Stehen wir vor einer Rezession in Deutschland oder haben wir sie bereits? Das Wachstum in Deutschland im vierten Quartal 2018 lag bei 0,02 Prozent. Im Vorquartal bei minus 0,2 Prozent. Trotz dieser Zahlen sprechen einige Aspekte dagegen.
In weiten Teilen des Landes herrscht faktische Vollbeschäftigung. Die offiziellen Arbeitslosenzahlen sind seit der Deutschen Einheit noch nie so niedrig gewesen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten noch nie so hoch. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen geht erkennbar zurück und die Bedarfsgemeinschaften nach Hartz IV sinken auf ein historisch niedriges Niveau. Inzwischen hat sich der Arbeitsmarkt von einem Arbeitgebermarkt zu einem Arbeitnehmermarkt entwickelt. Arbeitgeber suchen schier verzweifelt LKW-Fahrer, Handwerksgesellen und Facharbeiter. Im gewerblichen Bereich sind viele Ausbildungsplätze nicht besetzt. Wahrscheinlich wird dieser Mangel sich weiter verschärfen.
Die Wachstumsschwäche ist in erster Linie dem Mangel an qualifizierten Mitarbeitern geschuldet. Aufträge können nicht mehr in der geplanten Form abgearbeitet oder neue angenommen werden. Das drückt auf Umsatz und Gewinn der Unternehmen. Weniger Gewinn bedeutet meist weniger Investitionen. Um Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten, muss mehr aufgewendet werden.
Freiräume fehlen
In diesem wirtschaftlichen Umfeld kommen Arbeitnehmer zunehmend in eine Position der Stärke. Sie können Bedingungen stellen, die viele Jahre als Hirngespinste der Gewerkschaften gegeißelt wurden. Auch die Diskussion über mehr Freizeit und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf rücken stärker in den Fokus. Darauf muss auch der Gesetzgeber reagieren. Nicht so sehr dadurch, dass er noch stärker in die Tarifautonomie und die Vertragsfreiheit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern eingreift, sondern indem er mehr Freiräume zulässt.
Das Land Nordrhein-Westfalen geht am heutigen Freitag im Bundesrat einen ersten Schritt. In einem Entschließungsantrag fordert die NRW-Landesregierung eine Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes. Darin heißt es, dass „eine Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen für eine flexible Arbeitszeitgestaltung“ erforderlich sei. Das wäre tatsächlich zu begrüßen. Heute sind das Arbeitszeitgesetz, die Arbeitsstättenverordnung und viele andere Rahmenbedingungen letztlich arbeitnehmerfeindlich. Denn sie verhindern vielfach, dass Arbeitnehmer ihre Lebensziele mit ihrer Berufstätigkeit verbinden können. Aber genau das wäre oftmals im Interesse der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Denn viele Alleinerziehende wollen vielleicht mobil arbeiten, wenn das Kind in der Schule ist, und es anschließend betreuen. Abends wenn das Kind schläft, kann dann vielleicht noch 2 Stunden gearbeitet werden. Dieses lebenswirkliche Modell scheitert am Arbeitszeitgesetz. Es schreibt eine tägliche Arbeitszeit von 8 Stunden vor und eine elfstündige Ruhezeit.
Veraltete Regulierungen verhindern Freiräume
Das Arbeiten von Zuhause darf möglichst auch nicht unter dem Stichwort Telearbeit laufen, denn dann schlägt die volle Wucht der Arbeitstättenverordnung zu. Das fängt beim Mobiliar an und hört bei der Bildschirmarbeitsverordnung nicht auf. Die Fürsorgepflicht und die Verantwortung für die Sicherheit und die Gesundheit der Mitarbeiter hat der Gesetzgeber auch für diese Arbeitsplätze definiert. Die Frage der Kommunikation mit dem Firmennetzwerk, Fragen des Datenschutzes und vieles mehr sind dabei noch gar nicht beantwortet. Fakt ist: so wird das nichts. Wer als Arbeitgeber und Arbeitnehmer diesen Umstand umgehen will, kann dies nur durch eine Vereinbarung über „mobile Arbeit“ bewerkstelligen, also das ortsungebundene Arbeiten mit dem Laptop. Doch auch hier gilt Vorsicht an der Bahnsteigkante. Wenn der Arbeitnehmer sich mehr als 2 Stunden täglich oder 30 Tage pro Jahr an einem bestimmten Ort aufhält, dann funktioniert das flexible mobile Arbeiten nicht mehr, sondern dann handelt es sich um eine Betriebstätte mit allen Rechtsfolgen.
Will man die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, dann müssen diese Regelungen der Lebenswirklichkeit angepasst werden. Unternehmen dürfen nicht in die rechtliche Grauzone gedrängt werden und Arbeitnehmern muss es möglich sein, flexible Modelle mit seinem Arbeitgeber auszuhandeln. Am Ende wäre die individuelle Freiheit gestärkt. Das erfordert aber eine Umkehr im Denken. Dann ist der Arbeitnehmer nicht mehr der Schwache, Bedürftige und Hilflose, oder wie Marx sagen würde: der Entfremdete, sondern derjenige, der sein Lebensglück selbst in die Hand nehmen will und kann.