Tichys Einblick
So tun als ob

CDU-Werkstattgespräch – PR-Aktion oder Lektion gelernt?

Die neue CDU-Vorsitzende will verlorene Wähler durch die Ankündigung von mehr „Härte“ in der Asyl- und Migrationspolitik zurückgewinnen. Jüngst abgeschlossene Koalitionsverträge im Bund und in den Ländern weisen jedoch in eine andere Richtung und werden viele der angekündigten Maßnahmen im Sande verlaufen lassen.

John MacDougall/AFP/Getty Images

Um im Kampf um den Parteivorsitz möglichst viele Stimmen vom konservativen Flügel der CDU zu erhalten, hat Annegret Kramp-Karrenbauer im Vorfeld des letzten Parteitags den parteiinternen Kritikern von Angela Merkel versprochen, noch vor den demnächst anstehenden Europa- und Landtagswahlen in einem „Werkstattgespräch“ deren Asyl- und Migrationspolitik auf den Prüfstand zu stellen. Gleichzeitig will sie mit dieser Maßnahme aber auch ein Rückkehr-Signal an all diejenigen früheren CDU-Wähler senden, die aus Protest gegen Merkels Asyl- und Migrationspolitik bei den zurückliegenden Wahlen entweder AfD oder FDP gewählt haben. Die Beschleunigung des Niedergangs der SPD, der die Wähler ebenfalls in Scharen zur AfD davonlaufen, steckt der neuen CDU-Vorsitzenden als Menetekel offensichtlich so sehr in den Knochen, dass sie zur Verwunderung aller Anwesenden (und Mithörer im Livestream) die rund einhundert Teilnehmer ihres inzwischen unter dem Titel „Migration, Sicherheit und Integration“ durchgeführten Werkstattgesprächs als „Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten“ begrüßte.

Im Vorfeld war seitens Kramp-Karrenbauer immer wieder betont worden, es ginge ihr nicht um „Vergangenheitsbewältigung“ bezüglich der seit 2015 begangenen asyl- und migrationspolitischen Fehler, sie wolle vielmehr „nach vorne schauen“ und Dinge verbessern, die (noch) zu verbessern seien. Vieles sei nach 2015 ja schon erfolgreich auf den Weg gebracht worden. Die damit beabsichtigte Schonung der Hauptverantwortlichen für das bis heute nicht abgestellte asyl- und migrationspolitische Desaster, allen voran der Kanzlerin, gelang indes nur teilweise.

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Schon im Rahmen der Podiumsdiskussion mit zwei Rechtsprofessoren, einem Professor für Politikwissenschaft und einem Leiter eines Think Tanks, mit der die Veranstaltung eröffnet wurde, wurden einige der gravierenden Fehler überdeutlich, die die Verantwortlichen im Jahr 2015 machten, allen voran der Verzicht auf jegliche Kontrolle, Identitätsfeststellung und Zurückweisung an den deutschen Grenzen. Fehlerkorrekturen und Fehlervermeidung lassen sich ohne eine genaue und schonungslose Benennung und Analyse von Fehlern nun mal nicht wirksam durchführen. Das gilt im Qualitätsmanagement von Unternehmen ebenso wie in der Politik.

Noch deutlicher als in der Podiumsdiskussion wurde dies in den vier „Werkstätten“, an denen zahlreiche Praktiker aus den zuständigen Behörden, Landkreisen und Kommunen teilnahmen. Dort wurden viele der von der Großen Koalition begangenen asyl- und migrationspolitischen Fehler benannt, die zu den zahlreichen, häufig gravierenden alltäglichen Probleme mit der Aufnahme, der Integration und der Rückführung der Asylbewerber verantwortlich sind. Sie befassten sich mit den Themen:

und sollten Grundlagen für das Wahlprogramm der CDU für den EU-Wahlkampf erarbeiten. Die Verursacher dieser Fehler aus der eigenen Partei, allen voran Merkel selbst, nahmen an der Veranstaltung wohlweislich gar nicht teil – sei es, weil sie inzwischen selbst um ihre Fehler wissen, diese aber öffentlich nicht zugeben wollen, oder sei es, weil sie der Meinung sind, alles richtig gemacht zu haben und sich der parteiinternen Kritik nicht öffentlich stellen wollen. Wir wissen es nicht.

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Anhand der Ergebnispräsentationen der vier „Werkstätten“ wurde, trotz aller Versuche der Teilnehmer, die Kanzlerin möglichst zu schonen, deutlich, dass die derzeitige Asyl- und Migrationspolitik in Deutschland einer grundlegenden Revision und nicht nur einer Veränderung in homöopathischen Dosen bedarf. Vorgeschlagen und gefordert wurden unter anderem die Durchführung „intelligenter Grenzüberwachung“ an allen deutschen Grenzen, das Verbot der Wiedereinreise abgeschobener Asylbewerber, die Ausweitung des Ausreisegewahrsams, die Beschränkung der Klagemöglichkeiten gegen Asylbescheide auf eine Instanz sowie die Abkehr vom Instrument der Beschäftigungs- und Ausbildungsduldung für abgelehnte Asylbewerber. Sie alle zielen auf eine restriktivere Gestaltung und Handhabung der Asyl- und Migrationspolitik und damit auf eine Abkehr von dem 2015 auf die Spitze getriebenen „Laissez Faire“.

Das dafür verwendete Motto lautet neuerdings nun „Humanität und Härte“. Die CDU-Vorsitzende hat es von einem der Teilnehmer der Podiumsdiskussion, dem Konstanzer Rechtsprofessor Daniel Thym, übernommen. Es soll, wie sie in ihrem Fazit zur Veranstaltung ausführte, zum Ausdruck bringen, dass die CDU am Prinzip des individuellen Rechtsanspruchs auf Asyl unverrückbar festhält, gleichzeitig jedoch dafür sorgen will, dass dieses Recht auch nur von denjenigen in Anspruch genommen werden kann, die politisch verfolgt sind oder vor Krieg fliehen. Letzteres wird nun allerdings nicht nur im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD sowie im vom Bundeskabinett verabschiedeten Eckpunktepapier zur Fachkräftezuwanderung, sondern auch in dem zwischen CDU und Grünen geschlossenen hessischen Koalitionsvertrag und selbst in dem zwischen CSU und Freien Wählern geschlossenen bayerischen Koalitionsvertrag abgelehnt. Alle drei Koalitionsverträge sehen nämlich die Erteilung von legalen Aufenthaltstiteln mit Aussicht auf eine Niederlassungserlaubnis auch für abgelehnte Asylbewerber vor, sobald diese einen Ausbildung oder eine Arbeit aufgenommen haben.

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Auch bei der Präsentation der Ergebnisse der vier Werkstätten kam unverhohlen zum Ausdruck, dass sich die CDU in dieser Frage alles andere als einig ist. Während der Innenpolitiker Armin Schuster sich im Namen der Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema Ordnung und Steuerung der Integration befasste, dafür aussprach, nur Asylberechtigte dauerhaft zu integrieren, warb die Integrationsbeauftragte der Kanzlerin, Annette Widmann-Mauz, die für die Arbeitsgruppe Integration sprach, dafür, dass jeder Asylbewerber, unabhängig von seinem Bleiberecht, von Anfang integriert werden solle. Welcher Forderung die neue Parteiführung nun mit Blick auf die anstehenden Wahlen folgen will, blieb auf der Veranstaltung offen.

Nicht zuletzt an diesem Thema entscheidet sich maßgeblich, ob die CDU, wie von Kramp-Karrenbauer behauptet, ihre asyl- und migrationspolitische Lektion inzwischen gelernt hat, oder weiterhin den verhängnisvollen Weg der Vermengung von Asyl und Arbeitsmigration beschreiten möchte. Ihn hat der Bonner Rechtsprofessor Christian Hillgruber bei der Podiumsdiskussion zurecht als die wahrscheinlich gravierendste Fehlkonstruktion der deutschen Asyl- und Migrationspolitik bezeichnet. Wer in diesem Zusammenhang „Härte“ zeigen will, darf nicht weiter zulassen, dass ein Asylgesuch in Deutschland selbst dann einen Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnet und zu einem dauerhaften Aufenthalt führt, wenn es abgelehnt wird. Er öffnet andernfalls nicht nur dem Missbrauch des Asylrechts zur Arbeitsmigration weiter Tür und Tor, sondern legt auch die Axt an das individuelle Asylrecht, das die neue CDU-Vorsitzende nach eigenem Bekunden erhalten will. Sie müsste daher der Forderung der Arbeitsgruppe von Schuster und nicht der der Arbeitsgruppe von Widmann-Mauz folgen.

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Die erwähnten Koalitionsverträge und Gesetzesvorlagen machen indes wenig Hoffnung, dass dies so kommen wird. Die CDU würde sich damit nicht nur gegen ihre (noch) amtierende Kanzlerin, sondern auch gegen Volker Bouffier in Hessen und Markus Söder in Bayern positionieren. Hinzu kämen die zu erwartenden Konflikte mit den jeweiligen Koalitionspartnern, allen voran die SPD und die Grünen, die von mehr „Härte“ in der Asyl- und Migrationspolitik dezidiert nichts wissen wollen. Sie werden im Gegenteil für noch mehr „Humanität“ werben, nicht zuletzt, um angesichts des seit dieser Woche angekündigten asylpolitischen „Rechtsrucks“ der Christdemokraten human und weltoffen gesonnene CDU- und CSU-Wähler für sich zu gewinnen. Es ist also gut möglich, dass die von der neuen CDU-Führung angekündigte restriktivere Gestaltung und Handhabung der Asyl- und Migrationspolitik im Sande verläuft und sich alsbald als eine PR-Aktion anläßlich der 2019 anstehenden Wahlen und der dort drohenden weiteren Stimmenverluste herausstellt. Von „Lektion gelernt“ bliebe dann nicht viel übrig.
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