Um im Kampf um den Parteivorsitz möglichst viele Stimmen vom konservativen Flügel der CDU zu erhalten, hat Annegret Kramp-Karrenbauer im Vorfeld des letzten Parteitags den parteiinternen Kritikern von Angela Merkel versprochen, noch vor den demnächst anstehenden Europa- und Landtagswahlen in einem „Werkstattgespräch“ deren Asyl- und Migrationspolitik auf den Prüfstand zu stellen. Gleichzeitig will sie mit dieser Maßnahme aber auch ein Rückkehr-Signal an all diejenigen früheren CDU-Wähler senden, die aus Protest gegen Merkels Asyl- und Migrationspolitik bei den zurückliegenden Wahlen entweder AfD oder FDP gewählt haben. Die Beschleunigung des Niedergangs der SPD, der die Wähler ebenfalls in Scharen zur AfD davonlaufen, steckt der neuen CDU-Vorsitzenden als Menetekel offensichtlich so sehr in den Knochen, dass sie zur Verwunderung aller Anwesenden (und Mithörer im Livestream) die rund einhundert Teilnehmer ihres inzwischen unter dem Titel „Migration, Sicherheit und Integration“ durchgeführten Werkstattgesprächs als „Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten“ begrüßte.
Im Vorfeld war seitens Kramp-Karrenbauer immer wieder betont worden, es ginge ihr nicht um „Vergangenheitsbewältigung“ bezüglich der seit 2015 begangenen asyl- und migrationspolitischen Fehler, sie wolle vielmehr „nach vorne schauen“ und Dinge verbessern, die (noch) zu verbessern seien. Vieles sei nach 2015 ja schon erfolgreich auf den Weg gebracht worden. Die damit beabsichtigte Schonung der Hauptverantwortlichen für das bis heute nicht abgestellte asyl- und migrationspolitische Desaster, allen voran der Kanzlerin, gelang indes nur teilweise.
Noch deutlicher als in der Podiumsdiskussion wurde dies in den vier „Werkstätten“, an denen zahlreiche Praktiker aus den zuständigen Behörden, Landkreisen und Kommunen teilnahmen. Dort wurden viele der von der Großen Koalition begangenen asyl- und migrationspolitischen Fehler benannt, die zu den zahlreichen, häufig gravierenden alltäglichen Probleme mit der Aufnahme, der Integration und der Rückführung der Asylbewerber verantwortlich sind. Sie befassten sich mit den Themen:
- Maßnahmen auf europäischer Ebene
- Ordnung und Steuerung von Migration im Inland
- Innere Sicherheit und Abschiebepraxis
- Integration vor Ort
und sollten Grundlagen für das Wahlprogramm der CDU für den EU-Wahlkampf erarbeiten. Die Verursacher dieser Fehler aus der eigenen Partei, allen voran Merkel selbst, nahmen an der Veranstaltung wohlweislich gar nicht teil – sei es, weil sie inzwischen selbst um ihre Fehler wissen, diese aber öffentlich nicht zugeben wollen, oder sei es, weil sie der Meinung sind, alles richtig gemacht zu haben und sich der parteiinternen Kritik nicht öffentlich stellen wollen. Wir wissen es nicht.
Das dafür verwendete Motto lautet neuerdings nun „Humanität und Härte“. Die CDU-Vorsitzende hat es von einem der Teilnehmer der Podiumsdiskussion, dem Konstanzer Rechtsprofessor Daniel Thym, übernommen. Es soll, wie sie in ihrem Fazit zur Veranstaltung ausführte, zum Ausdruck bringen, dass die CDU am Prinzip des individuellen Rechtsanspruchs auf Asyl unverrückbar festhält, gleichzeitig jedoch dafür sorgen will, dass dieses Recht auch nur von denjenigen in Anspruch genommen werden kann, die politisch verfolgt sind oder vor Krieg fliehen. Letzteres wird nun allerdings nicht nur im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD sowie im vom Bundeskabinett verabschiedeten Eckpunktepapier zur Fachkräftezuwanderung, sondern auch in dem zwischen CDU und Grünen geschlossenen hessischen Koalitionsvertrag und selbst in dem zwischen CSU und Freien Wählern geschlossenen bayerischen Koalitionsvertrag abgelehnt. Alle drei Koalitionsverträge sehen nämlich die Erteilung von legalen Aufenthaltstiteln mit Aussicht auf eine Niederlassungserlaubnis auch für abgelehnte Asylbewerber vor, sobald diese einen Ausbildung oder eine Arbeit aufgenommen haben.
Nicht zuletzt an diesem Thema entscheidet sich maßgeblich, ob die CDU, wie von Kramp-Karrenbauer behauptet, ihre asyl- und migrationspolitische Lektion inzwischen gelernt hat, oder weiterhin den verhängnisvollen Weg der Vermengung von Asyl und Arbeitsmigration beschreiten möchte. Ihn hat der Bonner Rechtsprofessor Christian Hillgruber bei der Podiumsdiskussion zurecht als die wahrscheinlich gravierendste Fehlkonstruktion der deutschen Asyl- und Migrationspolitik bezeichnet. Wer in diesem Zusammenhang „Härte“ zeigen will, darf nicht weiter zulassen, dass ein Asylgesuch in Deutschland selbst dann einen Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnet und zu einem dauerhaften Aufenthalt führt, wenn es abgelehnt wird. Er öffnet andernfalls nicht nur dem Missbrauch des Asylrechts zur Arbeitsmigration weiter Tür und Tor, sondern legt auch die Axt an das individuelle Asylrecht, das die neue CDU-Vorsitzende nach eigenem Bekunden erhalten will. Sie müsste daher der Forderung der Arbeitsgruppe von Schuster und nicht der der Arbeitsgruppe von Widmann-Mauz folgen.