Linguistik-Professorin Nina Janich, Sprecherin der Jury, erklärte zur Begründung für die diesjährige Entscheidung, der Begriff „Anti-Abschiedeindustrie“, den Alexander Dobrindt von der CSU verwendet hatte, zeige, „wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat und sich damit auch die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie auf bedenkliche Weise verändern.“ Unter den Vorschlägen waren auch die Wörter „Abschiebeverhinderungsindustrie“, „Sicherheitsgefährdende Schutzsuchende“, „Asyltourismus“ und „Hypermoralist“. „Klageindustrie“ ist laut der Jury im Zusammenhang mit dem Verbraucherschutz eingereicht worden.
In den meisten Medien heißt es völlig unkritisch, eine „sprachkritische Jury“ wolle mit der Kür jedes Jahr auf „undifferenzierten, verschleiernden oder diffamierenden öffentlichen Sprachgebrauch“ aufmerksam machen.
Der Unsinn mit den „Unworten“
Jedes Jahr werden quotengerecht auch solche Begriffe als „Unworte“ bezeichnet, die sich gegen Feminismus und Genderideologie richten, so wie dieses Jahr „Feminismus-Flausen“, das auf der Auswahlliste stand (habe ich selbst noch nie gehört). Die Juroren rügten letztes Jahr den Begriff „Genderwahn“. Mit diesem Ausdruck würden in konservativen bis rechtspopulistischen Kreisen zunehmend Bemühungen um Geschlechtergerechtigkeit in undifferenzierter Weise diffamiert, so die Jury. Damit sollen also Kritiker der Genderideologie gemaßregelt werden. Auf der Liste der Vorschläge zum „Unwort des Jahres“ stand auch schon die „Sprachpolizei“ – ein Begriff, der sich gegen die Sprachvorschriften durch politisch Überkorrekte wendet (und damit natürlich selbst unerwünscht ist). Gerade deshalb verwende ich den Begriff hier, denn er ist sehr treffend.
Untersucht man die Begriffe, die in früheren Jahren als Worte bzw. Unworte des Jahres gekürt wurden, dann wird deutlich, dass sich darin die Weltsicht der Linksintellektuellen verdichtet. „Unworte“, die von politisch Linksstehenden verwendet werden, gibt es nach dieser Lesart nicht. „Unworte“ sind vorwiegend Begriffe, die – tatsächlich oder vermeintlich – von Liberalen, Konservativen oder Rechten verwendet werden.
„Gutmensch“ und „freiwillige Ausreise“ waren auch „Unworte“
Das Unwort 2015 lautete „Gutmensch“. Warum eigentlich? Ich finde den Begriff „Gutmensch“ gut. Dass er zum „Unwort“ erklärt wurde, ist bezeichnend, denn der Begriff wendet sich meist kritisch gegen Linke und Grüne, die sich für moralisch überlegen halten.
2006 wurde „freiwillige Ausreise“ als „Unwort des Jahres“ gekürt. Der Begriff suggeriere, so hieß es zur Begründung, abgelehnte Asylbewerber kehrten vor einer Abschiebung „freiwillig“ in ihre Heimat zurück. Tatsächlich hätten sie jedoch, so die Jury, keine andere Wahl. Daher sei der Begriff ein „Unwort“. Es wurde also damit kritisiert, dass ein abgelehnter Asylbewerber die Entscheidung eines deutschen Gerichtes in letzter Instanz akzeptiert und ihr folgt statt sich ihr zu widersetzen und illegal in Deutschland zu bleiben.
Manche Begriffe, die zum „Unwort des Jahres“ gekürt wurden, finde auch ich kritikwürdig, so etwa „Lügenpresse“ (2014), „Wohlstandsmüll“ (1997), „ausländerfrei“ (1991) usw. Auffallend ist jedoch, dass niemals Begriffe und Worte mit einer linken oder grünen Konnotation zum „Unwort“ gekürt werden. Im Gegenteil. Solche Begriffe haben eine gute Chance „Worte des Jahres“ zu werden.
Worte des Jahres – was ins linke Weltbild passt
Zum „Wort des Jahres“ werden gerne Begriffe gekürt, die in das linke Weltbild passen. Das erste „Wort des Jahres“ war 1971 „aufmüpfig“, also etwas, das damals im linksgrünen Denken eindeutig positiv belegt war. „Aufmüpfig“ so hieß es, habe sich anfangs vor allem auf die 68er-Bewegung bezogen und sei 1970/71 im allgemeinen Sprachgebrauch neu aufgekommen. Heute würde „aufmüpfig“ sicher nicht mehr zum Wort des Jahres gekürt, weil längst nicht mehr nur politisch Linksstehende „aufmüpfig“ sind.
1993 war „Sozialabbau“ das „Wort des Jahres“. Auch das ist ein polemischer Begriff, der sich gegen marktwirtschaftliche Reformen des Sozialstaates wendet.
1998 war das Wort des Jahres „Rot-Grün“, 2007 „Klimakatastrophe“ („die Folgen unkontrollierter globaler Erwärmung“). 2015 wurde dann „Flüchtlinge“ zum „Wort des Jahres“, obwohl man gerade diesen Begriff wegen mangelnder Differenzierung durchaus kritisch sehen kann. Denn in Politik und Medien wird er oft pauschalisierend und generalisierend für Einwanderer verwendet, auch wenn diese nicht vor Kriegen und Bürgerkriegen auf der Flucht sind, was ja die ursprüngliche Bedeutung des Wortes ist. Inzwischen muss man ja aus unerfindlichen Gründen „Geflüchtete“ sagen und „Flüchtling“ soll falsch sein.
Die Jury kürt auch einen „Satz des Jahres“. Schon zwei Mal hat Angela Merkel den „Satz des Jahres“ gesagt, nämlich 2011 („Fukushima hat meine Haltung zur Kernernergie verändert“) und 2015 („Wir schaffen das“). 2001 prägte der Berliner SPD-Vorsitzende und spätere Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit das Wort des Jahres: „Ich bin schwul und das ist (auch) gut so“.
Mit „Sprachwissenschaft“, wie es unkritisch in Medienberichten heißt, haben all diese Worte, Unworte usw. nicht das Geringste zu tun – hier wollen sich lediglich Linksintellektuelle ihrer Deutungshoheit versichern und Andersdenkende lächerlich machen und diffamieren. Sprachwissenschaftler hätten dabei tatsächlich eine Menge Arbeit, wenn sie die Verhunzung der deutschen Sprache durch „genderneutrale“ Sprachregelungen wie etwa das sogenannte „Gendersternchen“ * kritisieren würden. Aber die Jury würde sicherlich eher denjenigen verdächtigen, Unworte zu gebrauchen, der sich dieser Sprachverhunzung widersetzt. Als weitere mögliche Unworte würden mir einfallen „soziale Gerechtigkeit“ oder „Gleichstellung“.