Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 40-2018

Der Sozialstaat muss Mitwirkungsbereitschaft einfordern können

Wenn es im Hartz IV-Bezug Reformbedarf gibt, dann an ganz anderer Stelle. Wer bei Arbeitsaufnahme hinzuverdient, sollte nicht sofort 80 bis 100 Prozent auf seine Grundsicherung angerechnet bekommen, sondern wenigstens 30 bis 50 Prozent vom eigenen Verdienst – degressiv ausgestaltet - behalten dürfen.

© Christof Stache/AFP/Getty Images

Rund 6 Millionen Erwachsene und Kinder leben derzeit in Deutschland im Hartz IV-Bezug. Seit Jahren sinkt die Zahl einheimischer Bedürftiger, während sich die Zahl von Beziehern mit ausländischem Pass in den vergangenen fünf Jahren auf mehr als 2 Millionen verdoppelt hat. Knapp eine halbe Million Menschen sind seit 2005, dem Startjahr der heutigen Hartz IV-Gesetze, Dauerbezieher dieser staatlichen Leistung. Rund 45 Milliarden Euro kostet diese soziale Mindestabsicherung derzeit im Jahr. Die geltenden Gesetze geben den Jobcentern der Arbeitsagentur das Recht, mangelnde Mitwirkungsbereitschaft der Leistungsbezieher mit Leistungskürzungen zu sanktionieren. Wer etwa Termine versäumt oder es an der Eigeninitiative bei Qualifizierungsmaßnahmen oder der Vermittlung in Arbeit fehlen lässt, kann mit Leistungskürzungen bestraft werden.

Gegen diese „repressive“ Praxis läuft die politische Linke im Land schon lange Sturm. Doch jetzt beteiligen sich auch die Grünen in Gestalt ihres Vorsitzenden Robert Habeck an dem Generalangriff auf die ungeliebten Sanktionen für Sozialhilfebezieher. Habeck schlägt eine kostspielige Reformagenda vor, die er „Garantiesicherung“ nennt. Statt heute rund 6 Millionen Menschen würden von seiner Sozialleistung weit mehr als 10 Millionen Menschen profitieren. Arbeitslose und Geringverdiener würden damit nicht nur deutlich höhere Leistungen erhalten. Bei Ablehnung von Arbeit oder bei Terminversäumnissen müssten sie künftig nicht mehr mit Sanktionen rechnen. Bezeichnend übrigens der Titel des Habeck-Vorschlags: „Anreiz statt Sanktionen, bedarfsgerecht und bedingungslos.“ Das grüne Schlaraffia würde die heutigen Ausgaben für Hartz IV um rund 30 Milliarden jährlich erhöhen. Ich halte diese Summe übrigens für reichlich untertrieben. Im laufenden Überbietungswettbewerb der Parteien um eine Ausweitung des Sozialstaats macht das den Grünen aber keine Sorgen. Schließlich handle es sich bei dieser Summe gerade einmal um 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Die Mentalität, die hinter diesem sozialpolitischen Gutmenschentum steckt, ist hochgradig gefährlich. Sie untergräbt den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Denn die bürgerliche Mitte fühlt sich zunehmend als Lastesel unseres Wohlfahrtsstaates missbraucht. Leistungsloses Einkommen kann es in einer solidarischen Gesellschaft, die auf Erwerbsarbeit beruht, nicht geben – zumindest nicht für gesunde arbeitsfähige Menschen im Erwerbsalter. Von ihnen kann eine Gesellschaft erwarten, dass sie Eigeninitiative entfalten, damit sie baldmöglichst wieder auf eigenen Füßen stehen können. Deshalb ist auch die immer wieder erhobene Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, auf das jeder Anspruch erheben kann, ein Hohn auf die vielen Millionen Finanziers, die mit ihrer Erwerbsarbeit und die darauf erhobenen Steuern und Sozialabgaben dieses aberwitzige und sündhaft teure Projekt finanzieren müssten.

Oder mit den Worten von Gesundheitsminister Jens Spahn formuliert, der sich in der BILD ausdrücklich für die geltenden Sanktionen und Zumutbarkeitsregeln für Hartz IV-Bezieher ausgesprochen hat: „Wenn ich in Hartz IV wäre, warum hätte ich das Recht, von der Einzelhandelsverkäuferin, die weniger verdient, zu verlangen, dass von ihren Steuern mein Lebensunterhalt finanziert wird – wo ich doch im Zweifel arbeiten könnte. Vielleicht ist es Kellnern, Reinigen oder Handwerk. Warum wäre mir das nicht zumutbar?“

Also Hände weg von der Sanktionsabschaffung! Wer hier staatliche Großmut walten lassen will, wird die bitteren Früchte schnell ernten. Die Hartz IV-Zahlen sind bereits heute ein Beleg für den Vorwurf, dass Deutschland Anreize zur „Einwanderung in die Sozialsysteme“ bietet. Ohne Sanktionen würden wir alle Schleusen öffnen – für Menschen mit wie ohne Migrationshintergrund.

Wenn es im Hartz IV-Bezug Reformbedarf gibt, dann an ganz anderer Stelle. Wer bei Arbeitsaufnahme hinzuverdient, sollte nicht sofort 80 bis 100 Prozent auf seine Grundsicherung angerechnet bekommen, sondern wenigstens 30 bis 50 Prozent vom eigenen Verdienst – degressiv ausgestaltet – behalten dürfen. Denn wenn die „Transferentzugsrate“, von der die Ökonomen in diesem Fall sprechen, so hoch wie heute liegt, dann lohnt sich die Arbeitsaufnahme nicht. Dann lässt sie sich auch mit Sanktionen kaum erzwingen.

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