Tichys Einblick
Heinz-Rudolf und der NSU-Song-Contest

Willkommen liebe Heuchler! Kunze rockt zurück, und ich runzle die Stirn

Heinz-Rudolf Kunze ist die Art Star, die von den Musiklehrern des WDR zwangsverordnet wird. Jetzt kommt er ganz neu - und ist doch bloß alt. Schlimmer: Verspätet.

„Hey Ludger, dein Freund Heinz-Rudolf Kunze hat ’nen bemerkenswerten Song veröffentlicht, schau und hör dir das mal an“ – einer meiner wenigen bis heute in meinem Dunstkreis verbliebenen alten Schulkameraden schrieb mir dies vor Wochen in einer Mail. Bevor ich hier den entsprechenden Kunze-youtube-Link einbette, gestatten Sie mir bitte (bitte, bitte) eine klarstellende persönlich-historische Einordnung der verwendeten Formulierung „dein Freund Heinz-Rudolf Kunze“:

Die Generation Golf wird gekunzt

Ich gehöre zum einst von Florian Illies treffend als „Generation Golf“ bezeichneten Jahrgang der irgendwann Anfang der 70er Geborenen und im darauf folgenden Jahrzehnt Sozialisierten. Für alle Jüngeren: bis zur Uni nix mit wlan, keine Nonstop-Hitmix-Abspielkanäle in Funk und Fernsehen, man war als Schüler froh, wenn im Radio überhaupt mal „flotte Musik“ gespielt wurde. Die Sendung „Schlagerrallye“ auf WDR 2 (später WDR 1) hörten wir Zauberwürfler vom Niederrhein eher notgedrungen regelmäßig, da sonst kaum was Gescheites angeboten wurde. (Dort, wo ich aufwuchs, schaffte es der viel coolere SWR leider sogar bei günstigen Wetterverhältnissen nur selten, das Stereolämpchen am GRUNDIG-Gerät konstant zum Leuchten zu bringen.) Die „Schlagerrallye“ spielte zwar keine Schlager im Ralph-Siegel-Sinne und gab sich stattdessen gern als moderne internationale Hitparade aus, wurde aber als solche von mir und allen in meiner Klasse nicht ernst genommen, da – ohne dass wir das Phänomen seinerzeit schon benennen und entlarven konnten – allzu offenkundig den Redakteuren genehme Klänge der Zuhörerschaft als neuste Hit-Tipps untergejubelt wurden, während man um die wahren Emporkömmlinge jener Ära wie Madonna oder Michael Jackson einen großen Bogen machte. Die kamen schließlich aus dem bösen Amerika, pfui, pfui! Man versuchte der Jugend penetrant Musikanten aufzuzwingen, die „was zu sagen haben“, die „sich engagieren“, doch deren Geseire ging denjenigen von uns (und das waren die meisten), die lieber mit Frankie goes to Hollywood relaxten, einfach nur auf den Sack. Manchmal schämen sich Erwachsene ja für das, was sie als Schüler so gemacht und gedacht haben, doch ich bin heute noch echt stolz auf das Kind in mir, das Anfang der 80er einen Anti-Pershing-Schmachtfetzen wie „Wozu sind Kriege da“ von Udo Lindenberg instinktiv als das empfand, was er war: Ganz große Scheiße!

Paradebeispiel jener unentwegt im Hörfunk angepriesenen Nervtöter ist Heinz-Rudolf Kunze. Immer wieder wurde seitens der Marktschreier im WDR die neuste Kunze-Scheibe (er veröffentlichte gefühlte 100 Mal pro Monat irgendwas) als Must-Have verkauft, doch das ließ unsere kalte Schulter nicht wärmer werden. Lief Kunze im Radio, riefen wir „bäh“. Je aufdringlicher die Lobeshymnen, umso mehr bähten wir. Ich war wohl derjenige damals, der am lautesten bähte, drum benutzten irgendwann meine Wegbegleiter eigens für mich die fiese Floskel „dein Freund Heinz-Rudolf Kunze“, wenn der bebrillte Barde zur Sprache kam. Vermutlich die erste Ironieerfahrung meines Lebens. Der Ausdruck überlebte, obwohl ich natürlich all das spätestens mit der Gründung von 1LIVE und dem damit verbundenen Ende der „Schlagerrallye“ erheblich entspannter sah und mir im Grunde nichts mehr aus Kunze machte. So ist das im Leben, Sie alle kennen das: die zur Schulzeit verteilten Etiketten reißen oft nie.

Und jetzt kunzt es ganz anders?

„Willkommen, liebe Mörder“ heißt das von meinem Mitschüler empfohlene Kunze-Werk neueren Datums, ich bin überzeugt, einige von Ihnen sind ebenfalls irgendwie drauf gestoßen (worden), hier ist es:

Ich traute meinen Ohren nicht, als ich die gesungenen Zeilen hörte. Sie auch? Eindeutig (so dachte und denke ich) eine Watschn für unsere staatlich verordnete gefährlich-gefällige Willkommenskultur. Diesmal war ich bei Kunze baff statt bäh. Da hat einer aber mal wirklich Mut bewiesen und begehrt auf, ist bereit, sich neue Feinde und falsche Freunde zu machen! Kritik am System Merkel ist für mich übrigens kein Widerspruch zu einer linken Gesinnung, im Gegenteil. Wer sich nur ein wenig Nüchternheit im Refugees-Welcome-Rausch bewahrt, erkennt schnell, welche Gefahren lauern und vor allem für wen. Und wer die wahren Nutznießer der Entwicklung sind! Kunze macht im Grunde nur das, wofür die deutsche Linke in ihrer besten Zeit berüchtigt war: einen Angriff starten auf die Obrigkeit. So dachte ich jedenfalls und mit mir offenbar viele andere. Der nachträglich eingefügte Subtext bei youtube sorgt nun für Ernüchterung – und Verwunderung:

Es ist einfach nur ein altes Stück. Da schau her

>> Das Lied “ Willkommen liebe Mörder “ von meinem Räuberzivil- Album “ Tiefenschärfe “ entstand im Sommer 2014, also ein Jahr vor der Flüchtlingsdebatte. Gemeint und auf ironische Weise angesprochen sind die Mörder der NSU. Pate dazu stand das berühmte Theaterstück „Biedermann und die Brandstifter “ von Max Frisch, das vom Aufkommen der Nazis handelt. Ich verbitte mir jede dem Geist dieses Songs widersprechende Vereinnahmung und Anbiederung, zumal von rechts. << (Text 1:1 übernommen.)

Aus „bäh“ wird nun „hä“: Was ist hier los?! Marlow, ich fleh Sie an Marlow, finden Sie Klärung! Lasst uns die Sache detektivisch angehen:

Das Lied wurde also 2014 geschrieben, als das heutige Ausmaß der Flüchtlingsdebatte zwar noch nicht so gegeben, wohl aber bereits erahnbar war und diskutiert wurde. Das Gesungene passt schier unmissverständlich genau auf vieles, was wir aktuell kennen und schon damals kannten:

„Wir möchten das verdrängen (…) wir sind so tolerant (…) wir reichen euch die Kerzen (…) ihr tut’s aus Überzeugung (…) wir sind so schlaff und müde (…)“

Für mich klare Verweise auf Toleranzblindheit, auf Lichterketten, Attentate im Schutzmantel der Religion, auf „Clash of Cultures“ und vielleicht sogar auf „Der Untergang des Abendlandes“. Kunze verheddert sich nicht in zu versponnenen, schiefen (bestenfalls elastischen) Sinnbildern a la Grönemeyer, er geht unmissverständlich auf die 12! Geht er nicht? Selbst wenn wir wirklich annehmen, das Stück sei fehlinterpretiert worden, an wen könnte es sich sonst richten? Kunze behauptet: an die Mörder der NSU! (Sehen wir mal ganz großzügig das „U“ als Kürzel für „UntergrundBEWEGUNG“, dann stimmt auch der Artikel.) Selbst wenn wir Kunze-gemäß den Umweg über Max Frisch beschreiten, so reicht das bisschen flackernde Übereinstimmung bei weitem nicht, um Kunzes Zurückrocken plausibel zu machen. Seine Worte in diesem Stück passen so dermaßen überhaupt nicht zum Thema NSU, dass wir uns schon fragen müssen, wie sich seine Erklärung erklären lässt.

Erklärung 1: Er sagt die Unwahrheit, weil er unter Druck gesetzt wurde, weil er Angst um Leib und Leben (seiner Familie) hat.
Erklärung 2: Er hat bewusst seine Zuhörerschaft verarschen wollen.
Erklärung 3: Kunze ist nicht nur bäh, sondern auch ballaballa.

Erklärung 1 scheint mir am wenigsten wünschenswert. Erklärung 3 am realistischsten.

Mehr zu Ludger unter www.ludger-k.de

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