Tichys Einblick
Blasphemische Gedanken

Wie man Köpfe abschneidet ohne zugleich den Bart

Natürlich sind die Erziehungsideale des Islam dafür verantwortlich, wenn betrunkene muslimische Männer in Köln ihren Hass und ihren Neid auf westliche Lebensart und ihr gestörtes Verhältnis zum anderen Geschlecht ausleben. Nur darüber reden darf man nicht.

Die Bärte müssen ab, damit die Köpfe gerettet werden können. Doch in Saudi-Arabien verliert der König eher seinen Kopf als seinen Bart.

I.

Die Deutschen verwechseln gerade mal wieder die Welt mit unserer kleinen Besten-aller-Welten. Nein, das gerade die Welt bewegendste Ereignis ist nicht die Spaltung der Köpfe deutscher Feministinnen in multikultilinks und rechtsstaatsrechts. Wie soll frau das aber auch begreifen? Je nach Laune erheitert/erschreckt/erstaunt/verbittert/erzürnt der öffentliche Prozess einer verspäteten Aufklärung. Es ist der schönste Schauprozess. Auf der Anklagebank: Die Guten, die sich sauschlecht fühlen. Jetzt kommen Blindheit, Verbohrtheit, Unbelehrbarkeit ans Licht. Nichts zerstört die Glaubwürdigkeit von Angela Schafftdas gründlicher als ein einziges Zitat eines einzigen mutmaßlichen Gewalttäters aus dem Polizeibericht: „Ihr müsst freundlich zu uns sein, Frau Merkel hat uns eingeladen.“
Es ist ja nichts Unerwartbares geschehen. Lediglich Verdrängtes, Geleugnetes, für unmöglich Erklärtes ist eingetreten. Niemand war darauf vorbereitet, schon gar nicht Angela Machtschon, ja nicht einmal die Polizei (deren Rechtschreibkünste im Höheren Dienst faszinieren – das Land steht unter Kulturschock, und wie man die Dinge ausdrückt, ist keine Nebensache, sondern symptomatisch). Jetzt reiben sich Intellektuelle, Politiker, Beamte öffentlich die Augen und eine halbe Sahara rieselt heraus.

Unser Land ist bereits verändert. Wir müssen es uns gar nicht mehr wünschen, Claudia Roth und ihre Freundinnen von der Die-Welt-mit-dem-Munde-gemalt-Fraktion brauchen sich nicht mehr darauf freuen. No-Go-Areas haben wir längst. Sogar im Schatten des Doms mitten im heiligen Köln, wo die drei Weisen aus dem Morgenlande in ihrem güldenen Schrein verehrt werden, gibt erst die Polizei den Verstand ab und danach auch noch die gerade von einem Attentat genesene, aber nicht klüger gewordene Oberbürgermeisterin. Frauen, haltet Distanz! lautet ihr Rat. Eine Armlänge Dummheit reicht dazu voll aus. (Als Literaturmensch füge ich hinzu: Es sieht aus, als sei in Köln gerade der Roman von Michel Houellebecq fürs deutsche Fernsehen adaptiert worden. In „Unterwerfung“ steht schon alles drin. Lesen!)

II.

Nein, das nachhaltigste Ereignis dieser irren Tage ist der (noch) kalte Krieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, zwischen einer menschenverachtenden Variante des Islam und einer anderen. Er entzündete sich an der Hinrichtung eines Ayatollahs.

Dass es einem hohen Geistlichen den Kopf gekostet hat, ist um kein Haar verwerflicher als die Todesstrafe für jede und jeden anderen, die der Scharia zum Opfer fallen. Auch im Iran wird im Namen eines Propheten gesteinigt, gefoltert, gemordet. Unsere moralisierende Öffentlichkeit aber schlägt sich ganz und gar auf die Seite der Schiiten. Unser Saudi-Verdammung hat einen Bart, und der muss ab.

Unter uns: Der König von Saudi-Arabien ist ein armseliger Tyrann. Denn er ist nicht mächtig genug. Wäre er es, würde er die perverse Abhängigkeit seines Hauses von den wahhabitischen Klerikern beenden. Die eigentliche Diktatur ist die Diktatur hinter und über der Diktatur. Und das ist eine Religion. Der Unterschied zum Iran besteht nur darin, dass sich die Kleriker dort direkt an die Macht geputscht haben, die Kleriker in Saudi-Arabien sich dagegen ein Königshaus halten. Ich stelle mir den König von Saudi-Arabien als einen Mann vor, der nachts nicht schlafen kann. Nicht, weil er alt und krank ist, sondern weil er weiß, dass seine Macht nur geliehen ist.

Er hat nichts davon, die Frauen von der Religionspolizei schikanieren zu lassen. Er hat nichts davon, das Gewaltmonopol mit den Klerikern teilen zu müssen. Aber wir glauben, das Problem sei, hokuspokusfidibus, mit dem Ende des saudischen Königshauses erledigt. Der gescheiterte „arabische Frühling“ hat uns nichts gelehrt. Obwohl doch das Resultat dieses „Frühlings“ in Syrien nicht zu übersehen ist.

Jetzt ist dort Stellvertreterkrieg zweier vom religiösen Irrsinn zerrissener Mächte. Angela Arglos kann ihren famosen Plan vergessen. Wer nur irgendwie kann, wird das zerstörte Land verlassen. Wellcome!

III.

Es sah alles schon einmal besser aus, sogar bei den Wahhabiten. Selbst in Saudi-Arabien war Hoffnung auf eine allmähliche Öffnung der Gesellschaft aufgekeimt. Ich lernte dort beeindruckende Frauen kennen, Unternehmerinnen, Journalistinnen, Künstlerinnen, und sogar Prinzen in Ministerämtern, die davon überzeugt waren, der entscheidende Wandel werde von den Frauen kommen. Wenn der schiere Reichtum der Gesellschaft nicht ausreicht, das Land zusammen zu halten, dann wollen auch saudische Männer, dass ihre Frauen berufstätig sind. Wie aber soll das gehen, wenn sie einen Chauffeur brauchen, um zur Arbeit zu kommen? Die sich wandelnde Ökonomie werde auch die Gesellschaft wandeln – so die Hoffnung. Jetzt bricht die Ökonomie ein – doch die Hoffnungen haben sich verflüchtigt. Roll back! Treibende Kraft ist die Religion. Die islamischen Gesellschaften enthaupten sich selbst. Die Scharia richtet sich gegen das eigene Volk. Die Bärte müssen ab, damit die Köpfe gerettet werden können. Die Alternative wäre eine Radikalrasur. Doch Revolution in Saudi-Arabien ist ein Hirngespinst. Eher verliert dort der König seinen Kopf als der Wahhabismus seinen Bart.

IV.

Dazu passt ein Wort des Chefideologen der allein selig machenden katholischen Kirche in seinem lesenswerten ZEIT-Interview. Wenn man es gelesen hat, braucht man sich über den Islam nicht mehr zu wundern. Ich kürze ab: Kardinal Müller hält Glauben generell für eine „natürliche Tugend“. (Meint er so eine Art Basic Instinct oberhalb der Gürtellinie?) Ein starkes Stück Unsinn. Natürlich ist der Menschen Freiheitsdrang. Nicht natürlich ist das blinde Nachbeten der Dogmen hirnloser Greise. Natürlich ist der Gebrauch des eigenen Verstandes. Ich empfehle Müller das Tragen eines Vollbarts. Oder hat er ihn schon? Man kann es schlecht erkennen, denn leider wächst der bei ihm nach Innen.

V.

Damit wir es mitten in der Aufregung nicht ganz vergessen: In der Türkei hat die hohe Geistlichkeit gerade Zärtlichkeiten wie Händchenhalten selbst unter Verlobten mit einer Fatwah belegt. Die Türkei ist der von Kemal Atatürk gegründete Staat, in dem einer europäischen Lieblingslegende nach ein menschenwürdiger, vernünftiger Islam zuhause gewesen ist. Wie schön, dass mancher junge Moslem wenigstens fern der Heimat seine Hände gebrauchen kann.

Muss man daran wirklich noch erinnern: Die Unterdrückung der Sexualität (weiß Gott eine „natürliche Tugend“) unter der Fuchtel welcher Religion auch immer, führt nicht zu mehr Tugend, sondern zum schieren Gegenteil. Rigide Erziehung, worauf nicht nur Islamisten stolz sind, verdirbt junge Menschen. (Auch das Elend der deutschen Geschichte ist ohne Weiteres aus falschen Erziehungsidealen zu erklären).

Mir tun nicht nur die Frauen in Saudi-Arabien leid, sondern auch die jungen Männer. Die Religion verbietet die Entwicklung eines normalen Verhältnisses zum anderen Geschlecht. Junge Saudis dürfen nicht tanzen, nicht mit Frauen ausgehen. Nur die Reichen können sich Sex kaufen oder sich an ihren ausländischen Hausmädchen vergehen. Die anderen warten darauf, bis sie zum Heiraten verkuppelt werden.

Natürlich sind die Erziehungsideale des Islam dafür verantwortlich, wenn betrunkene muslimische Männer in Köln ihren Hass und ihren Neid auf westliche Lebensart und ihr gestörtes Verhältnis zum anderen Geschlecht ausleben. Nur darüber reden darf man nicht.

VI.

Vor einem Jahr der Mord an den Zeichnern von Charlie Hebdo. Charlie Hebdo lebt, blasphemisch wie eh und je. Das Recht auf Blasphemie ist nicht das geringste in einer freien Gesellschaft. Es ist die hohe Schule der Freiheit. Nur wirklich offene Gesellschaften beherrschen sie. In Frankreich wird Blasphemie selbstverständlich geachtet. Wir sind nicht Charlie. Die meisten Deutschen finden selbst Polemik schlecht, lehnen überhaupt politischen Streit ab. Nur wenige Kabarettisten (Polt, Zimmerschied, katholische Bayern und keine Comedians) beherrschen diese Kunst. Was irgendwer für heilig hält, darf hierzulande nicht verspottet werden. Franziskus nicht, der es längst verdient hätte, und Mohammed erst recht nicht. Ist nicht p.c. und überhaupt riskant.

Der deutsche Blasphemie-Paragraph gehört endlich abgeschafft. Nur die FDP fordert das. Die Trennung von Staat und Kirche, Frankreichs große Errungenschaft, ist in Deutschland schier unmöglich. Wo immer ein Gott missbraucht wird für Macht über Menschen, muss sich der Staat dagegen wehren. Die FDP hat bekanntlich die Heiligen Drei Könige zum Schutzpatron erkoren. Es sind ja nicht die schlechtesten Vorbilder. Unbeirrt folgen sie ihrer Überzeugung. Der Partei fehlt ein Navigationssystem wie es damals den drei Weisen zur Verfügung stand. Liberalität als Leitstern einer aufgeklärten Gesellschaft: Nichts hätte dieses Land nötiger. Ein Wunsch, den wahrscheinlich nur das Christkind erfüllen kann, falls man an es glaubt. Aber das ist schon wieder ein anderes Thema. Oder auch nicht.

Die mobile Version verlassen