In Schweden ist Stefan Löfven von den Sozialdemokraten als Ministerpräsident wiedergewählt worden. Die Reichstagswahl, auf der diese Wahl beruht, fand bereits am 9. September 2018 statt. Sie hatte jedoch unklare Verhältnisse gebracht, da keiner der traditionellen Blöcke, Rot-Grün einerseits oder die bürgerliche Allianz andererseits, die Mehrheit hatte. Die Schwedendemokraten, vielfach als „Rechtspopulisten“ bezeichnet, konnten dagegen starke Stimmenzuwächse verzeichnen.
Es kam dann zu der längsten Regierungsbildung in der Geschichte Schwedens seit dem Krieg. Also ganz parallel wie in Deutschland ein Jahr zuvor. Eine weitere Parallele: Die vorige Regierung Stefan Löfven blieb einfach geschäftsführend im Amt, was eine Problematik mit der demokratischen Legitimation in sich birgt. Sie unterschrieb in dieser Zeit zum Beispiel den UN-Migrationspakt – was eine andere Regierung möglicherweise nicht getan hätte, da auch in Schweden die Diskussion darüber sehr kontrovers verlief.
Es ergab sich ein ewiges Hin und Her. Mehrere Wahlen zum Ministerpräsidenten scheiterten. Zentrum und Liberale verließen schließlich die „Allianz“ und wandten sich den Sozialdemokraten zu; die zwei verbliebenen Allianz-Parteien, die Moderaten und die Christdemokraten, tobten. Sinn dabei sei es, so Annie Lööf vom Zentrum, einen Einfluß der Schwedendemokraten zu verhindern.
Nun der Showdown diese Woche. Die neue Regierung ist erneut Rot-Grün, eine Minderheitsregierung. Sie wird einerseits von Zentrum und Liberalen gestützt, mit denen ein Abkommen besteht, und zudem von der Linkspartei. Also fünf Parteien im Boot. Bemerkenswert dabei ist die Demoskopie: Zwei dieser fünf somit tragenden Parteien hatten zwar am 9. September 2018 noch die Vier-Prozent-Hürde übersprungen, rangieren aber jetzt laut Umfragen in der Wählergunst darunter. Es handelt sich um Grüne und Liberale.
Ein bemerkenswertes Wahlverfahren
Die Wahl von Löfven kam wie folgt zustand: Mit „Ja“ votierten 115, mit „Nein“ 153 Abgeordnete, die Zahl der Enthaltungen betrug 77. Laut schwedischem Recht ist das gültig; die Nein-Stimmen sind zwar zahlreicher als die Ja-Stimmen, jedoch erreichen die Nein-Stimmen weniger als 50 der absoluten Zahl der Abgeordneten. Der neue Ministerpräsident hat also keine Mehrheit. Dementsprechend ist auch die neue Regierung eine Wackelkonstruktion. Das Vertrauen in die Politiker ist derweil stark gesunken, das meldet sogar das staatliche Fernsehen in Berufung auf eine Umfrage am 17. Januar.
Im europäischen Kontext ist diese Wahl in Stockholm von großer Bedeutung. Viele Länder des Kontinents stehen in dieser unserer Zeit vor der Entscheidung, ob Entwicklungen wie bisher weiterlaufen oder ein Wechsel wie zum Beispiel in Österreich oder Italien eingeleitet werden soll. Es ist somit klar, dass dies in Schweden auf absehbare Zeit nicht der Fall sein wird, sondern einem „Weiter so“ gehuldigt wird – womit möglicherweise Probleme verschleppt oder vergrößert werden.
Auch für Schweden selbst bedeuten die Ereignisse eine Menge. Dem Land steht eine schwierige Legislaturperiode bevor. Das fängt schon mit der Persönlichkeit des Ministerpräsidenten an. Löfven ist um Sprüche nicht verlegen, so sagt er über seine neue Regierung: „Der größte Gewinner ist Schweden.“ Diese Ansicht wird jedoch nicht nur von politischen Gegnern, sondern auch von vielen Bürgern und politischen Beobachtern bezweifelt.
Ein großzügiger Familiennachzug für Flüchtlinge ist im Vorfeld vereinbart worden. Überhaupt wird die Einwanderung, die schon drei Rekordjahre in Folge gesehen hat, weitergehen. Die „Allianz“, der Zusammenschluß der vier bürgerlichen Parteien, ist zerbrochen. Annie Lööf, als Chefin der Zentrumspartei die entscheidende Figur, hatte zuvor noch gesagt, sie würde eher ihren rechten Schuh essen, statt den Sozialdemokraten an die Macht zu helfen. Das ist nun auf einmal anders. Derartiges trägt stark zur Politikverdrossenheit bei.
Wie frei wird die Meinung in Schweden sein?
Ferner steht jetzt schon fest, dass der Kurs, mißliebige Meinungen im Internet und anderswo zu verfolgen, und zwar auch und gerade juristisch, eine Fortsetzung erfahren wird. Weitere Personen werden zu hohen Geldstrafen verurteilt werden, und weitere werden ins Gefängnis wandern. Denn es müsste mit einem Wunder zugehen, wenn in Zukunft nicht weiterhin manch einem schwedischen Bürger der Kragen platzt und er sich so äußert, dass Probleme mit dem sehr restriktiven Gesetz zur „Hetze gegen Volksgruppen“ die Folge sind. Im Gegenteil: Die Zukunft lässt nach wie vor hitzige Diskussionen erwarten.
Ebenfalls steht schon fest, wie man sich die Berichterstattung in den deutschen Medien über Schweden vorstellen muss: Was zuwenig ins Bild passt, zu abseits des Vorstellbaren liegt, und politische Verfolgung gehört gewiss dazu, wird vermutlich nicht berichtet werden. Dagegen hatte, das sei dazu passend erwähnt, bekanntlich ein gewisser Claas R. keine Probleme, für den Spiegel Dinge zu schreiben, die unwahr waren, aber ins Bild passten und die die vorgefertigten Klischees exakt bedienten. Ein Ministerpräsident von der Sozialdemokratie wird auf eine Art journalistische Schutzzone hoffen dürfen.
Aber in einem darf man sich nicht täuschen: Die Regierung steht – auch bereits jetzt im schwedischen Winter – auf dünnem Eis. Denn sie spannt den Bogen von der Linkspartei bis hin zu zwei „liberalen“ (jedenfalls wirtschaftsliberalen, ansonsten eher linksliberalen) Parteien. In Deutschland scheiterten vor einem Jahr die Jamaika-Verhandlungen zwischen Union, Grünen und FDP. Die schwedische Zusammenarbeit der Minderheitsregierung und ihrer Unterstützer ist dabei einem deutschen „Ultra-Jamaika“ vergleichbar: Übertragen auf deutsche Verhältnisse wäre sie ein Jamaika plus Linkspartei. Zudem arbeitet Löfven jetzt mit zwei bisherigen politischen Gegnern zusammen: Zentrum und „Liberalen“.
Die wachsende gesellschaftliche Spaltung
Das alles führt zu auseinanderdriftenden Kräften, die schwer im Zaum zu halten sein werden. Kompromisse werden an der Tagesordnung sein müssen. Der politische Kommentator Mats Knutsson meint, schon im zusammengeflickten sogenannten „Januarabkommen“ der Parteien sei es „svårt att hitta en röd tråd“, also: „schwer, einen roten Faden zu finden“. Der Chef der Linkspartei, Jonas Sjöstedt, äußerte bereits, ihm sei selbst diese Regierung zu „rechts“, und er könne sie jederzeit bei Missfallen zu Fall bringen. Auch ist davon auszugehen, dass die gestärkten Schwedendemokraten ihre Karte als Oppositionspartei voll ausspielen werden können. Somit steht Schweden eine instabile Legislaturperiode bevor.
Aufgabe von Politikern ist es, für die Menschen das Beste zu versuchen. Ob das in Schweden angesichts der geschilderten Umstände gelingt, darf füglich bezweifelt werden. Vor allem wird zu beobachten sein, wie stark die Gesellschaft in Schweden durch diese Wahl des Regierungschefs polarisiert und gespalten wird.