Die Angst beim Establishment ist spürbar im politischen Berlin. Der Vertrauensverlust zu den etablierten Parteien wächst im Volk, wie auch jüngste demoskopische Erhebungen zeigen. Fast panisch reagieren Medien und Politik auf die AfD-Konkurrenz, die innerhalb von sechs Jahren nach ihrer Gründung alle 16 Landesparlamente „erobert“ hat und die stärkste Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag stellt. Weil der Aufstieg der schillernden Konkurrenz bisher nicht aufzuhalten scheint, darf jetzt die Exekutive in Gestalt des Verfassungsschutzes die Partei auf mögliche verfassungsfeindliche Bestrebungen überprüfen. Vor den Europawahlen im Mai und den drei Landtagswahlen im Herbst in Ostdeutschland könnte die drohende Verfassungsfeindlichkeit potentielle Spender und Mitglieder aus dem öffentlichen Dienst abschrecken und vor allem Wählerinnen und Wähler davon abhalten, für die AfD zu stimmen, so die Hoffnung. Der einhellige Beifall von Union, SPD, Grünen und Linkspartei für diese Entscheidung des Bundesamts für Verfassungsschutz macht hellhörig. Allein FDP-Chef Christian Lindner warnte vor Beifall, weil der den Verdacht nähren könnte, dass sich die Parteien mithilfe der Sicherheitsbehörden einer „lästigen Konkurrenz“ entledigten.
Dass sich in der AfD derzeit ein harter Klärungsprozess zwischen dem rechtsradikalen Flügel und den moderaten konservativ-liberalen Kräften abspielt, ist offensichtlich. Der spektakuläre Austritt von André Poggenburg, bis zum vergangenen Jahr immerhin Landes- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt, ist dafür Beleg genug. Auch in den Landtagsfraktionen versucht in der Regel die Mehrheit, antisemitische oder rassistische Abgeordnete auszuschließen – mal mit, mal mit wenig Erfolg. Ob dieser politische Klärungsprozess gelingt, bleibt abzuwarten. Dass er gelingen kann, hat übrigens das erste Jahrzehnt der Grünen in den Achtziger Jahren belegt, einer Partei im anderen politischen Spektrum, die in ihren Anfangsjahren linksradikale Köpfe zuhauf in ihren Reihen hatte, in manchen Regionen sogar ehemalige NPD-Funktionäre (!). Neue Parteien wirken wie Staubsauger auf Exoten, Chaoten und Ideologen aller Couleur. Auch damals rief das Establishment übrigens nach dem Verfassungsschutz, zumal die Grünen in ihren Anfängen selbst das staatliche Gewaltmonopol in Frage stellten.
Ob die Rechnung aufgeht, die AfD nach dem simplen wie falschen Motto „Nazis raus“ wieder aus den Parlamenten zu entfernen, halte ich für äußerst fraglich. Bei den Grünen jedenfalls verfing die Stigmatisierung nicht. Sie sind längst Teil des alteingesessenen Parteiensystems und willkommener Koalitionspartner. Ausgrenzung kann auch stabilisieren. Auch Totgewünschte haben oft ein langes Leben.
Doch eine andere Rechnung, die Rechnung für den sozialpolitischen Kampf gegen die AfD, den derzeit die Große Koalition explizit führt, wird der Bürger dauerhaft bezahlen müssen. Die Kanzlerin hat in dieser Woche in Berlin den vom Kohle-Ausstieg hauptbetroffenen Ministerpräsidenten im Osten beim Abendessen zusätzliches Bundesgeld versprochen, um das vorzeitige Ende der Braunkohle-Förderung für die betroffenen Regionen und die rund 20.000 Beschäftigten abzufedern. Der Protest soll schließlich nicht bei der AfD auf dem Stimmenkonto landen. Milliarden zusätzliches Bundesgeld soll also dafür fließen, dass der Kohleausstieg einige Jahre vorgezogen wird. Dass die Energiewirtschaft ihre CO2-Vorgaben auch ohne vorzeitigen Ausstieg einhält, während der Verkehrssektor ständig mehr Kohlendioxid ausstößt, ist reiner Irrsinn. Doch die Rechnung wird den Steuerzahlern langfristig zuverlässig präsentiert.
Auch die Grundrente will die Union jetzt schnell mit der SPD auf den Weg bringen. Die neue Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer gab diese Losung nach der Klausur der Unionsspitzen aus. Sie soll deutlich über der bisherigen Mindestsicherung im Alter liegen und den gebrochenen Erwerbsbiografien nach der Wende in Ostdeutschland Rechnung tragen. Sie wird teuer und erfahrungsgemäß nicht nur den tatsächlich betroffenen Wende-Opfern dienen, sondern auch vielen teilzeitbeschäftigten Frauen in Westdeutschland, deren Partner gutverdienende Akademiker sind. Doch das Rentenkonzept von AfD-„Flügel“-Mann Björn Höcke, der Vorsitzender der dortigen Landtagsfraktion ist, macht der Unions-Konkurrenz teure Beine. Die künftigen Rentnerinnen und Rentner sowie die Beitragszahler werden auch diese sozialpolitische Großzügigkeit bezahlen müssen: Die einen mit einem geringeren Rentenniveau oder einem späteren Renteneintrittsalter, die anderen mit weiter steigenden Sozialversicherungsbeiträgen.
Doch im Kampf gegen „einen deutschen Trump“, diese Losung stammt von SPD-Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz, gilt offenkundig das Motto: Viel Sozialstaat soll es richten. Dass diese Strategie trotz Rente mit 63, Mütterrente I und II sowie zahlreicher neuer sozialpolitischer Leistungen nicht aufgegangen ist und die AfD immer stärker beim Wähler punkten konnte, sollte gerade einen Bundesfinanzminister nachdenklich machen, der soeben „das Ende der fetten Jahre“ ausgerufen hat. Denn die dauerhaften Folgekosten werden bleiben, selbst wenn der AfD nur ein kurzes Leben im Parteiensystem der Republik beschieden sein sollte.