Tichys Einblick
Wann "Isch finito"?

Euro-Krise? Darüber entscheiden italienische Anleger

Man kann das Wort von der Euro-Krise nicht mehr hören. Dabei ist sie größer denn je, über die Folgen entscheiden weder Brüssel noch die EZB, schon gar nicht Berlin. Über die Zukunft entscheiden allein die italienischen Anleger.

Die Privatbank Löbbecke in Berlin ist eine der feinen Adressen am Gendarmenmarkt. Dort sollen die neuen Reichen Berlins und Politiker ihr Geld verwalten lassen. Die Bank residiert im früheren Stammhaus der Dresdner Bank aus der Vorkriegszeit. Später war das Gebäude eine Filiale der Staatsbank der DDR. Heute sind in der wieder offengelegten hölzernen Wandtäfelung noch Gewehrkugeln und Granatsplitter aus der Zeit der Schlacht um Berlin zu erkennen. Tradition suggeriert Sicherheit. Auch in unsicheren Zeiten. Alles vergeht, die Bank überlebt, lautet die suggestive Botschaft. Auch und gerade wenn die Zeiten unsicherer werden.

In diesem Rahmen präsentierte Thomas Meyer, früher Chefvolkswirt der Deutschen Bank und jetzt der Leiter der Analyseabteilung bei der Vermögensverwaltung „Flossbach von Storch“ in einem kleinen Kreis von Experten des Wirtschaftsrats und der Ludwig-Erhard-Stiftung ein Szenario, das Schaudern macht. Zerbricht der Euro schon bald an der Politik der neuen italienischen Regierung?

Hier die Thesen von Thomas Mayer, ergänzt um Diskussionsbeiträge, eigene Einblicke und Hintergrundmaterial.

1. Der Euro ist keine Währungs –  nur eine Bargeldunion

Die Euro-Länder haben mit Euro-Scheinen und Münzen ein gemeinsames Zahlungsmittel geschaffen. Aber das viel wichtigere Giral-Geld, also die Einlagen bei den Banken, lauten zwar auf Euro, aber haben sehr unterschiedliche Qualität. Die Banken unterliegen der jeweiligen nationalen Gesetzgebung, sind eng mit den jeweiligen Staaten verflochten und die Einlagen werden auf nationaler Ebene abgesichert. Ein Euro-Betrag bei einer griechischen Bank ist nicht dem gleichen Betrag gleichzusetzen, der bei einer deutschen, italienischen oder französischen Bank liegt. Der Wert des Giralgeldes hängt von der Qualität des Kreditportfolios der jeweiligen Bank und der Zahlungsfähigkeit des die Bank garantierenden Staates ab“, so Meyer.

Deswegen kann es sinnvoll sein, innerhalb der Währungsunion seine Buchgeldvermögen in einen anderen Mitgliedsstaat zu verlagern.

2. Italien geht es wirtschaftlich schlecht

Die Industrieproduktion liegt um ca. 14 Prozent unter dem Niveau von 2008, dem Jahr der Finanzkrise. Italiens Wirtschaft hat sich davon nicht erholt. Während Deutschland Wachstumsraten verzeichnet, schrumpft Italien. Zwischen Deutschland und Italien klafft eine immer größere Lücke in der Industrieproduktion – trotzdem steigen in Italien die Lohnstückkosten weit schneller. In der Vergangenheit wäre diese Lücke durch eine Abwertung der Lira zur DM ausgeglichen worden. Im Euroraum ist dies nicht mehr möglich. Die verunmöglichte Währungsabwertung müsste durch eine „innere Abwertung“ ausgeglichen werden – durch sinkende Lohnstückkosten, Staatsausgaben usw. Gleichzeitig müsste die Wirtschaft wieder auf Wachstumkurs gebracht werden. Wegen der schwachen Wirtschaft bleiben die Einnahmen des italienischen Staats niedrig, er kann seine Schulden nicht tilgen. Sanierung des Haushalts und Wirtschaftswachstum – beides ist in Italien nicht gelungen. Die derzeitige Regierung von Lega und Cinque Stelle setzt daher auf einen Ital-Exit – zumindest als Drohpotential.

4. Die Regierung plant neue Schulden

Zudem plant sie teure Ausgabenprogramme: ein Grundeinkommen für Arme, der Renteneintritt soll früher möglich sein als bisher und Selbstständige sollen weniger Steuern bezahlen. Dafür will die Regierung im kommenden Jahr mehr Schulden machen als ihre Vorgänger mit der EU vereinbart hatten. Die EU-Kommission kritisierte den Haushaltsplan deshalb wiederholt. Die Vorgängerregierung hatte ein Defizit von nur 0,8 Prozent als Ziel angegeben. Die 2,4 Prozent weichen massiv von den mittelfristigen Planungen ab, die mit der EU abgesprochen waren. Die Gesamtverschuldung liegt jetzt schon bei 130 Prozent der Wirtschaftskraft. Damit ist Italien nach Griechenland der Staat mit der zweithöchsten Verschuldung in der Eurozone. Das kann außer Kontrolle geraten – generell gilt eine Verschuldung von 90 Prozent als Tragfähigkeitsgrenze.

5. Die Banken spiegeln die Wirtschaftskrise

Banken sind immer auch Spiegelbild der jeweiligen wirtschaftlichen Lage. In den Bilanz schlummern Kredite von Unternehmen und Privathaushalten, die nicht mehr zurückbezahlt werden können. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten bündeln sich in den Bankbilanzen. In den Bilanzen von Italiens Banken türmen sich Kredite in Höhe von rund 360 Milliarden Euro, bei denen Kunden Probleme mit der Rückzahlung haben. Das entspricht einem Drittel der gesamten faulen Darlehen in der Eurozone. Gleichzeitig haben die italienischen Banken viele Staatsanleihen des Staates in den Büchern – soweit sie diese nicht schon an die Europäische Zentralbank verkauft haben. Längst sind die italienischen Banken gigantische Geldtransportmaschinen zu Lasten des Euro geworden: Sie haben ihre dank der EZB reichlich vorhandene Liquidität dazu genutzt, um ihre Bestände an italienischen Staatsanleihen in diesem Jahr von 380 auf 430 Milliarden Euro zu erhöhen. Gleichzeitig sank das Eigenkapital der Banken von 441 auf 400 Milliarden Euro.

Die Staatsanleihen übersteigen also das Eigenkapital. Zusätzlich haben die italienischen Banken ihrem Staat direkte Kredite über 261 Milliarden Euro gewährt.

Aber die Banken werden weiter genötigt, die schnell wachsende Verschuldung des italienischen Staates weiter zu finanzieren, obwohl die EZB längst zögert, weitere italienische Anleihen zu übernehmen, die international als „Ramschanleihen“ gehandelt werden und daher von vielen Institutionen wegen der hohen Risiken nicht mehr gekauft werden dürfen – prinzipiell auch nicht mehr von der EZB. Schon jetzt ist klar: Die demnächst fälligen Beginn der Rückzahlungen des billigen EZB-Gelds werden die italienischen Banken nicht überleben – es sei denn, sie erhalten wie ein Dsrogensüchtiger noch höhere Mittel aus Frankfurt.  Damit finanziert die EZB direkt das italienische Staatsdefizit.

6. Das Mißtrauen wächst

Längst sind globale Banken und Finanzinstitute skeptisch und misstrauisch geworden, die Zinsen, die Italien zahlen muss, steigen immer wieder sprunghaft über das Niveau deutscher Zinssätze. Diese „Spreads“ signalisieren das Misstrauen der Geldgeber in die zukünftige Zahlungsfähigkeit. Mittlerweile liegt der Spread Italiens – der Zinsabstand zu Deutschland bei Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit – bei drei Prozent. Zum Vergleich: Der Spread Portugals bewegt sich bei 1,5 Prozent, der Spaniens bei 1,2.

7. Banken sind hilflos

Um aus der Gefährdungszone heraus zu kommen, müssten die italienischen Banken ihr Eigenkapital massiv erhöhen. Dies würde allerdings erfordern, dass dieses Eigenkapital über die Zinseinnahmen bezahlt wird. Zinssteigerungen wiederum kann der hochverschuldete italienische Staat nicht vertragen, schon gar nicht mit den geplanten Mehrausgaben – er ist auf eine Finanzierung möglichst nahe der Null-Grenze angewiesen. Damit sitzen die italienischen Banken in der Falle.

8. Wann reagieren die italienischen Anleger?

Noch vertrauen die italienischen Bürger und Anleger ihren Banken. Doch wenn erst klar wird, dass die Banken in eine Schieflage geraten können und wegen des gigantischen Schuldenbergs Hilfe nicht mehr möglich ist – wir reden von mindestens dem 10-fachen der Griechenlandkrise – dann könnte das Land wirtschaftlich ins Rutschen kommen.

Dann droht die Gefahr, dass die italienischen Anleger ihr Geld abziehen – zum kleineren Teil in Bargeld umwandeln, das sie zu Hause verwahren statt auf der Bank, zum größeren Teil aber durch Überweisungen ins Ausland. Das ist heute so einfach wie noch nie zuvor. Paypal etwa ist in Luxemburg registriert und schwups: Per Knopfdruck vieler Italiener könnte ein „Bank-Run“ die Pleite auslösen. Das Drehbuch dazu wurde schon für Griechenland geschrieben.

Das berühmte Bonmot des damaligen deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble „Isch over“ könnte sich verwandeln in: „Jetz Isch finito.“

9. Die Folgen von „Isch Finito“

Die Folgen eines Bank-Runs wären katastrophal: Banken müssten schließen, Unternehmen könnten weder Löhne bezahlen noch Einkäufe tätigen. Die Wirtschaft friert ein. Geld würde ins Ausland transferiert. Sehr schnell müsste die italienische Regierung mit Abhebungssperren und dem Verbot von Kapitaltransfers reagieren. Das wäre das Ende des Euro, der ja von der Grenzenlosigkeit seines Währungsgebiets lebt. Andere Länder kämen schnell in Schwierigkeiten – insbesondere die französischen Banken, die eng mit den italienischen verflochten sind. Die Deutsche Bundesbank müsste mehrere hundert Milliarden Target-Guthaben, die sie gegenüber Italien ausweist, abschreiben und wäre ihrerseits überschuldet.

10. Willkommen in der Euro-Krise 2.0

Die Griechenland-Krise würde sich wiederholen – nur in einem viel größerem Maßstab. Einen Plan B gibt es bislang nicht. Die Politik reagiert mit Strafandrohungen gegenüber der italienischen Regierung wegen der gigantischen Ausgabenpläne und der geplanten Schulden. Sie droht – irgendwann – mit Strafzahlungen. Aber das ist eine leere Drohung, wenn Italien einfach nicht mitspielt. Bekanntlich ist es ziemlich schwierig, einem Nackten in die Tasche zu greifen. Es gilt das Problem: Wer 1.000 € Schulden hat, dem macht die Bank Probleme und Stress. Ab einiger Millionen macht der Schuldner der Bank Stress. Italien macht ziemlich viel Stress.

Wirtschaftswachstum in Italien würde helfen – aber wie geht das? Ein Dutzend Reformprogramme wurden seit der Griechenlandkrise auf den Weg gebracht – wirklich solide haben sie den Euro nicht gemacht. Denn er kann nicht durch irgendwelche Rettungsschirme, Hilfsfonds und ähnliche Maßnahmen stabilisiert werden: Es ist nicht zusammengewachsen, was zusammenwachsen sollte. Die wirtschaftlichen Unterschiede spreizen sich immer weiter auf. Eine „Bankenunion“ würde nur direkt deutsche Sparer in die Haftung für italienische Pleitebanken nehmen – keine schöne Vorstellung. Zum Vergleich: Die italienische Wirtschaftsleistung entspricht dem 10-fachen Griechenlands … „Ein riesiger Elefant steht mitten im Zimmer – und keiner spricht davon“, umschreibt René Höltschi von der NZZ das Problem. Wem tritt der Elefant auf die Füße?


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