„Wissen ist Macht“, das haben wir von den Eltern eingeimpft bekommen, verinnerlicht, wir geben es weiter an unsere Kinder. Der britische Philosoph Francis Bacon ist der Kreateur des Bonmots. Im 16. Jahrhundert hat er es ins Leben gerufen, zur Zeit der Renaissance und des Humanismus, als eine neue Art des Intellekts in Entstehung war, weg vom Scheuklappen-Denken des Mittelalters und der Religion, hin zu Wissenschaft und Experimenten, durch die man neue Erkenntnisse erlangte. Wissen ist auch Macht, weil Kenntnis über eine Sache oder ein Ereignis die Basis bereitet, um sich ein fundiertes, ausgewogenes Urteil zu bilden.
Über die pikante Falschanschuldigung haben unter anderem „Business Insider“, „Newsweek“, „Daily Mail“, „New York Post“, „The Daily Beast“, „USA Today“, „Fox News“ und das „Wallstreet Journal“ berichtet. Es war nicht die einzige Falschaussage im Kavanaugh-Fall; laut „USA Today“ steht im Untersuchungsbericht des Komitees, dass Julie Swetnick und Michael Avenatti ‚erhebliche falsche Aussagen‘ tätigten, um die Ermittlungen zu behindern. Und: Drei weitere Anschuldigungen erwiesen sich als ’nicht glaubwürdig‘.
Natürlich bin ich damit einigen Journalisten auf den Schlips getreten. Ralph Pöhner, Chefökonom bei der „Handelszeitung“, antwortete: „Quatsch. In deutschen Medien wurde der hier beschriebene Fall mit keinem Wort erwähnt. Also müssen sie auch nix korrigieren.“ Später meinte er, man könne schon darüber berichten, aber: „Angesichts der Themenlage diese Woche (Midterms, Merz, Brexit…) würde ich als Blattmacher auch sagen, dass wir uns nicht um irgendeine linke Idiotin in Washington kümmern.“
Wenn jemand eine Vergewaltigung erfindet und das später zugibt, ist das eine Entlastung. Der gesunde Menschenverstand sagt mir, dass es nur fair ist, einer Entlastung ebenso mediale Aufmerksamkeit einzuräumen. Der konkrete Vorwurf wurde zwar offenbar von deutschsprachigen Leitmedien nicht thematisiert, das ist für mich aber kein schlüssiges Argument, um nicht über die neue Information zu berichten. Gerade angesichts der populären Kavanaugh-Berichterstattung ist es für die Öffentlichkeit möglicherweise von Interesse, wenn eine der Anschuldigungen nun erwiesenermassen falsch ist. Natürlich ändert es grundsätzlich nichts, es hängen noch immer (unbewiesene) Anschuldigungen gegen den Supreme Court-Richter in der Luft. Losgelöst von Kavanaugh kann ich mir aber aus Sicht einer gebrandmarkten Person vorstellen, dass eine bestätigte Falschanschuldigung eine Befreiung ist, und darum von Belang, wenn die Erkenntnis den Weg an die Öffentlichkeit findet. Die erdichtete Vergewaltigung von Munro-Leighton zeigt vor allem auch, dass man nicht jede Geschichte vorbehaltslos glauben kann – und wie wichtig Beweise und Ermittlungen sind.
Man kann nun einwenden, dass es viel mehr tatsächliche sexuelle Übergriffe gibt als Falschanschuldigungen – und die Berichterstattung deshalb unterschiedlich breit ausfällt. Das mag stimmen, als Argument gegen einen Artikel überzeugt es mich nicht.
Es gibt mehr Falschanschuldigungen bei Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen als gemeinhin angenommen. Laut dem forensischen US-Profiler Brent Turvey, der „Falsche Anschuldigungen“ für sein gleichnamiges Buch anhand wissenschaftlicher Literatur mehrerer Jahrzehnte analysiert hat, liegt die Zahl in den Vereinigten Staaten zwischen 8 und 41 Prozent (Quelle: „The Daily Wire“). Gemäss einer Münchner Studie von 2005 zu Vergewaltigung und sexueller Nötigung in Bayern, die im Auftrag des Bayerischen Staatsministerium des Innern verfasst wurde, sind ‚mindestens ein Fünftel bis zu einem Drittel der Vorgänge zweifelhaft‘. Viele Experten bestätigen die Resultate: „Das Phänomen der Falschanschuldigung bei Vergewaltigungen ist sehr verbreitet. Wir rechnen damit, dass etwa die Hälfte der Anzeigen fingiert ist“, sagte Thomas Hansjakob, damals Erster Staatsanwalt im Kanton St. Gallen, in einem Artikel des „Schweizer Beobachter“ von 2012.
„Darum, liebe Medien, mögen euch viele Leser nicht mehr.“ Mein Tweet wurde über 1.000 Mal geliked. Ich würde das als Indikator für öffentliches Interesse bezeichnen. Wenn also Blattmacher die Information als nicht relevant einstufen, haben sie entweder kein Gespür dafür, wofür die Leserschaft bereit ist, ihre Aufmerksamkeit zu investieren. Oder aber sie leiden an Überheblichkeit: Man begrenzt den Inhalt seiner Beiträge auf das, was seinen eigenen ideologischen und moralischen Massstäben entspricht, und filtert Informationen selektiv aus. Den Anschein macht es zumindest. Die Emanzipation des Publikums ist aber schon zu weit fortgeschritten, deshalb taugt diese Taktik für die Leserbindung etwa so gut wie ein 100 Prozent-Preisaufschlag aufs Abo.