Tichys Einblick
Energiereligion

Die hermetische Energiewende

Ein TE-Leser zur Anhörung “Digitalisierung der Energiewende” im Landtag von NRW: Erschütternd ist, wie selbst im einstigen "Energieland" NRW Glaube und Illusion an Stelle von Fakten und Physik getreten sind.

© Getty Images

Wir leben in einer hochverdichteten, durchtechnisierten Zivilisation, einer selbst geschaffenen Technosphäre, die allen Bürgern die sichere und selbstverständliche Versorgung mit den Grundgütern Atemluft, Wasser, Licht, Wärme, Nahrungsmitteln, Kleidung sowie Mobilität und Zugang zu modernen Medien bietet – auch denen, die nicht arbeiten, weil sie es nicht (mehr) können, dürfen oder wollen.

Notwendige Voraussetzung dieser Technosphäre ist eine weitgehend unterbrechungsfreie Energieversorgung. Sie ist die technische Grundlage für die gesamte Logistik der umfassenden, lückenlosen Bereitstellung der oben genannten Güter. Wird diese Versorgung durch Ausfall der Energiebereitstellung unterbrochen, fällt die Logistik aus, und die meisten Menschen erhalten dann nur noch Luft – alle anderen Güter können ohne Energie in einer hochverdichteten Industriezivilisation nicht bereitgestellt werden. Dauert der Ausfall länger als 18 bis 24 Stunden, beginnen Menschen zu sterben, die Schwächsten wie Patienten auf Intensivstationen, Säuglinge oder alte Menschen zuerst. Wer die Grundgesetze der Physik kennt, weiß auch, dass ohne große, zentral gesteuerte Grundlastkraftwerke, die Uran, Kohle oder Gas verbrennen, die Stromversorgung nicht zu leisten ist. Soweit die Realität.

Leugnung der physikalischen Gesetze durch Politik und Lobbyisten

Doch die politischen Eliten planen und handeln vollkommen an dieser Realität vorbei, als wären sie von den Gesetzen der Physik einfach entkoppelt. Welches Ausmaß diese ideologische Realitätsverweigerung bereits erreicht hat, zeigt ein besonders extremes Beispiel, das sich am 18. Dezember im Landtag des bevölkerungsreichsten Bundeslandes NRW, das mit knapp 18 Millionen Menschen mehr Einwohner hat als die Niederlande, ereignete. An diesem Dienstag im Advent tagte der Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung des Parlaments zur Anhörung von Sachverständigen, die zum Antrag “Chancen der Digitalisierung für die Energiewende nutzen” der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Drucksache 17/3030) befragt wurden. Der Antrag zielt darauf ab, die Energiewende durch Einsatz digitaler Technologien wie der Blockchain zu beschleunigen.

Energiereligion im Landtag NRW

Neben den Fraktionsvertretern (und interessierten Zuhörern) waren acht Sachverständige, die sich zum Thema äußerten, anwesend. Die meisten waren Lobbyisten, beispielsweise vom Verbund der Energieerzeuger BDEW, dem Verband kommunaler Unternehmen NRW, der Verbraucherzentrale NRW, dem Bundesverband der Blockchain oder dem Bundesverband Neue Energiewirtschaft e.V. Die Lobbyisten tätigten die meisten ihrer Aussagen als affirmative Antworten auf entsprechende rhetorische, die Energiewende bejahenden Fragen der Fraktionsvertreter von den Grünen, der SPD und der FDP. Vertreter der CDU fragten eher zurückhaltend, doch auch nicht überaus kritisch. Kritische Fragen stellten einzig die Vertreter der AfD.

Fragestellende und Lobbyisten waren sich einig, dass die Energiewende prinzipiell schon vollzogen sei und man nun nur noch den Ausstieg aus der Kohleverstromung brauche. Die Digitalisierung diene der Beschleunigung der Energiewende. Dabei wurde die modische, religiös anmutende Sprache der links-utopischen Weltverbesserung verwendet, Physik und Technologie spielten dabei keine Rolle.

Vielmehr nutzten die Experten, unter denen sich etliche Geisteswissenschaftler befanden, wohlklingende Schlagworte ohne Bezug zur naturwissenschaftlichen Realität: Die Klimaziele müssten erreicht werden, um „den Planeten zu retten“, dafür seinen nun “Dekarbonisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung” erforderlich, was bedeute, dass die Zeit der „Versorgung durch große Energieproduzenten vorbei“ sei und wir uns im Übergang zu einem Zeitalter der “neuen Energie” befänden, in dem Konsumenten zu “Prosumern” würden, die ihren eigenen Strom produzierten und ihn sich „gegenseitig verkauften“. Der Strom werde nun “dort produziert, wo er auch verbraucht wird”.

In dieser Einschätzung waren sich sieben der acht Sachverständigen einig. Nur ein Experte wies auf Anfrage der AfD darauf hin, dass eine kleinteilige Regionalisierung der Stromversorgung nicht möglich ist, weil bei wenigen Strom nachfragenden Verbrauchseinheiten die stochastische Nachfragefunktion nicht geglättet sei und daher das Stromangebot nicht auf dem Niveau der Nachfrage gehalten werden könne. Dies führe zu Schwankungen der Netzfrequenz, die den Betrieb von Endgeräten beeinträchtigen oder Stromausfälle nach sich zögen.

Diese technisch korrekte Aussage wurde von keinem anderen Experten bestätigt. Vielmehr wurden in Negierung der physikalischen Realität unmögliche Wunschvorstellungen als machbare Ziele beschrieben. Bemerkenswert in dieser Hinsicht waren vor allem folgende Aussagen:

Dem schloss sich eine längere Diskussion über den Nutzen digitaler, mit dem Netz verbundener “Smart Meters” (Stromverbrauchszähler) an, bei der die Lobbyisten vehement deren gesetzlich anzuordnende, flächendeckende Einführung forderten, während nur ein Experte darauf hinwies, dass sich solche Zähler für Privathaushalte nicht rentieren und auch nicht dazu beitragen können, die Stromversorgung zu dezentralisieren. Schließlich wurde von mehreren Sachverständigen beklagt, dass die “Menschen noch nicht von der Energiewende überzeugt” seien und daher viel staatliches Geld benötigt werde, um ihnen diesen “notwendigen Wandel zur Rettung unseres Planeten” nahezubringen – die als Sachverständige geladenen Lobbyisten verlangten also Steuermittel, um Werbung für ihre Wirtschaftsinteressen zu machen.

Die Themen Versorgungssicherheit und Strompreis wurden von der Mehrheit der Sachverständigen nicht diskutiert, lediglich die sozial unerwünschten Nebenwirkungen der Energiewende zu Lasten armer Haushalte wurden kurz erwähnt, ohne dafür aber eine Lösung zu bieten; stattdessen wurde ein massiver Ausbau von Stromspeichern gefordert, ohne anzugeben, wie diese beschaffen sein und was sie kosten sollten.

Drei Fragen

Was war an dieser Sitzung so bemerkenswert? Bis auf eine Minderheit der Abgeordneten und einen einzigen Sachverständigen waren sich alle Teilnehmer einig, dass die Gesetze der Physik zu ignorieren seien und ein utopisches Programm erfüllt werden muss, das nicht realisierbar ist; mit anderen Worten: sie huldigten einer quasireligiösen Vorstellung von der Energiewende. Erstaunlich war dabei die hermetische Geisteshaltung der Wortführer der Energiewende und der ihnen eng verbundenen Lobbyisten, die rationalen Argumenten nicht zugänglich waren und für solche nur offen gezeigte Verachtung übrig hatten.

Was treibt die Akteure? Dass Lobbyisten, die sich mit der Energiewende kurzfristig auf Kosten der Allgemeinheit bereichern können, sich dafür aussprechen, verwundert nicht. Aus ihrer Sicht versuchen sie lediglich, staatlich erhobene Zwangsabgaben (wie die “EEG-Umlage”) zu privatisieren, wie dies viele privatwirtschaftliche Nutznießer der hohen Staatsquote oder des halb-staatlichen Finanzsystems in Deutschland tun. Die Politiker hingegen sind offensichtlich einzig vom Willen getrieben, in dem energiewendetrunkenen Teil der Öffentlichkeit gut auszusehen. Die Machbarkeit oder gar die Risiken ihres Vorgehens scheinen sie nicht zu bekümmern.

Wann endet dieser Wahn? Wahrscheinlich erst nach einem längeren Blackout mit vielen Toten. Anders, das zeigt unsere Geschichte, lassen wir Deutschen uns aus Schüben politischen Wahns nicht befreien. Etwas Hoffnung böte – paradoxerweise – auch eine tiefgreifende und lang anhaltende Wirtschaftskrise, die die Menschen politisierte und ihnen verdeutlichen würde, dass Geld und Strom nicht einfach aus der Wand kommen. Bis dahin wird es mit dem Wahn noch weitergehen.

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