Tichys Einblick
Helds Ausblick – Folge 1/2016

Über den Landfrieden

Es geht nicht um „das Verhältnis von Männern und Frauen“ oder um einen Konflikt zwischen sozialen Gruppen, oder gar um eine psycho-biologische Disposition „der Männer“. Es geht um unsere Gesellschaftsform, unsere politische Kultur. Unser Zivilisations-Standard ist nicht bloß ein „Wert“, sondern ein allgemeinverbindliches, sanktionsbewehrtes Recht – ohne Vorrecht einer bestimmten Kultur, Religion, Geschlecht oder Abstammung.

Mit dem Jahreswechsel und den Ereignissen in Köln und anderen deutschen Großstädten ist die Migrationskrise offen ausgebrochen. Damit ist eine Gefahr, die die Migrationsströme immer schon mit sich führten, zur Realität geworden. In Köln hat ein Massenübergriff auf die Grundrechte unseres Landes stattgefunden, es war eine unverhohlene, demonstrative Verachtung der Verfassung der Bundesrepublik. Personen, die sich unter dem Titel „Flüchtling“ und „Asylbewerber“ Zutritt zum Bundesgebiet verschafft haben (ermöglicht durch die pauschale Grenzöffnung der Bundeskanzlerin), haben sich zusammengerottet und eine Situation herbeigeführt, die man als Landfriedensbruch bezeichnen muss. Die Polizeikräfte sahen weitgehend hilflos zu, wie der Mob Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen beging. Kleinere Zusammenrottungen von Migranten hat es schon vorher gegeben, jetzt ist der Dammbruch da. Von nun an müssen die Bürger in Deutschland mit solchen Übergriffen rechnen. Wir schlittern in eine Situation des permanenten Landfriedensbruchs.

Doch welche Rechtsgüter sind hier eigentlich betroffen? Schon gibt es Kommentatoren, die eine Grundsatzdebatte über „das Verhältnis von Männern und Frauen“ führen wollen. Sie tun so, als gehe es um einen Konflikt zwischen sozialen Gruppen, am Ende gar um eine psycho-biologische Disposition „der Männer“. Es geht aber um allgemeine Rechtsgüter und Zivilisationsnormen. Es gibt in Deutschland einen historisch erreichten Standard des öffentlichen Lebens, der es jedem gestattet, sich frei und ohne Gefährdung durch Gewalt in der Öffentlichkeit zu bewegen. Dieser Standard ist nicht bloß ein „Wert“, den wir anstreben, sondern er ist ein allgemeinverbindliches, sanktionsbewehrtes Recht – ohne Vorrecht einer bestimmten Kultur, Religion, Geschlecht oder Abstammung. Auch ohne Rücksichtnahme auf engere Grenzen, die bestimmte Kulturen oder Religionen der Bewegungsfreiheit von Menschen auferlegen möchten. Hier geht es auch nicht um eine privatrechtliche Beziehung zwischen einzelnen Bürgern, sondern um Staatsrecht. Ihm sind alle Bürger gemeinsam unterworfen. Jede Rechtsverletzung in diesem Bereich ist ein Angriff auf die Allgemeinheit. Jede Duldung von solchen Vergehen würde eine Rückentwicklung des in der Bundesrepublik erreichten Rechtszustands bedeuten.

Die Massenübergriffe auf Frauen in Köln sind ein solcher Angriff. Mit ihnen wurde der Landfriede gebrochen. Schlimmer: Er wurde gebrochen, ohne dass der Staat, dem Schutz des Landfriedens anvertraut ist, dem Angriff angemessen entgegengetreten ist. Mit einem Schlag sieht sich die Bundesrepublik Deutschland zurückgeworfen auf einen Rohzustand, so als müssten wir wieder bei einem zivilisatorischen Nullpunkt anfangen. Als wären alle erfolgreichen Kämpfe um Recht und Republik vergessen und alle Fortschritte annulliert.

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Landfrieden und Landfriedensbruch – Im Mittelalter (ca. 11. Jahrhundert) bezeichnet der Landfrieden eine räumlich und zeitlich befristete Verfügung eines Königs oder Kaisers, eine Fehde auszutragen. Der Adel musste auf diese Verfügung schwören. Später wurde der Landfrieden räumlich und zeitlich zur flächendeckenden, dauerhaften und strafrechtlich geahndeten Institution. Er bedeutete nun die Etablierung und Anerkennung des Gewaltmonopols des Staates. Im deutschen Strafgesetzbuch wird der „Landfriedensbruch“ in § 125, Abs. 1 folgendermaßen definiert: „Wer sich an 1. Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder 2. Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt, oder wer auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.“

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Masseneinwanderung und Landfrieden – Kein Landfrieden wird ein für alle Mal hergestellt. Er muss immer wieder gegen Angriffe verteidigt werden. Dies gilt in einer besonderen und prinzipielleren Weise dort, wo eine Masseneinwanderung stattfindet. Denn eine solche Einwanderung von Menschen, die an dem Landfrieden ja nicht mitgewirkt haben und sich nie aus innerer Einsicht diesem Frieden unterworfen haben, stellt eine neue Situation her. Diese Personen stehen gewissermaßen außerhalb des Friedenschlusses und keine papierne Erklärung kann daran etwas ändern – hier stimmt der Ausdruck „Man kann den Schalter nicht einfach umlegen“.

Mit der gegenwärtigen Migrationswelle kommen Personen ins Land, bei denen man den zivilisatorischen Stand und das Rechtsbewusstsein, das den – geschichtlich errungenen – Grundkonsens der Bundesrepublik ausmacht, nicht voraussetzen kann. Natürlich wird man hier immer Einzelpersonen mit bewundernswerten Biographien finden, auch unter den Armen und wenig Gebildeten dieser Welt, aber im gesellschaftlichen Maßstab bringen die Gruppen, die aus dem arabisch-afrikanischen Raum einwandern, diesen Stand nicht mit. Sie wissen nichts von dem inneren Prozess, der historisch zur Unterwerfung unter den Landfrieden und das Gewaltmonopol des Staates führte. Es geht um eine Unterwerfung, die nicht jeden Tag wieder von neuem ausgehandelt werden muss. Deshalb muss sie aus Vernunftgründen und innerer Überzeugung geschehen.

Diese Form der Loyalität kennen diejenigen, die jetzt zu uns kommen, nicht. Oder sie haben diese Loyalität in der Bürgerkriegssituation ihrer Herkunftsländer aufgekündigt. Oder sie haben sie hinter sich gelassen, als sie ihr Land verließen und bei seiner Entwicklung resignierten. Über diese Eigenart der gegenwärtigen interkontinentalen Migrationswelle müssen wir uns dringend bewusst werden: Die afrikanisch-arabischen Migranten haben den Landfrieden in Deutschland (und Europa) nie mitgetragen. Sie fühlen sich nicht an ihn gebunden. Man muss hier gar keine besondere Bösartigkeit unterstellen, es genügt das Fehlen jener Bindungen, die das öffentliche Leben unseres Landes ausmachen und die nur in geschichtlichen Zeitmaßen erworben werden können.

Migration und Landfrieden stehen in einem Wesenskonflikt. Kein Landfrieden wird unterwegs geschlossen. Er setzt Sesshaftigkeit voraus. Migration ist aber zunächst einmal ein Zustand der Bindungsschwäche und Entwurzelung. Das gilt besonders dann, wenn größere Massen in kurzer Zeit in ein Land einwandern. Eine solche Migration bringt eine ganze Bevölkerungsgruppe ins Land, die außerhalb des bestehenden Landfriedens steht – jedenfalls dann, wenn es nicht um Angehörige desselben Staatsvolks geht (wie im Nachkriegsdeutschland) oder eines Staatsvolkes mit ähnlichem politischem Stand.

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Der Fluch der großen Zahl 1 – Die Berichte, die uns aus Köln erreichten, zeigen immer wieder eine Situation: Die betroffenen Frauen (auch ihre männlichen Begleiter) sahen sich einer dominanten Mehrheit gegenüber. Die Gewalttaten wurden dadurch eingeleitet, dass die Angreifer solche Mehrheitssituationen herstellten. Die Betroffenen sahen sich umringt, blockiert, abgeschirmt gegenüber den Blicken der Öffentlichkeit, dann begrabscht, gestoßen, beraubt und so weiter. Wer in dieser Situation an Gegenwehr dachte, musste mit schwerster Gewalt rechnen, insbesondere mit Messerangriffen. Solche Situationen werden vielfach berichtet.

Das gibt es die Krankenschwester, die von einer Roma-Familie bedroht wurde („Wir warten draußen auf Dich“), weil sie ihr pflichtgemäß den Zugang in die Intensivstation verwehrt hat. Da wird von verschiedenen Schulen berichtet, dass es üblich ist, dass deutsche Schüler an ihrem Geburtstag von Migrantenschülern Gruppenkeile auf dem Schulhof oder auf dem Heimweg bekommen. Und da sind die Menschen, die sich an der Kölner Domplatte an Polizisten gewandt hatten und nachher auf dem Heimweg von Migrantengruppen verfolgt wurden.

Es handelt sich also um ein Mengenproblem: Im Laufe des Jahres 2015 sind so viele Migranten ins Land geströmt, dass sie auf öffentlichen Plätzen, an Bahnhöfen, vor Einkaufszentren, in Parks schnell schlagfähige Mehrheiten bilden können (und ebenso schnell wieder auflösen). In kleineren Orten genügen oft schon 10-20 Leute, um so die Macht zu ergreifen. Die Zahl von 1 bis 1,5 Millionen Migranten, die 2015 ins Land gelassen wurden, ist daher keine bedeutungslose, keine unschuldige Zahl. Das haben uns über Monate diejenigen weismachen wollen, die vehement gefordert haben, man müsse „den einzelnen Menschen“ sehen. Und schon das Zählen sei ein inhumaner Akt. Spätestens seit Köln sind sie widerlegt.

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Der Fluch der großen Zahl 2 – Überall gibt es inzwischen den Ruf nach massiven Personalerhöhungen bei Polizei und Verwaltung, um den Folgen der Masseneinwanderung Herr zu werden. Diese Aufblähung des Öffentlichen Dienstes ist nicht logisch. Sie ist ja nur Folge der pauschalen Grenzöffnung für Migranten und auch Folge der Entscheidung, die Migranten sofort in der ganzen Bundesrepublik auf kommunaler Ebene in die Breite zu verteilen. Das grundlegende Zahlenproblem liegt nicht auf Seiten des Staates, sondern auf Seiten der Migration. Absurdistan lässt grüßen: Während man lauthals über knappes Personal klagt, steigert man die schon völlig überhöhten Migrationszahlen noch weiter. Schon erklärt das zuständige Bundesamt, dass es für 2016 mit weiteren 500.000 Migranten rechnet – als gäbe es die politische Entscheidung gar nicht mehr, ob wir das zulassen oder nicht.

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Wir brauchen ein Moratorium – Die Hauptkonsequenz, die jetzt gezogen werden muss, ist ein sofortiger Stopp der Zuwanderung. Wir brauchen umgehend ein Moratorium bei der Migration: Die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland sind gegenüber jedem zu schließen, der nicht bereits ein geprüftes Visum hat – so wie es zuletzt Schweden und Dänemark mit ihren Grenzen getan haben. Das Moratorium muss dazu genutzt werden, um eine verlässliche, vollständige und zentralisierte Identifizierung und Anspruchsklärung aller ins Land geströmten Migranten durchzuführen. Es geht um die Handlungsfähigkeit des Staates. Verlorene Handlungsfähigkeit ist oft nur dadurch wiederzugewinnen, dass man das Handlungsfeld verkleinert. Die politische Führung Deutschlands hat sich im „Off“ unendlicher Ansprüche verloren, ob es nun um „Willkommenskultur“, „Integration“ oder „Bekämpfung der Migrationsursachen“ geht. Die Ereignisse vom Jahresanfang 2016 weisen deutlich in Richtung einer Begrenzung. Nicht die große Offensive der Weltrettung steht an, sondern etwas Defensiveres. Ein überdehntes Handlungsfeld muss wieder verkleinert werden. Deutschland muss zeigen, dass es seine Res Publica zu hüten weiß. Nur dadurch wird es auch international wieder eine kalkulierbare Macht.

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Das historische Maß der gegenwärtigen Krise – Es gibt verschiedene Versuche, durch einen historischen Vergleich die Tiefe der heutigen Migrationskrise auszuloten. Die einen ziehen den Vergleich zur Wiedervereinigung nach 1989, andere zur Situation nach 1945 und wieder andere greifen ganz weit auf die Zeit der Völkerwanderungen zurück. Aber liegt es nicht nahe, sich an die Anfänge des modernen Territorialstaates im 15. bis 17. Jahrhundert zu erinnern? An die Zeit der Religionskriege, die frühmoderne politische Philosophen vom „Kampf aller gegen alle“ sprechen ließen. Hier begann das politische Denken damit, einen Staat zu entwerfen, der über diese Religionskriege erhaben ist und der die Gewaltmittel in seiner Hand monopolisiert. Dieser Staat musste auf der Vernunfteinsicht der Bürger beruhen, damit sie sich ihm einerseits unterwarfen, und sich andererseits in ihm auch wiedererkannten – wie es das Bild des „Leviathan“ (siehe unten) zeigte, das Thomas Hobbes gleichnamiges Hauptwerk aus dem Jahr 1651 (in einer späteren Ausgabe) als Cover zierte. In dieser Frühphase des modernen Staates finden wir auch den Versuch, verlässliche Staatsgrenzen und ein pluralistisches System der Staaten zu entwickeln. Nach dem dreißigjährigen Krieg in Deutschland, der ein vagabundierer Krieg war, wurde dafür schließlich die sogenannte „Westfälische Ordnung“ geschaffen, die für die folgenden Jahrhunderte modellhaft war.

Erinnern nicht etliche Phänomene in den heutigen Krisenregionen und in den Migrationsströmen, die sie nach Europa importieren, an die damalige Situation und Problemlage? Zeigt die Hilflosigkeit der gegenwärtigen Politik nicht eine erstaunliche Ignoranz und Fahrlässigkeit im Umgang mit den Grundbausteinen der eigenen politischen Ordnung? Fahrlässig auch im Umgang mit dem politischen Erbe Europas?

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