund spricht dann davon, dass die Einschläge näher kommen. Und damit sind nicht nur altersbedingte Sterbefälle in der Familie gemeint, sondern auch solche von Menschen, die einem lieb gewonnene Begleiter geworden sind, ohne dass man ihnen dafür jemals persönlich begegnet sein muss. Die Rede ist hier von Zeitgenossen.

Auch der Schauspieler Bruno Ganz ist für viele im deutschsprachigen Raum so ein wertvoller Zeitgenosse gewesen. Bruno Ganz ist jetzt im Alter von 77 Jahren gestorben. Der gefeierte Bühnen- wie Filmschauspieler und Träger des legendären österreichischen Iffland-Rings ist tot.

Der Spiegel wartet jetzt schon gespannt darauf, zu erfahren, wem Ganz wohl in seinem Vermächtnis den Ring weitergereicht hat, der auf Lebenszeit verliehen und dessen Nachfolger noch zu Lebzeiten vom Träger selbst bestimmt wird.

Nun ist so eine frühe Rätselrunde Geschmacksache. Besser vielleicht, man hätte zunächst geschwiegen oder sich noch einen Moment Zeit gelassen und diesem schmerzhaften Hall nachgelauscht, der dort entsteht, wo jemand aus dem Leben gerissen wird, wo sich eine Leerstelle wie ein großer Raum auftut, wenn einer geht, der einem so lieb war. Einer, dessen Filme und Bühnenauftritte diese emotionalen Augenblicke zu schaffen in der Lage waren, ohne die das Leben weniger schön wäre.

Wenn man sich jetzt dieses vom Leben gegerbte Gesicht von Bruno Ganz anschaut, dann will sich gleich wieder dieses beruhigende Gefühl einstellen, dass schon alles gut wird noch in der dunkelsten Tragödie. Der Schauspieler konnte das immer besonders gut, so zu schauen, zu schauspielern, als bestände immer noch ein Funken Hoffnung und wäre er noch so klein, als ginge es schon irgendwie und irgendwo weiter. Ein Gesicht mit traurigen Augen wie zwei schwarze Lichter am Ende des Tunnels. Ein Altersgesicht, wie ein zusammengefalteter, viele Seiten umfassender Lageplan der menschlichen Emotionen, nur darauf wartend, von seinem Träger wieder für die nächste Rolle zum Leben erweckt zu werden.

Am ehesten ließe sich Ganz vielleicht mit Klaus Maria Brandauer nacherzählen. Beiden gelang es wunderbar, aus der Gewissheit ihrer emotionalen Ruhe- und Komfortzone heraus zu explodieren. Bei Ganz sicher mit noch mehr bedrohlichen Ankündigungswellen im Vorhinein, während Brandauer den längeren Weg hin zur Explosion benötigt. So mag es auch in sich stimmig gewesen sein, dass Brandauer noch vor wenigen Monaten bei den Salzburger Festspielen für Bruno Ganz einsprang, als der seine Rolle aus gesundheitlichen Gründen leider zurückgeben musste.

Die Palette des Schaffens dieses Ausnahmekünstlers kann man hier kaum zufriedenstellend ausbreiten. Verzichten will man instinktiv sogar auf diese Glanzleistung als Adolf Hitler in Bernd Eichingers Untergang. Filme wie „Messer im Kopf“ bis hin zu Wenders „Himmel über Berlin“ oder zuletzt noch als Alm-Öhi in „Heidi“ wollen sich frei strampeln gegen den Führer der Deutschen, gespielt vom Schweizer Bruno Ganz. Österreichs Nachrichten titeln zum Tod des Schauspielers: „Hamlet, Hitler oder Heidis Großvater – Bruno Ganz war ein Weltstar.“

Wer nun Bruno Ganz als Schauspieler erlebt hat, für den sind seine Filme sicher allenfalls das zweite Standbein, der schwärmt davon, wie großartig schon seine Zeit bei Peter Zadek war, fulminant eingeholt dann noch einmal von seiner Arbeit an der Berliner Schaubühne in den 1970er Jahren, als Ganz neben Otto Sander die tragende Säule in der Peter-Stein-Ära war: Bruno Ganz war das traurige Gesicht der Schaubühne.

Sein Management teilte nun mit, der Schauspieler sei mit 77 Jahren in seinem Heim seinem Darmkrebsleiden erlegen. Was für eine Lebensleistung, was für ein Zeitgenosse – der Nachhall dieses Ausnahmekünstlers wird noch lange zu spüren sein. Seine Filme werden bleiben.

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