ARD und ZDF lassen es zum Jahreswechsel richtig krachen. Wenn die Rundfunkgebühren nicht steigen, werde das Qualitätsniveau sinken, droht ZDF-Chef Bellut, und ARD-Chef Ulrich Wilhelm winkt gar mit einer Verfassungsklage: Das ist keine schlechte Bank, denn in der Vergangenheit war das Bundesverfassungsgericht immer bereit, den Anstalten Aufgaben und Gelder zuzuweisen.
Mit den Zahlen allerdings ist das so eine Sache bei den Sendern: Sie reden gerne von 17.50 € Monatsgebühr, die auf 18,35 steigen soll, wenn es nach den Intendanten geht. Für Intendanten keine große Sache, auch wenn sie von jedem erhoben werden, mit Ausnahme von Blinden und gleichzeitig Tauben – auch wer nicht schaut, zahlt ohne Ausnahme. „Pay per View“ ist eine Fremdwort, not invented here. Tatsächlich geht es aber nicht um eine Erhöhung von monatlich 85 Cent sondern um Summen, die jede Vorstellung übersteigen: Die Anstalten wollen für die Jahre 2017 bis 2020 insgesamt die ungeheuerliche Summe von 38 Milliarden Euro kassieren.
Das ist der Betrag für den Berechnungszeitraum, die dem Bericht der Kommission für die Ermittlung ihres Finanzbedarfs zu Grunde liegt und um den derzeit gestritten wird. Es sind mehr als 8 Milliarden im Jahr, oder mal andersherum: Diese Summe entspricht dem gesamten Bruttosozialprodukt eines kleineren Mitgliedslands der EU. Lettland hat eine gesamte Wirtschaftsleistung von 30 Milliarden jährlich; Estland von 25 Mrd. Was ARD und ZDF so versenden, reicht also für kleine Volkswirtschaften.
Der Staat im Staat
Der Vergleich ist aber auch deshalb berechtigt, weil sich die Anstalten zu einem Staat im Staat entwickelt haben, der nicht mehr kontrolliert werden kann: Die Rundfunkräte werden direkt von Politikern besetzt oder, seit das nicht mehr so hundertprozentig möglich ist, mit parteinahen Verbandsvertretern. Allen fehlt der Wille und die fachliche Kompetenz, das Gewirr aus öffentlich-rechtlichen und privat verflochtenen Strukturen zu durchschauen. Die deutschen Sender und die Produktionsfirmen seien „auf geradezu irrsinnige Weise miteinander verwoben“, kritisiert etwa der Medienökonom Harald Rau: „Wo wir hingeschaut haben, förderten wir sehr intransparente, auch durchaus problematische Verflechtungsstrukturen zutage: … Das ZDF, „dealt“ mit Unternehmen, die über den privatwirtschaftlich operierenden Teil des ZDF wieder rückverbunden sind. Das sollte in einem öffentlich-rechtlichen System nicht der Fall sein.“ Rund um die Sender hat sich so eine Korona von Produktionsfirmen gebildet, die die eigentlichen Finanzströme intransparent machen, Leistungen verschleiern und Extra-Gewinne ermöglichen. So werden Moderatoren durchaus übersichtlich honoriert – der Gewinn fällt dadurch an, dass sie ihre Sendungen mit eigenen Firmen produzieren, deren Zahlen und Gewinne nicht mehr veröffentlicht oder kontrolliert werden können. Riesige Tochterfirmen agieren privatwirtschaftlich, aber verkaufen ausschließlich Leistungen an die Muttergesellschaft. Gelegentlich fällt dann auf, dass Ehefrauen von Redakteuren die Sendungen des Angetrauten beliefern oder korrupte Machenschaften Millionen verschlingen. Es sind Einzelfälle eines Systems, das sich jeder modernen Form von Transparenz und Corporate Governance längt entzogen hat.
Geld für Qualität?
Die Anstalten brauchen also noch mehr – wegen der Qualität? Nun ist das mit der Qualität so eine Sache. Ein Blick ins Fernsehprogramm jedenfalls zeigt: Uralt-Schinken und Wiederholungen reihen sich aneinander, dazwischen irgendeine Billigserie oder aus Hollywood abgelegter Schrott. Die Kraft für wirklich spektakuläre Programme fehlt. Nein, es ist nicht alles Trash, aber zu viel davon. Innovationen oder Formate, die zum Gesprächsstoff werden, die Menschen bewegen: Weitgehend Fehlanzeige, allenfalls „Babylon Berlin“ erreicht noch Rekordzahlen von 5 Millionen Zuschauern – echte Innovationen sind längst zu Netflix abgewandert. Dort zahlt für Serien allerdings nur, wem´s gefällt. Die Zeit, in der die öffentlich-rechtlichen wegen der knappen Frequenzen erfunden wurden, sie sind vorbei.
Und zu Weihnachten drei Stunden Helene Fischer, gegen die außer persönlichen Geschmacksvorlieben nichts einzuwenden ist. Sie gehört derzeit zu den am bestverdienenden Musikerinnen der Welt. Das zumindest ergab die aktuelle Schätzung des US-Wirtschaftsmagazins „Forbes“.
Demnach verdiente die Schlagersängerin zwischen Juni 2017 und Juni 2018 rund 32 Millionen Dollar (28 Millionen Euro) – in der weltweiten Rangliste schaffte sie es damit auf den achten Platz, knapp vor Celine Dion und Britney Spears. Ist die Gebührenerhöhung also dazu da, eine der höchstbezahlten Musikerinnen zu erfreuen, die dann noch mit Shows und CDs ein zweites und drittes Mal von der so geschaffenen Popularität verdient? Nun wäre es verkehrt, diese Sender zu reinen Sparprogrammen zu reduzieren.
Mitspielen bei den ganz Großen
Längst ist der Verdacht gut begründet, dass ARD und ZDF durch ihre Einkaufspolitk die Preise erst in die Höhe treiben, um dann Gebührenerhöhungen einfordern. Die derzeitige Finanzierung ist eine Art Zwangsinflationsmaschine. Erst treibt man die Preise und Ausgaben in die Höhe, dann jammert man über zu wenig Mittel, wie beispielsweise ARD-Chef Ulrich Wilhelm: „Die rundfunkspezifische Teuerung, die beispielsweise die Entwicklung der Kosten für Musik-, Film- oder Sportrechte berücksichtigt, lag zwischen 2009 und 2017 bei rund 17 Prozent, während die Verbraucherpreise in diesem Zeitraum um 10,6 Prozent gestiegen sind.“
Das dumme ist nur: Die rundfunkspezifische Teuerung ist selbstgemacht. Genau hier liegt der Fehler von ARD und ZDF: Sie spielen mit den Milliarden der Gebührenzahler in den oligopolistischen Hinterzimmern der großen Anbieter mit; sie zocken mit der korrupten Fifa und der fragwürdigen Formel 1. „Der Wettbewerb hinsichtlich des Vertriebs und des Erwerbs von Sportrechten zeichnet sich durch einige wenige mächtige Teilnehmer auf allen Ebenen der Angebotskette aus: An der Spitze der Wertschöpfungskette stehen die anfänglichen Inhaber von Zugangsrechten zu Sportveranstaltungen …“, schreibt etwas die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK).
Nach ihrer Auswertung waren 7 der 10 meistgesehenen Sendungen Spitzenfußball und olympische Spiele. Das mag manchen interessieren, aber ist keine besondere journalistische Leistung, keine Mitwirkung an freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung und keine Erfüllung der demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft. Hier geht es nur darum, weiterhin in der 1. Reihe der globalen Mega-Events mitzuspielen. Und mit diesem Auge schaut man nicht auf die Millionen im Hunderter-Pack, die das Gebührenzahlerpack zur Verfügung stellen muss.
Ist es wirklich eine Aufgabe öffentlich-rechtlicher Anstalten, den gierigen Anbietern von Mega-Events das Geld in den Rachen zu schieben? So wird ein maßgeblicher Teil der Formel 1, der Champions League oder der überdrehten olympischen Großveranstaltungen über „Gebühren“ finanziert – dabei ist schon „Gebühr“ eine Beschönigung. Faktisch handelt es sich um Zwangsabgaben ohne Gegenleistung – der Begriff der Steuer wäre besser angebracht, auch wenn er nicht in die New-Speak der mächtigen Sender paßt. Noch mal: Steuern für Formel 1, oder überteuerte Championsleague und Helene Fischer? In den Anstalten fehlt das Gefühl dafür, dass öffentliche Mittel eingesetzt werden, die einer strikteren Kontrolle unterstehen als private Sender.
Vor allem: ist das die „Qualität“, die Thomas Bellut als Grund für die Erhöhung anspricht? Diese Diskussion gibt es schon länger. ARD/ZDF haben sie immer für sich entschieden, als ob diese Subventionierung von internationalen Show-Events zu ihren Kernaufgaben gehören würde. Genau das ist nicht der Fall. Es geht nicht darum, ARD/ZDF nur in eine Randlage zu drängen: „Neben den stets populären Sportereignissen, wie Spitzenfußball und Olympische Spiele, können sich auch Randsportarten zu Magneten für das Fernsehpublikum entwickeln“, beschreibt die KEK die Leistung von RTL, die Skispringen und Boxen attraktiv gemacht haben. Aber dazu gehört Einfallsreichtum – während ARD/ZDF sich auf ihre mit Gebühren aufgeblähten Portemonnaies verlassen, um weiter mit den Großen der Branche mitspielen zu können. So wie damals, als es noch keine private Konkurrenz gab und die Intendanten gern gesehene Einkäufer auf den roten Teppichen Hollywoods waren.
Wieviel Sender braucht ein Land?
Erst seit den späten 90ern bedroht Privatfernehen das bequeme staatliche Monopol von ARD/ZDF. Damals waren Frequenzen zwar nicht mehr so knapp wie bei Gründung von ARD und ZDF – aber TV kam immer noch von den Fernsehtürmen mit begrenzter Vielfalt. ARD/ZDF reagierten auf die neue Konkurrenz mit „Frequenzbesetzung“, wie man es nannte. Neben der dem ZDF und dem 1. Programm wurden immer neue Sender erfunden – nicht um Zuschauer zu gewinnen, sondern um den Privaten den Weg zu verlegen. So entstanden KiKa, Phoenix, ARD-Alpha, aber auch Sender wie arte, eine deutsch-französische Koproduktion, die sich Helmut Kohl mit Francoise Mitterand zur Festung der deutsch-französischen Freundschaft ausdachte. Dazu natürlich noch 10 Regional-Programme der Landesrundfunkanstalten sowie neuerdings ein wirres Durcheinander von Internetsendern. Dabei sein ist alles, gerechnet wird nicht. Mittlerweile allerdings fehlen die Mittel für die Bespielung der vielen Frequenzen, weil sich hinter jeder besetzten Frequenz neue Bürokratien aufbauten. Im Hörfunk wiederholt sich das Ganze mit einer Vielzahl von regionalen, zwei bundesweiten (Deutschlandradio) und vielen Spartenkanälen; teilweise lokal begrenzt, teilweise mit extrem weiter Ausdehnung. Aber was einmal ist, das bleibt: So wanderte der einstige „Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS)“, der die Frontstadt Berlin verteidigte, in das neugegründete „Deutschlandradio“, wo es auf den „Deutschlandfunk“ traf, der einst die Zone bestrahlen sollte. Aber wieviele solcher Sender braucht das Land wirklich?
Diese Frage wird nicht mehr gestellt. Zu groß ist längst die Macht der großen Apparate, als dass die Politik sich noch daran wagen würde.
Obwohl es wohl vermutlich auch an den Themen liegt, wie dieses aktuelle Beispiel von Renate Künast zeigt:
Reformideen liegen auf dem Tisch
Es ist ein teures Durcheinander, mit aufgeblähter Verwaltung und undurchschaubarer Quersubvention. Durchschlagenden Erfolg hat kaum ein Angebot. Wenn Mittel knapp werden, lautet die Antwort in Unternehmen regelmäßig: Konsolidierung, Konzentration auf das Wesentliche.
Die Formel ist vergleichsweise einfach: Das ZDF könnte die bundesweite Information übernehmen; zusammen mit dem Nachrichtensender Phoenix. So entstünde ein deutlich informationshaltigeres Programm mit trotzdem breitem Unterhaltungsangebot. Die bisherigen Auslandsstudios der Sender, die oft wortgleich aus Moskau und Washington berichten, könnten zusammengelegt werden und dafür neue Orte mit Studios das globale Nachrichtennetz komplettieren. Beides würde dann der notwendigen „Grundversorgung“ dienen. Bleiben könnten noch die regionalen Ursprungssender, die sich 1950 nur widerborstig zur „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)“ zusammengefunden haben: Heute werden die regionalen Programme wie die des Bayerischen, Westdeutschen, Hessischen, Mitteldeutschen Rundfunks usw. ständig ausgedünnt – das Land leidet, die Mittel fließen in das gemeinsame Programm. Und in die Pensionen.
Pensionskassen mit Rundfunk
Denn längst sind die Sender Pensionskassen für altgediente Festangestellte geworden, während das aktuelle Programm zu häufig von schlecht bezahlten und prekär Beschäftigten erstellt wird. Maximal 90 Tage im Jahr dürfen die aktiven Freien Mitarbeiter noch bei einem Sender arbeiten, danach rotiert der Wanderzirkus der Job-Suchenden von Sender zu Sender. Der frühere Glanz der Sender manifestiert sich nur noch in über 8 Milliarden an Pensionsrücklagen, die wegen der Niedrigzinsen immer noch nicht reichen. Der Hessische Rundfunk etwa gibt jetzt schon mehr als halb so viel für die Altersversorgung seiner Mitarbeiter aus wie für Löhne und Gehälter. Niedrig-Zinsen und Belastung durch Pensionszusagen, verschärft durch Niedrigzinsen sind auch ein Thema großer Konzerne und Unternehmen – doch in weit geringerem Umfang und früher adressiert. ARD und ZDF sind längst durch die Lasten der Vergangenheit blockiert, auch wenn sie vorsichtig Gewerkschaftlern und Pensionären Zusagen abringen und, wie praktisch, aus der Rundfunkgebühr nicht mehr Programm, sondern Alterslasten finanziert werden.
Aber – was soll’s: Die nächste Gebührenerhöhung kommt bestimmt. Allerdings für die Aufrechterhaltung des Status Quo – nicht für Qualität.