Tichys Einblick
Am Scheideweg

Endspiel: Anglo-Italienische Rebellion gegen Deutsch-Französische EU

Merkels Nachfolger muss Deutschland von dem fast religiös verfahrenen Dogma der ever closer union befreien. Um dann wieder das Vereinigte Königreich einladen zu können und ein für alle europäischen Länder funktionierende Partnerschaft zu ermöglichen.

Alfonso Fuentes/AFP/Getty Images

Die beiden grosse Konflikte in der Europäischen Union erreichen langsam ihr Finale. Das Vereinigte Königreich zieht die EU-Zwangsjacke aus, Italien desertiert leise aus dem Euro. Beide Länder lehnen sich damit gegen Deutschland und Frankreich auf, die sich zunächst weigern zuzugeben, dass „ihre“ EU zu tief in die nationale Souveränität eingreift und zurückgefahren werden muss, um ein Auseinanderfallen EU-Europas zu verhindern.

Der Name „Maastricht“ klingt heutzutage immer bitterer. In dieser Stadt wurde am 11. Dezember 1991 der Vertrag zur Gründung der Europäischen Union und der Wirtschafts- und Währungsunion geschlossen, das Gründungsdokument für die gemeinsame europäische Währung, den EURO. Da verbündeten sich rücksichtslose französische Machtpolitik mit der deutschen „Alle Menschen werden Brüder-Romantik“. Was damals in Maastricht verschmolzen wurde, war dieser Tagen intensiv zu spüren.

EU und Euro als deutsch-französische Machtinstrumente

„Maastricht“ entfremdete die Briten von der bereits exotischen europäischen Integration. Und die EU und der Euro zeigten sich immer mehr als deutsch-französische Machtinstrumente, um Europa zu beherrschen. Das Vereinigte Königreich wird die EU am 29. März 2019 verlassen. Zwar kündigte Premierministerin Theresa May an, dass das Vereinigte Königreich bis 2021 in einer Zollunion mit der EU bleiben wird. Aber politisch sind die Briten auf dem Weg zum EU-Ausgang. Einen Weg zurück wird es nicht geben. Vielen Briten ist der Schnitt mit der Vergangenheit nicht eindeutig genug. Damit verliert EU-Europa seine drittgrößte Wirtschaftsmacht; die im übrigen der der 18 kleineren süd-osteuropäischen entspricht. Europa wird ärmer und mit dem Verlust der britischen Streitkräfte auch sicherheitspolitisch geschwächt. Damit nicht genug.

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Die italienische Regierung von 5 Sterne und Lega, der populärsten Regierung in Europa, weigert sich, die in Maastricht festgelegten Euro-Regeln einzuhalten. Es sind Regeln, die niemals für Deutschland und Frankreich galten – sie wurden von den beiden Zentralmächten seit 2003 und danach in immer schnellerer Folge gebrochen. Konsequenzen? Keine.

Die italienische Regierung ignoriert nun die Anordnung der EU-Kommission, weniger Geld auszugeben. Die Kommission droht mit einem Strafverfahren. Ein Verfahren, das sie niemals gegen Frankreich anwenden wollte. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (CSV) aus Luxemburg sagte: „Die Euro-Regeln gelten nicht für Frankreich, weil es Frankreich ist.”

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Damit war klar, was alle wussten: Die Kommission ist ein Instrument der deutsch-französischen Macht und kein unabhängiger Schiedsrichter, der für die Einhaltung der EU- und Euro-Regeln sorgt. Die Tatsache, dass Deutschland und Frankreich davon ausgehen, dass sie die Kommission sowie die EU- und Euro-Regeln gegen andere Länder anwenden, sich aber von ihnen zurückziehen können, wenn ihnen die Regeln nicht passen, ist ebenso schamlos wie naiv.

Diese Art des Handelns bedeutet die Demütigung der Bürger und Regierungen anderer EU-Länder. Kleine Länder wie die Niederlande und Griechenland schlucken noch immer, aber Länder mit dem historisch-demokratischen Bewusstsein wie dem des Vereinigten Königreichs, der Größe Italiens und dem Nationalstolz und dem historischen Bewusstsein von Polen und Ungarn tun das nicht. Sie rebellieren. Immer lauter und entschiedener.

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Die große Frage lautet nun: Werden Deutschland und Frankreich erkennen, dass Maastricht ihren Wünschen und Interessen dient – sie aber dem Rest Europas entfremden? Nicht nur wegen des Brexit und des italienischen Euro-Rubels, sondern auch wegen der Auseinandersetzung mit Osteuropa und dem wachsenden Misstrauen in Skandinavien über die EU und den Euro. Oder wollen sich Deutschland und Frankreich weiterhin rücksichtslos durchsetzen?

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat bereits die Antwort gegeben: Er möchte, dass Deutschland und Frankreich die Eurozone schneller und tiefer einbinden und eine Kern-EU bilden, in der er und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Macht ausüben.

Dies würde bedeuten, den Irrweg von Maastricht fortzusetzen. Aus den Erfahrungen dieser Tage aber erkennt man, dass diese Art der Durchsetzung zu weniger Einigkeit in Europa als zu mehr führt.

Aber was will Deutschland? Merkel will nichts, sie hält den Status quo aufrecht. Dazu gehört, ab und zu Forderungen Macrons nachzukommen wie jetzt beim Eurozonen-Budget, einer gewaltig klingenden grauen Salbe, die Macron gegen seine dramatisch gesunkene Popularität zuhause einsetzen will.

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Deutschland wartet auf ihren Nachfolger, der spätestens 2021 sein Amt antreten wird. Wer immer es sein wird – er oder sie steht vor einer unlösbaren Aufgabe: Deutschland aus der Zwangsjacke der deutsch-französischen „Freundschaft“ zu reissen. Er oder sie muss Deutschland von dem fast religiös verfahrenen deutschen Dogma der immer enger werdenden Union (ever closer union) befreien. Um dann wieder das Vereinigte Königreich einladen zu können und einn für alle europäischen Länder funktionierende Partnerschaft zu ermöglichen: Eine Verbindung, die der Herrlichkeit der Vielfalt in Europa gerecht wird. Und Merkels Nachfolger wird Italien freie Bahn geben müssen, damit es den Euro verlassen kann. Das wird nicht einfach sein, denn Deutschland wird Hunderte Milliarden Euro an Verlusten akzeptieren müssen.

Was für eine Aufgabe! Merkels Nachfolger wird regelmäßig „Maastricht“ verfluchen.

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