Es ist das Lieblingsspiel der deutschen Politik: Umverteilung. Dem einen nehmen, dem anderen geben. Von den Besserverdienern zu den Wenigerverdienern. Von Berufstätigen zu Erwerbslosen, von Berufstätigen zu Rentnern und Pensionären. Dass die jungen starken Schultern mehr tragen müssen als die alten schwachen – einverstanden. Allerdings werden die heutigen Rentenbeitragszahler mehr einzahlen, als sie jemals herausbekommen – den Gestrigen wird gegeben, den Morgigen genommen. Das Geburtsdatum entscheidet über Gewinn oder Verlust im Rentenlotto. Es wird umverteilt von West nach Ost wegen Wiedervereinigung, von Hessen nach Bremen wegen „Länderfinanzausgleich“.
Wenn man bei einer Krankenkasse ist, in der unterdurchschnittlich viele Rheumakranke versichert sind, wird ein Teil der Beiträge verschoben zu Kassen mit überdurchschnittlich vielen Leukämiepatienten. Regionen mit wenig Krankenhausbetten müssen Geld spenden für Städte wie Berlin mit vielen Krankenhausbetten pro Kopf. Wer viel Auto fährt, gilt als Umweltferkel und muss deshalb über die Ökosteuer nicht den Umweltschutz, sondern Rentner finanzieren. Wer arm ist und viel Strom verbraucht, knappst sich Geld ab für die Solarpaneele auf dem Villendach der Wohlhabenden.
Wer Kinder hat, kriegt Kindergeld, aber muss besonders hohe Kindergartengebühren zahlen, wenn er auch schon viel Einkommensteuer zahlt. Kindergarten kostet, Universität ist vielfach gratis. Gerade hat die Koalition die Erhöhung des Kinderfreibetrages beschlossen; das entspricht dem Betrag, den ich wegen der am selben Tag verabschiedeten Erhöhung der Höchstbeitragsgrenzen zur Sozialversicherung mehr bezahlen muss. Vielen Dank auch. Hartz-IV-Empfänger dürfen Abwrackprämien für neue Autos kassieren; da staunt, wer mit der Tram zur Arbeit fahren muss – ohne Sozialticket; wobei im öffentlichen Personennahverkehr Fahrkarten meist verbilligt sind. 500.000 Euro kassiert Philip Morris für deutschen Zucker im Zigarettentabak; der Lufthansa steht Geld zu, wenn deutsches Gemüse an Bord über Amerika verzehrt wird (über Europa gilt das nicht). Wärmedämmung zahlen die Hausbesitzer, weil das Gesetz annimmt, dass Vermieter reich und Mieter arm sind. Ford-Arbeiter zahlen für Opel-Arbeiter.
Wer Treibhausgase beim Auto rauspustet, die aus der Verbrennung von Erdgas stammen, zahlt weniger Steuer als der, dessen CO2 vom Erdöl kommt. Katzenfutter wird mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz belastet, Kinderwindeln mit dem vollen. Für schwule einsame Männer gibt es Hilfsprogramme, hetero Herrenherzen bleiben alleine. So wird verteilt, unterstützt, gegeben und genommen, kreuz und quer – wer gewinnt, ist so gewiss wie beim Hütchenspiel: Es geht alles ganz schnell, mal ist das Geld hier, dann da, danach ist es weg, dazwischen wird es mehr und am Ende ist es verloren. Nur einer gewinnt immer: der Meister des Hütchenspiels.
Die Schere öffnet sich
Wir verteilen so viel um wie nie zuvor. Über ein Drittel des Bundeshaushalts fließt in die sozialpolitische Umverteilung: Von jedem Euro, der erarbeitet wird, gehen mehr als 50 Cent an die Hütchenspieler des Staates. Trotzdem öffnet sich die Schere zwischen Reich und Arm, bleibt für wirklich Bedürftige zu wenig.
Deshalb meine Bitte an die Teilnehmer der Koalitionsverhandlung: Streicht, streicht, streicht und kappt, so viel ihr euch traut. Zu viel wird es niemals sein. Wir verteilen viel zu viel um, nicht zu wenig. Habt den Mut, der Lobby der Bauern, Beamten, Branchen, Unternehmern, Gewerkschaften, Freiberuflern und Sozialverbänden entgegenzutreten, glaubt nicht dem Gewäsch von angeblicher sozialer Kälte! Danach werden wir alle ein wenig wohlhabender, motivierter und fähig sein, Bedürftige zu unterstützen über jedes Maß hinaus.
(Erschienen am 10.10.2009 auf Wiwo.de)