Wir haben alle von Che Guevara gehört. Doch kennen Sie auch Guanahacabibes? Wahrscheinlich nicht. Guanahacabibes ist eine Halbinsel im Westen Kubas. Ein traumhaft schöner Ort, mit weißem Sandstrand, klarem Wasser und Palmen, die sich im warmen Wind wiegen.
Ach, ja, noch etwas: 1960 eröffnete Che Guevara auf Guanahacabibes sein erstes Zwangsarbeitslager für politische Abweichler.
Unter Guevaras Aufsicht wurden Schwule in Straflager eingesperrt, und dazu etwa Menschen, die am Samstag nicht arbeiten wollten, etwa Siebenten-Tags-Adventisten, oder die schlicht bei öffentlicher Trunkenheit erwischt wurden, was einem sechs Monate im Arbeitslager einbringen konnte (siehe z.B. oas.org, cidh.org).
Che Guevara war ein kalter Mörder (El Pais nennt ihn » la máquina de matar«, die Tötungsmaschine, elpais.com, 31.7.2005). Die Linke, auch die im Bundestag, verehrt ihn. Warum? Ist es, weil er sich auszuführen traute, was sie selbst derzeit nicht dürfen und können? (Die DDR ist vorbei, und eine neue DDR ist zwar in Arbeit, aber noch nicht umgesetzt.)
Ich bezweifele übrigens gar nicht, dass Che Guevara hübsch war! Was er für ein Charisma hatte, welche Wärme! Mit seinem klaren Blick und dem fast feminin fein geschnittenen Gesicht könnte Che Guevara heute etwa für eine Parfümmarke modeln – diese Augen! – hätte er nur nicht aufgrund mangelnder Hygiene so gestunken – es ist dokumentiert.
Che Guevara war hübsch, kein Zweifel, doch nach ähnlicher Logik könnten Linke auch das Konterfei von Adolf Hitler auf dem T-Shirt tragen, wenn er nur etwas hübscher gewesen wäre.
Wir müssen der Tatsache ins Gesicht sehen: Jene Linke, die unsere Kultur und Debatte bestimmen, sind nicht so schlau, wie sie meinen – oder aber sie sind gewissenlos – die Auswirkung wäre jeweils dieselbe.
Seite an Seite
Die empfindsame Linke des Westens hat ein neues Lieblingssymbol: den Hijab, das Kopftuch des Islams – manchmal auch Seite an Seite mit Che-Guevara-Shirts getragen. Nike hat vor einiger Zeit den Sport-Hijab vorgestellt. Und am 1. Februar feiern Linksbewegte weltweit den »World Hijab Day«. Die Frauen der Ungläubigen sollen ausprobieren, wie es sich anfühlt, das Kopftuch überzuziehen.
Im Text »Faktische Realität vs. angenommene Realität – am Beispiel des Kopftuchs« habe ich versucht nachzuzeichnen, wie gerade am muslimischen Kopftuch eine Tendenz zur Aufspaltung linker Weltwahrnehmung in eine faktische und eine angenommene Realität deutlich wird:
Die faktische Realität würde annehmen, dass das Kopftuch ein Zeichen der Unterdrückung der Frau ist (dass einzelne Frauen erklären, es freiwillig zu tragen, widerspricht dieser Aussage nicht) und dass es eine desintegrierende Abtrennung von allen Frauen, die es nicht tragen, ist – und sein will.
Die angenommene Realität der Linken würde annehmen, dass das Kopftuch ausschließlich in die Debatte persönlicher Religionsfreiheit fällt, (und/oder) dass es de facto nur ein Mode-Accessoire ist und grundsätzlich als Zeichen weiblicher Emanzipation betrachtet werden kann.
Wenn meine Beschreibung der zwei Realitäten stimmt, dann könnte man sagen, dass selten die faktische und die angenommene Realität so weit auseinander fallen wie bei der Debatte ums muslimische Kopftuch.
In der angenommenen Realität der Linken ist das Kopftuch ein Symbol der Emanzipation. In der faktischen Realität, etwa im Iran oder in Saudi Arabien, reißen Frauen sich unter Gefahr von Strafe und Gefängnis das Kopftuch von den Haaren, und feiern eben das als Zeichen und Akt der Freiheit.
Angeblich soll der World-Hijab-Day für Toleranz und Miteinander werben; doch es ist wie so oft bei heutigen linken Ideen in sich widersprüchlich. Was ist es denn wirklich, das gelangweilte, freie, reiche und behütet mittelständisch aufgewachsene Frauen da ausprobieren sollen? Wie es ist, ein Stück Stoff auf dem Kopf zu haben? Nein, es geht nicht um das Tuch – um was aber dann?
Die eigentlichen Probleme des Hijab-Tragens sind, unter anderem:
- In einigen muslimischen Ländern und Communities werden Frauen gezwungen, den Hijab zu tragen.
- Der Hijab markiert die Frau optisch als eben solche, und zwingt (oder: schiebt) sie schon optisch in eine gesellschaftlich vorgegebene Rolle – um es zart zu sagen.
- Der Hijab ist ein dauerndes, sichtbares und damit sich selbst verstärkendes Zeichen einer Aufteilung der Gesellschaft in »Gläubige« und »Ungläubige«.
Wer im Alltag tatsächlichen »jungen Männern« begegnet (etwa indem er, wie ich, in Köln aufgewachsen ist), für den ist es leider keine allzu große Überraschung, wenn Frauen ohne Kopftuch gelegentlich als »Schlampe« bezeichnet werden (von ähnlichen Damen und Herren wie jene, für die »Jude« ein Schimpfwort darstellt). Ein westliches Mädchen, das die Wahl hat, von seinem sozialen Umfeld als »Schlampe« bezeichnet (und behandelt!) zu werden – oder eben sich zu beugen und Kopftuch zu tragen – wie frei ist es in seiner Entscheidung wirklich? Wie »emanzipiert« ist dessen Entscheidung?
Für BILD notiert Timo Lokoschat die Perspektiven von Frauen, die gegen den Hijab und die Hijab-Verharmlosung protestieren:
Die amerikanische Autorin und Professorin Asra Nomani richtet sich direkt an die „Westler, die das Kopftuch lieben“ und formuliert: „Wenn es einer Frau oder einem Mädchen verboten ist, den Wind in ihrem Haar zu spüren, stellen Sie sich vor, welche anderen Rechte ihnen diese Männer-Regeln verwehren!“
Yasmine Mohammed kritisiert auch, dass es vor allem privilegierte westliche Frauen seien, die das Kopftuch mit einem Feiertag verherrlichen. (bild.de, 4.1.2019)
Provokante Idee: Wenn Linksbewegte den World Hijab Day authentisch begehen wollen, sollten sie nicht besser ohne Kopftuch in eine Community gehen, in der er Pflicht ist, und sich dort beschimpfen lassen! Wäre das nicht die authentischere Erfahrung?
Amnesty International berichtet von Frauen im Iran, die festgenommen, übel behandelt und laut Aussage eines Anwalts sogar gefoltert wurden, für ihre Weigerung, öffentlich den Hijab zu tragen (amnesty.org, 26.2.2018). Wäre es nicht die realistischere Hijab-Erfahrung, im Iran den Hijab nicht zu tragen und dann aus dem Gefängnis zu berichten?
Wir sind es gewohnt, dass Linke innerhalb ihrer eigenen Weltwahrnehmung leben und denken, doch die Parallel-Realität der Stadtfest-Multikulti-Bewegten wird dann zum Problem, wenn politische und soziale Entscheidungen in der realen Welt aufgrund der eingebildeten Fakten aus der irrealen, angenommenen Welt getroffen werden.
Noch etwas Realität, und solcher Berichte gibt es viele:
„Meine Mutter zwang mich, das Kopftuch zu tragen und drohte mir mit dem Höllenfeuer“, erzählt eine junge Frau auf Twitter. „Jetzt bin ich endlich frei.“ (bild.de, 4.1.2019)
Die große Lüge des World Hijab Day ist, dass das Falsche getestet wird – man kann nicht freiwillig den Zwang testen. Am Abend ziehen sich die Grünblüten das Probekopftuch wieder aus, doch jene Frauen, die um jedes Fitzelchen an Emanzipation ringen, wenn sie den Hijab öffentlich ablegen, riskieren etwa im Iran ihre Freiheit. Man kann Zwang nicht »testen«.
Aber gut, wissen Sie was? Nehmen wir den World Hijab Day als Zeichen der Toleranz und des Miteinanders ernst … ich habe allerdings einen erweiternden Vorschlag: Schalten wir direkt vor den World-Hijab-Day einen No-Hijab-Day! Konzept: Ansonsten hibjabtragende Muslimas ziehen für einen Tag den Hijab öffentlich aus, und erst dann, im Gegenzug, findet der World Hijab Day statt – fairer Deal? – Es wird nicht passieren. Warum nicht? Ist Toleranz gar eine Einbahnstraße, die immer nur in eine Richtung geht?
Wie sie denken
Der Dunning-Kruger-Effekt beschreibt die Neigung inkompetenter Menschen, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, und hat es je eine präzisere Bebilderung dieses Effektes gegeben als die meinungsbildende Linke?
Oder, knapper formuliert: Linke sind nicht so schlau, wie sie denken. Und, von mir aus auch andersrum: Wie Linke denken, das ist nicht so schlau.
Die Che-Guevara-Verehrung war fast noch niedlich, doch wenn der Umgang mit dem realen Islam und seinen Traditionen von selbstbewussten Uninformierten bestimmt wird, wird es gefährlich.
Deutsche Meinung wird beeinflusst von sensationell uninformierten wie unreflektierten Individuen, die wenig außer »Haltung« (Parteilinie) und Selbstbewusstsein vorzuweisen haben.
Leider nicht
Nein, wir sollten Linken nicht das antun, was sie in der Geschichte selbst wieder und wieder mit ihren Gegnern tun, wir sollten sie weder verbannen noch bedrohen.
»Töricht auf Beßrung der Toren zu harren« mahnt Goethe und David Dunning erklärt: »Wenn jemand inkompetent ist, dann kann er nicht wissen, dass er inkompetent ist«. – Nein, sie werden es nicht erkennen.
Es ist Zeit – und zwar täglich! – die tonangebende Linke weniger ernst zu nehmen. Der Welt wäre schon viel geholfen, wenn die mit der Logik auch nur ein Viertel des Selbstbewusstseins derer mit der Haltung aufbrächten.
Nein, empörte Gefühle sind kein Argument. Wunschdenken ist keine gültige Prämisse. Drohung mit Meinungspolizei und Zensur mag die Debatte beenden, aber gewonnen ist sie dadurch noch nicht.
Wer Andersdenkende in Arbeitslager sperrt, der steht für dies und das, aber für Freiheit, für die steht er nicht.
Der Hijab steht durchaus für eine »Haltung«, kein Zweifel, aber für Emanzipation und für die Rechte der Frau, für die steht er nicht.
Die Linken in den Redaktionen und Ministerien, die können gewiss manches, aber gut denken, das können sie leider nicht.
Realitätsblinde Gesinnungsethiker haben die Gesellschaft gespalten, und sie zerren uns von den Werten der Aufklärung weg – sie erreichen ja nicht einmal ihre eigenen erklärten Ziele mit ihren bauchgefühlgesteuerten Kurzschlusshandlungen! Um die Gesellschaft zu einen, braucht es eben auch den Mut, denen klar »Nein!« zu sagen, welche uns mit ihrer billigen Empörung und politisch korrekten Irrationalität spalten.
Mit ihrer Traumtänzerei lassen Linke zu, dass der Westen zurück in eine neue Art von Mittelalter abgleitet. Während China auf der Rückseite des Mondes landet und Japan emotional wirksame Roboter entwickelt, ist der Westen mit Islamkonferenzen, böllernden Neubürgern und immer wieder Kopftüchern beschäftigt.
Es wird Zeit, den im moralischen Delirium schwebenden Linken zu sagen: Genug gespielt! Was ihr da tut, das wird allmählich gefährlich – für alle.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.