Angela Merkel und Friedrich Merz, das war und ist eine besondere Beziehung. Mehr als zwei Jahre lang, vom Frühjahr 2000 bis zum Herbst 2002, fungierten sie als Doppelspitze der damaligen Opposition: Merkel als Parteivorsitzende und Merz als Oppositionsführer. Die beiden kooperierten nicht ohne Erfolg, waren aber keineswegs ein harmonisches Duo. Ein Beispiel: Als Merz mit seinem Eintreten für eine deutsche Leitkultur heftig unter Beschuss geriet, sprang ihm Merkel nur halbherzig bei, agierte wie eine Pflichtverteidigerin.
Die Differenzen und auch das Konkurrenzverhältnis zwischen beiden wurden mit Blick auf die Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahl 2002 offenkundig: Während Merkel selbst antreten wollte, verbündete sich Merz mit anderen CDU-Politikern wie Roland Koch und Günther Oettinger gegen die eigene Parteivorsitzende und setzten auf den CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber. Merkel spürte, dass sie keine Chance hatte, und bot dem bayerischen Ministerpräsidenten die Kandidatur an. Dieses Manöver war ein kluger Schachzug. Der Verzicht in aussichtsloser Lage führte sie nach der Wahlniederlage Stoibers gegen Gerhard Schröder an die Spitze der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – und 2005 ins Kanzleramt.
Sollte Merz zum CDU-Vorsitzenden gewählt werden, müsste er mit der Kanzlerin Merkel auskommen – und sie mit ihm. Merz sieht darin angeblich kein Problem. „Ich bin der festen Überzeugung, dass Angela Merkel und ich miteinander unter diesen veränderten Bedingungen auskommen und klarkommen werden“, sagte Merz kürzlich vor der Bundespressekonferenz. Auch Merkel äußerte sich jetzt so, als ob sie eine Zusammenarbeit mit Merz für unproblematisch halte. Wo man bisher zusammengearbeitet habe, habe man „immer Lösungen gefunden“, betonte sie nach der CDU-Klausur. Natürlich sei man dabei „nicht immer einer Meinung gewesen.“ Aber es passiere ja auch „selten, dass man mit jemandem immer einer Meinung ist.“
Auch Merz selbst versuchte jetzt bei der Ankündigung seiner Kandidatur, den damaligen Wechsel an der Fraktionsspitze als geradezu zwangsläufig darzustellen. Er sei zwar bekanntlich nicht erfreut gewesen, dass er 2002 gegen sie das Amt des Unionsfraktionsvorsitzenden verloren habe. Aber es sei „damals auch richtig gewesen, Partei- und Fraktionsvorsitz in einer Person zu vereinen.“ Mit dieser Darstellung versucht Merz, Befürchtungen zu zerstreuen, sein Verhältnis zu Merkel sei zu sehr belastet, um als CDU-Vorsitzender mit der Kanzlerin gut zusammenzuarbeiten. Seine jetzige Interpretation passt jedoch nicht zu seinem damaligen Verhalten.
Tatsache ist: 2004 zog sich Merz aus der Fraktionsführung zurück und investierte mehr Zeit in seine Tätigkeit als Wirtschaftsanwalt. Es war ein kaum verhüllter Bruch mit der Fraktionsvorsitzenden und designierten Kanzlerkandidatin. Folglich fehlte Merkel bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 ein Wirtschafts- und Finanzexperte für ihr Schattenkabinett. Diese Position war besonders wichtig, galt es doch Gerhard Schröder als „Kanzler der Bosse“ Paroli zu bieten. Da Stoiber es ablehnte, ins Merkel-Team einzutreten, machte sich Merkel auf die Suche. Dabei dachte sie zunächst an Jürgen Stark, ehemals Finanzstaatssekretär bei Theo Waigel und seit 1998 Vizepräsident der Deutschen Bundesbank. Doch der lehnte ab. Erst dann kam Professor Paul Kirchhof ins Spiel, ehemals Richter am Bundesverfassungsgericht und ein ausgewiesener Steuerexperte, der mit seinen Vorschlägen für eine radikale Vereinfachung des Steuerrechts („flat tax”) Aufsehen erregt hatte. Schließlich zog Kirchhof für und mit Merkel in den Wahlkampf. Doch der Wissenschaftler war eben kein Politiker und schon gar kein Wahlkämpfer. Da hatte Schröder leichtes Spiel, ihn als weltfernen „Professor aus Heidelberg“ ohne Gespür für die kleinen Leute zu diffamieren.
Die CDU/CSU war 2005 mit glänzenden Umfragewerten in den Wahlkampf gestartet. Im Juni 2005 ermittelte das Allensbach-Institut für die Union 46,7 Prozent. Zum Schluss blieben nur magere 35,2 Prozent; das war gerade noch ein Prozentpunkt mehr als für die SPD. Zu diesem Absturz trug nicht zuletzt Schröders Strategie bei, die Union wegen Kirchhofs Steuerplänen als unsozial zu brandmarken. Das wäre bei einem „Schattenfinanzminister“ Merz so nicht möglich gewesen. Denn der wollte mit seinem Bierdeckel-Vorschlag das Steuersystem zwar radikal vereinfachen, aber die scharfe Steuerprogression – anders als Kirchhof – beibehalten.
Jetzt muss Merkel dessen Kandidatur zur Kenntnis nehmen. Und ebenso, was Merz bei seiner Vorstellung vor der Hauptstadtpresse auch noch sagte: Es gebe Menschen, die nicht zusammenpassten. Dann müsse man eben auseinandergehen. Doch jetzt müssten Merz und Merkel erst einmal zusammenkommen. Dass es dazu nicht kommt, dafür wird die Noch-Parteivorsitzende und Noch-Kanzlerin aber tun, was sie kann.
Die Merkel-Zitate stammen aus „Angela Merkel: Mein Weg. Ein Gespräch mit Hugo Müller-Vogg, Hamburg 2005. (Im Buchhandel nicht mehr erhältlich.)