Claas Relotius war fest angestellter Redakteur beim Spiegel. Mehrfach wurde er schon ausgezeichnet. Er bekam unter anderem den Peter-Scholl-Latour-Preis, mehrfach den Reporterpreis, den Katholischen Medienpreises und den Konrad-Duden-Journalistenpreis. Er schrieb freiberuflich unter anderem für den Cicero, die NZZ am Sonntag, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, die Financial Times Deutschland, die taz, die Welt, das SZ-Magazin und die Weltwoche.
Am 19. Dezember 2018 gab der Spiegel bekannt, dass Claas Relotius „in großem Umfang eigene Geschichten manipuliert“ habe. Der Peter-Scholl-Latour-Preis wurde ihm im Zuge des Skandals aberkannt. Die anderen Preise hat er zurückgegeben.
Mit ein wenig Glück wird der Name Claas Relotius bald in einem Atemzug mit Karl May genannt. Die Titel „Löwenjungen“, „In einer kleinen Stadt“ und „Die letzte Zeugin“ klingen jedenfalls schon so wie grandiose Romantitel.
Wir könnten bei all den Geschichten nun von Lügen sprechen, aber Georg Restle hat mir gezeigt, dass man es auch besser formulieren kann. Ich schlage daher folgende Sprachregelung vor:
„Claas Relotius hat sich dem Neutralitätswahn im Journalismus verweigert. Er hat mutig aufgehört, nur abzubilden, was ist. Er hat stattdessen einen werteorientierten Journalismus gepflegt.“
Das ist eine Formulierung der Causa Relotius, mit der ich bei den öffentlich-rechtlichen Wertepflegern bestimmt sehr weit kommen würde. Diese Worte sind nämlich nur eine geringfügige Änderung einer Aussage, die Georg Restle so tatsächlich lange vor dem Bekanntwerden der Erfindungen durch Claas Relotius auf Twitter geschrieben hat.
Ist es verwunderlich, dass Claas Relotius gehandelt hat, wie er gehandelt hat?
In einer Gesellschaft, in der „werteorientierter Journalismus“ von öffentlich-rechtlicher Hand gefördert und gefordert wird, wo sogar Berichte über Judenhass verheimlicht und durch Mitarbeiter des WDR öffentlich diffamiert werden, wenn sie den eigenen Werten nicht entsprechen, (siehe: „Ein beispielloser Skandal“), können uns solche Phänomene wie Claas Relotius nicht verwundern. Er hat lediglich eine Nachfrage bedient.
Viele Journalistinnen und Journalisten stehen unter einem immensen Druck, korrekt orientierten Wertejournalismus zu produzieren, wenn sie im Haifischbecken jenseits der Neutralität überleben wollen. Dieser Druck hat seinen Preis und die Wahrheit stirbt bekanntlich zuerst.
In der Laudatio von Patricia Riekel, ehemalige Chefredakteurin der Bunte, für Claas Relotius anlässlich der Verleihung des Katholischen Medienpreises 2017 durch die Deutsche Bischofskonferenz am 16. Oktober 2017 in Bonn heißt es:
„Manchmal wird man ja gefragt, was man als Erstes tun würde, wenn man Deutschland für einen Tag regieren würde. Ich würde ein Gesetz erlassen, dass die Reportage „Königskinder“ zur Pflichtlektüre für alle Politiker wird. Vielleicht hat sich dann das in meinen Augen beschämende Gerangel um die Obergrenze erledigt.“
Darum geht es. Der Journalismus von heute soll Debatten erledigen, nicht fördern.
Claas Relotius wilderte in diesem Umfeld und er ist gewiss nicht der einzige Jäger mit wildem Jägerlatein.
Dieser Beitrag ist zuerst bei Tapfer im Nirgendwo erschienen.