Frank Underwood ist tot. Die Königsfigur weg. Das Matriarchat übernimmt. Claire Underwood, die neue feministische Ikone des modernen Amerikas, thront über allem. Kein Frank, dafür mehr Claire, weniger Patriarchat aber mehr Frauenpower. Funktioniert das? Sagen wir es so: Bei acht Folgen ohne Serien-Ankermann Spacey bedarf es einer gewissen Magie, um das Publikum wach zu halten.
Rekapitulation: Was geschah in Washington am Ende von Staffel 5? Da gab es den Ehekrach bei den Underwoods. Dann Claires Affäre, sie wollte ihren Francis verlassen und die Scheidung, entschied sich dann aber anders. Warum genau? Vergessen. In Erinnerung blieb, dass sie eigene Ambitionen aufs höchste Amt hatte und ausserdem Journalisten kurz davorstanden, die düsteren Angelegenheiten von Präsident Underwood an die Öffentlichkeit zu befördern. Frank war also angezählt. Aber dann wurde er zu Staub – und mit ihm Kevin Spacey, zumindest in Hollywood. Spacey wurde nach Anschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs aus der Show geschmissen. Möglicherweise war Frank Underwood seine letzte bedeutende Rolle. Die Drehbuchautoren waren gezwungen, Staffel 6 überstürzt umzuschreiben, und rückten Claire Underwood in den Mittelpunkt.
Achtung, Spoiler. Claire ist nun also Präsidentin. Wie ihr verstorbener Gatte ist sie skrupellos, versprüht Kälte, ihr ständiger Begleiter ist die wohldosierte Arroganz. Optisch ist sie (wie eh und je) ein Hingucker in ihren wie angegossenen Bleistiftkleidern und den Schuhen, in denen es keine Frau länger als zwei Stunden aushält. Ihr Erscheinungsbild ist das einer Frau, die sechs Mal pro Woche frühmorgens 40 Längen schwimmt und nur Lebensmittel mit ganz vielen Antioxidantien zu sich nimmt. Claire hat immer diesen lässigen Blick, der ihr absolute Kontrolle attestiert. Der einzige Anflug von Imperfektion (und etwas Menschlichkeit) offenbart sich, wenn Madam President barfuss im Seidenpyjama durchs weisse Haus tappt.
Die aufregendsten Begegnungen hat Claire mit ihrer liebsten Intimfeindin aus Jugendjahren Annette Shepherd (gespielt von der wunderbaren Diane Lane aus „Untreu“). Annette entstammt einer superreichen Familie, die offenbar als eine Art geheime dritte Partei fungiert, zu Bruder und Sohn unterhält sie gleichermassen eine schräg-innige Beziehung. Alle drei wollen sie Claire tot haben, weil sie irgendein Abkommen nicht unterschreibt – oder so ähnlich. Persönlich habe ich ab Folge 4 aufgehört, einen Sinn in der Handlung zu suchen. Grundsätzlich arbeiten sämtliche Figuren (auch die guten) auf die Absetzung oder das Ableben der Präsidentin hin – wenn sie zuvor nicht selbst abgemurkst werden. Unter Mord läuft in dieser Staffel nichts, am Ende wird noch der Nuklearkrieg bemüht.
Natürlich ist da immer noch Doug Stamper, der ultratreue Frank-Diener und Experte in Sachen Lügen, Vertuschung und Spionage, aber so gerne man den verschrobenen Typen mag, ohne Frank wirkt die Figur so verloren wie eine einzelne Ente auf dem zugefrorenen Potomac River. Irgendwann ist Claire plötzlich schwanger, wie das zustande kam, wird nicht erklärt, dafür erfahren wir, zu was es sie laut eigener Aussage macht: „Vater, Mutter, Oberhaupt und Freundin“. Sie trägt aber nicht das Kind eben dieser Affäre in sich, sondern Franks. Und weil die Drehbuchautoren wie gesagt von sinnstiftendem Inhalt Abstand genommen haben, spielt es auch keine Rolle, dass in den fünf vorherigen Staffeln immer völlig klar war, dass die beiden nie Kinder wollten. Das Grande Finale hält dann noch die Antwort auf die zu dem Zeitpunkt längst entbehrlich gewordene Frage bereit, wer oder was denn jetzt eigentlich Franks Hinscheiden herbeigeführt habe. Es sei hier nicht verraten, nur so viel: Es gibt Ideen, die man vernünftigerweise nicht in seinen Plot einbaut.
Staffel 6 mobilisiert viel Frauenstoff. Es gibt immer wieder Anspielungen auf Feminismus, Sexismus, männliche Dominanz und Überlegenheit. So verspricht Claire gleich in der ersten Folge, sie werde mehr für Gleichberechtigung tun. Als eine Soldatin sie fragt, ob sie überhaupt einen Plan habe, antwortet die Präsidentin: „Hätten sie mich das auch gefragt, wenn ich ein Mann wäre?“ Sie sagt Sätze wie: „Die Herrschaft des alten weissen Mannes ist vorbei“ – und will an anderer Stelle erneut wissen: „Verurteilt man mich, weil ich eine Frau bin?“ Das feministische Manifest erreicht seinen Höhepunkt, wenn Madam President irgendwann ihr ganzes Kabinett entlässt und es komplett durch Frauen ersetzt.
„House of Cards“ war immer eine wichtige Serie für Netflix. Mit dem Polit-Drama wurde der Streaming-Dienst als Film- und Serien-Produzent erst so richtig wahrgenommen. Netflix gibt keine offiziellen Zahlen zu den Ratings heraus. Gemäss einem Artikel des amerikanischen Businessmagazins „Fast Company“, das sich auf Zahlen der Nielsen Rating-Agentur beruft, brach die Zuschauerzahl bei der letzten Staffel signifikant ein: Während bei der ersten Folge von Staffel 6 durchschnittlich noch 2.9 Millionen US-Zuschauer innerhalb der ersten sieben Tage nach Verfügbarkeit einschalteten, sank die Zahl bei der fünften Folge in der gleichen Zeitspanne auf 1.2 Millionen, das Finale wollten sich noch 901’000 Zuschauer antun, Pardon, ansehen.
Die Interpretation der Zahlen ist nicht sonderlich komplex: Die Leute waren anfangs neugierig und verloren immer mehr das Interesse. Laut dem Nielsen-Report ist das Publikum älter und weiblicher geworden: Bei Staffel 5 machte die Gruppe der 18-34-jährigen 35% der Zuschauer aus, in der letzten Staffel 22%, während die Gruppe der über 65-jährigen sich mit 21% mehr als verdoppelte. Den Frauen hat es offenbar gefallen: 54% der Zuschauer waren weiblich, bei Staffel 5 waren es 44%.
Ein älteres Publikum anzusprechen, ist grundsätzlich etwas Positives, denn gerade diese Gruppe wird bei Film und Fernsehen häufig vernachlässigt – im Plot und auch bei der Besetzung. So ist es auch begrüssenswert, wenn sich Filmemacher darum bemühen, vermehrt Damen im mittleren Alter in ihre Projekte einzubinden, deren Angebote für gute Rollen noch schneller austrocknen als die Haut. Die „House of Cards“-Macher haben mit Robin Wright (52), Diana Lane (53), Patricia Clarkson (58), Sakina Jaffrey (56) und Constance Zimmer (48) gleich mehrere grossartige Schauspielerinnen jenseits der vierzig für tragende Rollen verpflichtet. In einer TV- und Filmlandschaft, wo Profilerinnen aussehen wie Supermodels und 20-jährige Evolutionsbiologinnen mit drei verschiedenen Doktortiteln inklusive Nobelpreis die Welt retten, ist das wohltuend authentisch.
Das Problem bei der letzten Staffel von „House of Cards“ ist nicht der Cast. Auch nicht die Frauen-Lastigkeit – es gibt viele hervorragende Serien mit starken weiblichen Hauptrollen wie „Big Little Lies“ oder „Scandal“. Ausserdem ist es sinnvoll, gesellschaftliche Strömungen wie Feminismus aufzugreifen: Angesichts einer weiblichen Präsidentin bietet sich ein Bekenntnis zu femininer Stärke geradezu an.
Das Problem ist die Umsetzung. Mit plakativen Elementen, Kampfbegriffen wie jenem der alten weissen Männer oder dem naiven Anheuern eines women only-Kabinetts kommt Staffel 6 daher wie eine forcierte Hommage an den Feminismus. Es scheint den Hollywood-Autoren mehr um die moralische Beeinflussung des Publikums zu gehen als um einen raffinierten (und vor allem greifbaren) Plot. Dass die Fortführung ohne Spacey eine Herausforderung sein würde, war klar. Ohne ihn spielen die Figuren wie auf einem Schachbrett, auf dem von Beginn weg der König fehlt. „House of Cards“ ist Kevin Spacey. Die Serie wurde um seine Rolle herum geschrieben. Spaceys Frank war vielschichtig: verroht und diabolisch und charmant und lustvoll und kalt. Man schwankte stets zwischen Abscheu und Sympathie. Wrights Claire ist nur kalt. Und so rollt sie eben mit der Subtilität einer Dampfwalze durch die letzten Folgen. Robin Wright spielt gut, aber man hat das Gefühl, der Plot lässt ihr keinen Raum zur Entfaltung von mehr Charisma und Persönlichkeit. Er macht aus ihr eine eindimensionale Königinwitwe und aus der einst gerissenen Polit-Satire eine plumpe Aneinanderreihung von Mordkomplotten.
Es liegt aber auch an der grossen Schwäche praktisch aller Serien, dass irgendwann der Spannungsbogen überzogen ist. Die Ideen sind aufgebraucht, es gibt keine Überraschungsmomente oder unberechenbaren Wendungen mehr. Aus finanztaktischen Überlegungen hängen die Produzenten dann meistens noch eine Staffel an, und dann noch eine. Aber aufhören, wenn’s am Schönsten ist, wäre hier vermutlich die bessere Hommage gewesen.
Der Beitrag erschien zuerst in der Schweizer Weltwoche.