Zentrale Begriffe einer jeden Debatte um Zusammenleben, Gesellschaft und Staat sind die Begriffe Glück, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Sie fehlen in keiner Talkshow, keiner Regierungserklärung, keinem Feuilleton, keiner hypermoralisierenden Weihnachtsansprache – und -predigt. Zugekleistert wird all dies obendrein mit der impertinenten Forderung nach Hypertoleranz auch gegenüber noch so intoleranten Glücksverheißungen – etwa der Verheißung von 72 „großäugigen Huris“ (Jungfrauen) für „Märtyrer“ im Jenseits usw. Dabei hätten wir doch allen Grund innezuhalten, wenn uns Glückvorstellungen vorgesetzt werden. Vor allem, wenn ganz offenbar Gleichheit politisch und medial mehr Sympathien genießt als Freiheit. Zum Jahreswechsel 2018/2019 also ein paar Gedanken dazu. Grundsätzlicher Art und – wie es amtsdeutsch hieße – „aus gegebenem Anlass“.
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Zwischen Glück, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit besteht ein spannungsreiches Verhältnis, weil nicht alle vier zugleich zu haben sind. Die Menschen müssen sich also entscheiden, welches der vier Prinzipien Vorrang haben soll bzw. in welcher Paarverbindung etwa Glück zu haben ist. Zum Beispiel ist zu klären, ob Glück eher durch Freiheit oder eher durch Gleichheit zu haben ist.
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Nehmen wir uns zunächst das Glück vor! Nichts leichter als das, möchte man meinen, gibt es doch nur ein paar Milliarden Varianten von Glück. Für den einen ist Glück das Zufallsglück des Lottotreffers; er bildet sich ein, irgendwann die Sechs mit Zusatzzahl angekreuzt zu haben, wiewohl es dafür 140 Millionen Kombinationen gibt. Für den zweiten ist Glück, wenn ihm einer der 15.000 Kaminkehrer über den Weg läuft, die es in Deutschland gibt. Für einen dritten ist Glück das sogenannte flow-Erlebnis beim Bungjee-Springen. Für einen vierten ist es ein Glückserlebnis, am Morgen eine Amsel singen zu hören oder ein Gänseblümchen auf dem Weg zu finden. Für einen fünften ist Glück ein generalisiertes, vages Gefühl der Seligkeit. Für einen sechsten ist es Glück, beim Schwindeln nicht erwischt zu werden. Für einen siebten ist Glück der euphorisierte Zustand nach einem gelungenen Streich, den man anderen gespielt hat. Millionen, ja Milliarden individuelle Varianten! Hier bewahrheitet sich tagtäglich ein Spruch, den Friedrich der Große, der „Alte Fritz“, 1740 getan hat: „Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden.“
Heute meint der Mensch in seinem ihm eigenen Größen- und Machbarkeitswahn sogar, Glück managen, planen, ja gar messen zu können: Schokolade soll man essen, das treibe die Produktion der körpereigenen Opiate namens Endorphine an und stabilisiere den Serotonin-/Dopamin-Haushalt im Gehirn. (Nur am Rande: Man müsste dafür täglich rund 10 Kilo verspeisen. Über den damit erreichten BMI dürfte man dann allerdings weniger glücklich sein.) Ein eigenes Schulfach „Glück“ wird von pädagogischen Oberschlaumeiern gefordert. Und damit das Ganze nicht zu simpel klingt, nennen es leibhaftige Professoren „Lebenskompetenzunterricht“.
Dahinter verstecken sich im Grund – wenn auch hier noch relativ harmlose – Glücksversprechungen. Weniger harmlos ist es, wenn die Politik, wenn Staatslenker Glück versprechen. Denn noch jedes politische System, das den Himmel auf Erden versprach, hatte eine Hölle geschaffen. Schließlich hat jede Glücksutopie einen totalitären Kern.
Am Ende wird Glück dann auch noch gemessen. Das ist typisch für eine Zeit, in der sich alles in irgendwelchen Quoten ausdrücken lassen soll. Die UNO legt ständig ihren „World Happiness Report“ vor. Nicht ganz untypisch: Deutschland liegt hier auf mittleren Rängen – zum Beispiel hinter Mexiko. Regelmäßig auch gibt es den innerdeutschen „Glücks-Atlas“ von Forsa. Ein interessantes deutsches Phänomen kommt hier zum Vorschein: Kollektiv fühlen wir Deutsche uns unglücklich, wiewohl es uns besser geht als den Menschen der meisten Länder der Welt. In der Soziologie nennt man dies ein „Wohlstandsparadox“: Je mehr Wohlstand, desto unglücklicher.
Dieses Paradox wird noch umso erstaunlicher, wenn man sich anschaut, welch unterschiedliche Ergebnisse herauskommen, wenn man ein und denselben Leuten folgende zwei Fragen stellt: Geht es Ihnen gut? Geht es den Deutschen gut? Nun könnte man meinen, die Antworten auf diese beiden Fragen müssten ziemlich identisch ausfallen. Tun sie aber nicht: Auf die Frage „Geht es Ihnen gut?“ antworten rund 80 Prozent mit Ja. Auf die Frage „Geht es den Deutschen gut?“ antworten die gleichen Leute zu rund 80 Prozent mit Nein. Die Deutschen also als griesgrämiges, hypochondrisches Volk in Moll? „German Angst“ ist angesagt. Zumindest medial! Denn: Deutsche Medien produzieren weit mehr Angst- und Panikmeldungen als ihre Konkurrenten in Italien, Frankreich, Spanien, England und den USA.
So war in den vergangenen rund zwei Jahrzehnten in unseren Medien rund viermal so oft von Asbestbelastung, Schweine- oder Vogelgrippe und dergleichen zu lesen wie im spanischen EI Pais, im französischen Figaro oder in der italienischen la Repubblica. Das lässt sich durch eine Auswertung von Datenbanken beweisen. Von der Klimakatastrophe ganz zu schweigen.
Diese ausgeprägte Tendenz der deutschen Medien, Risiken und Gefahren herauszustellen, spiegelt sich in einer überproportionalen Bereitschaft des Publikums, dann auch tatsächlich Angst zu haben. BSE war so ein Beispiel. Gleichwohl ist daran in Deutschland kein einziger Mensch gestorben. Am „Atom“ in Fukushima übrigens auch nicht, sondern nur am Tsunami! Trotzdem war Panik angesagt. „Stimmt es,“ schrieb ein Bürger an Zeitungen und Ämter, „dass ich mich mit BSE anstecken kann, wenn ich auf meinem Rindsledersofa sitze?“
Was ist los mit diesem Land? Gut sieben Jahrzehnte nach dem 2. Weltkrieg geht es den Menschen in Deutschland so gut wie nie zuvor. Bei vielen Menschen kommt das jedoch nicht an. Wahrscheinlich deshalb, weil viele Medien die Sensation des Negativen, nicht aber die Sensation des Positiven oder zumindest des Normalen schätzen. Dabei zeigen alle seriösen Untersuchungen und Statistiken: Die deutschen Flüsse werden seit Jahrzehnten sauberer, die Felder und Wälder grüner, die Senioren gesünder, die Schadstoffe werden weniger. Die Lebenserwartung steigt unvermindert an: Die Hälfte der heute Geborenen wird wohl 100 Jahre alt werden.
Rundum-Wohlfühl-Gefühle möchte man haben. Zur Wohlfühldiktatur droht alles zu entarten. Gepaart mit Dauerpsychologisierung. Dabei haben Untersuchungen gezeigt, dass die Angehörigen der Opfer von 9/11 nach einem Jahr am besten mit dem Verlust umgehen konnten, die KEINE Therapie in Anspruch nahmen, und dass diejenigen Partnerschaften/Ehen am schlechtesten funktionieren, in denen am meisten psychologisiert und reflektiert wird. Vielleicht haben die Leute einfach zu viel Zeit zum Psychologisieren, Pulsfühlen und Reflektieren!
Vielleicht ist es auch so, wie Aldous Huxley einmal sagte: Medizin und Psychotherapie haben so enorme Fortschritte gemacht, dass es überhaupt keine Gesunden mehr gibt. Nur am Rande: Aldous Huxley war es auch, der mit seiner düsteren Dystopie „Brave New World“ (Schöne neue Welt) im Jahr 1932 die finstere Vision aufbrachte, totalitäre Herrscher könnten das Volk mit einer Glücksdroge namens „Soma“ ruhigstellen. „Soma“ ist dort eine zwangsweise verordnete Droge, die stimmungsaufhellend und als Aphrodisiakum wirken soll.
Tatsächlich suchen viele Leute das Glück mittels Chemie: Der Name Ecstasy dürfte allgemein bekannt sein. Vielleicht weniger bekannt dürfte sein, dass immer mehr, wiewohl sie es gar nicht bräuchten, Antidepressiva „einschmeißen“, um gut „drauf“ zu sein. Chemische Versklavung! Mit freiem Glück hat das nichts zu tun.
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„Zum Glück brauchst du Freiheit!“ Reden wir zweitens über Freiheit bzw. Freiheit versus Gleichheit bzw. versus Gerechtigkeit. Die obersten Revolutionäre der Französischen Revolution, die Jakobiner, wollten eine „heilige“ Gleichheit errichten. Und sie verkauften sie als „gerecht“. Sie wollten in ihrem Gleichheitseifer gar Kirchtürme schleifen, weil diese ungleich seien, und meinten, das trage zum Glück der Leute bei. Ihren Niederschlag findet dieser Gleichheitswahn nach wie vor in der Sozial- und vor allem in der Bildungspolitik. „Abitur für alle“ – das soll gerecht sein. Dabei ist nichts so ungerecht wie die gleiche Behandlung Ungleicher.
Völlig daneben! Wir wissen es seit 1835 von einem Franzosen namens Alexis de Tocqueville (so eines seiner Buchkapitel), „weshalb die demokratischen Völker die Gleichheit leidenschaftlicher lieben als die Freiheit“. Dort stellt er fest: Freiheit erliege stets der Gleichheit, weil Freiheit mit Opfern erkauft werden müsse, zum Beispiel durch Anstrengung und Verzicht; weil Gleichheit ihre Genüsse aber von selbst darbiete. Man könnte auch sagen: Der Preis der Freiheit ist sofort spürbar; der Preis der Gleichheit macht sich erst allmählich bemerkbar. Und umgekehrt: Die Wohltaten der Freiheit zeigen sich erst allmählich, aber die Wohltaten der Gleichheit spürt man sofort. In der Wirklichkeit stellt sich solche Phantasterei so dar, wie es Winston
Churchill beschrieb: „Das Problem des Kapitalismus ist, dass er das Glück ungleich verteilt, das Problem des Sozialismus ist, dass er das Unglück gleich verteilt.“
Freiheit oder Gleichheit? Wenn es nach der Meinungsforschung geht, dann entscheiden sich die Menschen heute für die moralisch – vermeintlich – höherrangige Kombination: Glück durch Gleichheit. Wahrscheinlich weil dadurch Neidgefühle befriedigt werden. Das war auch schon mal anders. Binnen zwanzig Jahren hatten wir hier eine gewaltige Verschiebung. Im Jahre 1990 hatte das Institut Allensbach herausgefunden, dass die überwältigende Mehrheit der Deutschen die Freiheit höher einschätzt als die Gleichheit. 1990 konnte man sagen: Die Freiheit wird am meisten geschätzt, solange sie einem versagt war. In den Jahren nach 2000 wurde die Studie ständig wiederholt. Das Ergebnis war erstaunlich: Die Mehrheit der Deutschen – vor allem in den neuen Ländern – findet 20 Jahre nach der Wiedervereinigung Gleichheit wichtiger als Freiheit. Man könnte fast sagen: Wer die Freiheit eine Zeitlang ausleben durfte, weiß sie nicht mehr zu schätzen.
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Reden wir drittens über M u t . Hierzu ein paar Appelle! Appell 1: Sapere aude, incipe! Diese Aufforderung wird Immanuel Kant und dem Jahr 1784 zugeschrieben. Tatsächlich stammt sie von Horaz aus dem Jahr 20 vor Christus. Sapere aude, incipe! Auf Deutsch: Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, fang endlich damit an! Man kann es nicht oft genug sagen in Zeiten, in denen Denkverbote und Gesinnungsgebote einer „politischen Korrektheit“ wie Blei über diesem Land liegen. Selbst denken ist angesagt, und nicht in den Partei- und gewissen Medienzentralen denken lassen!
Appell 2: Staat und Gesellschaft sind nicht zuständig für das Schaffen von Glück, sondern allenfalls für das Schaffen von Rahmenbedingungen, damit jeder seines Glückes Schmied sein kann. Gottlob sind auch die Zeiten vorbei, in denen man sein Leben riskierte und seine Familie gefährdete, wenn man für äußere Freiheit eintrat. Keiner muss in diesem unserem Land einen Stauffenberg, einen Bonhoeffer, eine Sophie Scholl geben.
Aber es sind neue Grenzen der Freiheit aufgekommen – vor allem der bequem empfundene, omnipotente, Glück verheißende Sozial-Staat. Ein solcher Nanny-Staat hinterlässt jedoch außer gigantischen Schuldenbergen gravierende mentale Folgen: eine fürsorgliche Entmündigung und eine erlernte Hilflosigkeit. Einer der Ideengeber der Sozialen Marktwirtschaft, Wilhelm Röpke (1899 – 1966), würde hier von einer „komfortablen Stallfütterung“ durch den Staat sprechen. Diese „komfortable Stallfütterung“ ist es, die viele Bürger Freiheit unbewusst als Last erleben lässt. Sicherheit scheinen sie zu wollen, ihr tägliches Brot und ansonsten ihre Ruhe. Und einer der klügsten psychologischen Köpfe der Geistesgeschichte, Fjodor M. Dostojewskij, hat darauf im Kapitel „Der Großinquisitor“ seines Romans „Die Brüder Karamasow“ aufmerksam gemacht. Dort sagt der Großinquisitor zu dem von ihm gefangengenommenen Jesus: „Nichts ist jemals dem Menschen unerträglicher gewesen als die Freiheit.“ Nach Auffassung des Großinquisitors lautet die Erwartung der Menschen gegenüber den Regierenden: „Knechtet uns lieber, aber macht uns satt!“ Dazu passt ein Aphorismus von Marie von Ebner-Eschenbach: „Glückliche Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit.“
Appell 3: Stolz auf sich selbst und Glück haben viel miteinander zu tun. Denn: Die intensivsten Glücksgefühle hat man, wenn man lange auf eine Sache hingearbeitet, wenn man den „inneren Schweinehund“ überwunden hat, wenn man danach durchaus erschöpft ist, wenn man Bedürfnis- und Triebaufschub praktiziert hat …… Dann stellen sich Stolz auf das eigene Tun und Glücksgefühle ein. Solches Glück gibt es nicht ohne Anstrengung, nicht ohne Sitzfleisch und ohne eine Portion Dickschädeligkeit.
Appell 4: Jeder etymologisch Kundige weiß, dass das Wort Glück mit „Gelingen“ zu tun hat, und dass sprachgeschichtlich in „Gelingen“ das Adjektiv „leicht“ steckt. Ja, Glück hat tatsächlich mit Leichtigkeit zu tun – als Gegenstück zu Schwere, gar zu Depression. Glück hat mit Humor zu tun, weil Humor ein hervorragendes Mittel der Kontingenzbewältigung ist – des Umgangs mit Unzulänglichkeiten des Lebens.
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Conclusion: Es geht um Mut, um Mut zu Freiheit und Mut zu innerer Unabhängigkeit. Gerade auch in einer postheroischen Gesellschaft. Dazu noch mal der große griechische Staatsmann Perikles: „Zum Glück brauchst du Freiheit, zur Freiheit brauchst du Mut.“ Es müsste eigentlich in diesem unserem Lande an jedem einzelnen liegen, welche Freiheitsgrade, welches Glück man persönlich genießen kann.
Vor allem geht es um Mut zur Wahrheit. Viele, viele Menschen haben diesen Mut in der Geschichte der Menschheit mit dem Leben oder mit Ächtung bezahlt. Aber in einem – noch (?) – freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat sollte dieser Mut eine Selbstverständlichkeit sein. Zumal für die Allmächtigen in der Presse, aber die gibt sich zu erheblichen Teilen gerne wohlfeil gleichgeschaltet und staatstragend. Für den Bürger Normalo wird daraus mit psychotoxischer Wirkung eine komfortable moralische Stallfütterung qua „political correctness“. 08/15 Toleranzcourage von der Stange und Mainstream-Gesinnungscourage haben wir aber schon genug. Heroisch sind solche Künder von Moral und Korrektheit nicht. Dagegen gilt es 2019, dem 70. Geburtsjahr des Grundgesetzes anzugehen. Mit Mut! TE steht dafür!