Im Dezember wird die Bundesregierung den „Migrationspakt“ der Vereinten Nationen unterzeichnen. Zunehmend mehr betroffene Staaten – so jüngst die Republik Österreich – wollen sich diesem jedoch verweigern. Dabei ist der Migrationspakt nicht vom Himmel gefallen. Er ist Teil eines bereits von Kofi Annan erdachten, weltumspannenden Konzepts, welches die UN bereits 2006 in ihren Kernelementen und Zielsetzungen veröffentlichte.
Teil 1 von 4:
Nur Arbeitsmigration?
Die Mitglieder der Kommission formulieren sechs “Handlungsprinzipien”, die sich vor allem anderen durch zwei Kernelemente auszeichnen:
1. Sie definieren sich an der Seite der Migranten, deren Auswanderung als freiwillige und ausschließlich in deren Ermessen stehende Entscheidung begriffen wird.
2. Sie betrachten Migration ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaft – weltweite Migration sei letztlich nichts anderes als ein globaler Arbeitsmarkt, dessen Abläufe zu regeln seien.
Die “Prinzipien” lesen sich unter dem Gesichtspunkt der zwei dargelegten Kernelemente streckenweise wie das Grundsatzpapier einer global agierenden Gewerkschaft als Arbeitnehmervertretung.
Ohne Zweifel:
Es ist richtig und sinnvoll, Arbeitsmigration nach einheitlichen Prinzipien zu organisieren.
Es ist richtig, ausländischen Arbeitnehmern nicht, wie in einigen arabischen Staaten üblich, ihre Pässe abzunehmen und sie in Sklaverei-ähnlichen Bedingungen zu halten.
Es ist richtig, kriminellen Banden nicht die Möglichkeit zu geben, Menschenhandel und Zwangsprostitution über vorgebliche Arbeitsmigration zu organisieren.
Es ist richtig, nicht durch Dumpinglöhne ausländische Arbeitskräfte dazu zu missbrauchen, inländischen Arbeitskräfte ihre Erwerbsmöglichkeiten zu nehmen.
Es ist auch richtig, legal tätigen, ausländischen Arbeitnehmern dieselben Rechte in der Sozialfürsorge und Krankenversicherung zukommen zu lassen, wie sie für einheimische Arbeitskräfte vorgesehen sind.
All das ist richtig allein schon deshalb, weil einerseits der ausländische Arbeitnehmer nicht schlechter gestellt sein darf als der inländische – und weil andererseits sonst die Gefahr besteht, mittels des Imports von Billiglohnkräften diese zu einheimischen Arbeitskräften in Konkurrenz treten zu lassen und dadurch das gesellschaftliche Klima zu vergiften.
Ginge es um nichts anderes als darum, Arbeitskräfte auf einem globalen Arbeitsmarkt sinnvoll zu vermitteln, dann wäre es die erste Aufgabe der Vereinten Nationen gewesen, ein global agierendes Arbeitsamt zu schaffen. Eine international tätige Behörde, in der Unternehmen ihren Arbeitskräftebedarf anmelden – und Arbeitnehmer ihre Fähigkeiten zur Vermittlung in andere Länder anbieten. Genau auf diese Idee allerdings kommt die Kommission nicht. Und das aus gutem Grunde.
Denn selbstverständlich weiß sie, dass das Problem der weltweiten Migration eben keines einer sinnvollen Arbeitsplatzvermittlung ist. Sie weiß, dass das Problem – wie bereits formuliert – in den Lenden liegt. Sie weiß, dass die gedankliche Fixierung auf einen globalen Arbeitsmarkt einschließlich der Vision einer Wohnort- und Arbeitsplatzwahl in der Glückseligkeit an den Realitäten scheitern muss. Und sie weiß auch, dass für das Gros der Migranten nicht der Wunsch nach einem qualifizierten Arbeitsplatz ganz oben auf der Agenda steht, sondern das Verlangen nach einer wie auch immer organisierten Verbesserung der eigenen Situation. Der Soziologe Gunnar Heinsohn nennt sie zutreffend “Wohlstandsmigranten”.
Gerade das, was dem Einzelnen in seiner persönlichen Situation nicht vorzuwerfen ist, wenn er den Versuch unternimmt, einer misslichen Lage zu entfliehen, kann jedoch nicht unter der beschönigenden Floskel der Arbeitsmigration ausschließlich den Zielländern übergeholfen werden. Arbeitsmigration als Kernelement von Wanderungsbewegungen war 20. Jahrhundert. Das 21. Jahrhundert ist weltweite Völkerwanderung.
Die Völkerwanderung in die Zivilisation
Bereits die Wortwahl spricht für sich: Es sind die “vielen Länder”, die “Fachleute anwerben”, aber “Migranten anlocken” wollen. Dabei weiß die Kommission selbst, dass die Arbeitsmarktargumentation nichts anderes ist als ein gezieltes Ablenkungsmanöver. Denn sie stellt fest:
“In den letzten 30 Jahren ist der Anteil der im Ausland geborenen Personen in entwickelten Ländern allgemein gestiegen, während er in den Entwicklungsländern entweder stagniert oder leicht zurückgegangen ist.
Rund 60 Prozent aller registrierten Migranten sind in den reicheren Regionen der Welt zu finden. Die anderen 40 Prozent befinden sich in Entwicklungsregionen. Trotz dieser Tendenz migriert immer noch eine große Zahl von Menschen von einem Entwicklungsland in ein anderes. Laut den jüngsten Statistiken der Vereinten Nationen hat Asien 49 Millionen Migranten, Afrika 16 Millionen und die Region Lateinamerika und Karibik sechs Millionen.”
Was besagen diese wenigen Zahlen? Nichts anderes als dass jenes, was als “Migration” umschrieben wird, eben nichts anderes ist als jener “Torrent of Faces” – und eine Registrierung von Migranten findet ohnehin überwiegend in den “reicheren Regionen der Welt” statt. Die Migration “von einem Entwicklungsland zum anderen” wird weitgehend als “Transitmigration” (so der UN-Terminus) zu verstehen sein – Menschen auf dem Weg in den vermeintlichen Reichtum, vorübergehend oder dauerhaft gestrandet in den Grauzonen zwischen Heimat und Ziel, weil ihnen die Mittel zur Weiterreise ausgegangen sind. Soweit diese Personen an Zahl überhaupt zu erfassen sind, weist die Kommission sie aus – über die Zahl der nicht registrierten Migranten schweigt sich der Bericht notgedrungen ohnehin aus.
Der Bericht erkennt, dass viele Entwicklungsländer mit exorbitantem Bevölkerungswachstum kämpfen und nicht in der Lage sind, genug Arbeit für Millionen junger Leute zu schaffen. Doch die Antwort, die den Vereinten Nationen dazu einfällt, ist die Massenmigration und der Appell, diesen Ländern vor allem finanziell unter die Arme zu greifen, um so die Migrationsursachen zu mindern. Ändert das aber etwas daran, dass die Anzahl der Menschheit sich seit der Industrialisierung und der globalen Verbringung des medizinisch-technischen Fortschritts über den Kolonialismus sich in einem Maße vermehrt, dass, glaubte man an die Idee der unsterblichen Seele, Gott diese längst am Fließband müsste stanzen lassen, um den Bedarf auch nur noch ansatzweise decken zu können?
Deshalb wird die Legende aufgebaut, die wohlhabenden Länder würden von der Migration ausschließlich profitieren.
Ins Absurde versteigt sich die Kommission, wenn sie dann auch noch allen Ernstes erzählt, dass die globale Migration etwas damit zu tun habe, dass “die Menschheit schon immer neugierig gewesen [ist] und schon immer unterschiedliche Orte [hat] sehen, neue Erfahrungen sammeln und fremde Kulturen kennen lernen wollen. Infolge der Globalisierung ist eine größere Zahl von Menschen in der Lage, diesem Bestreben nachzukommen. … Während die internationale Migration sicher hauptsächlich auf wirtschaftlichen Überlegungen beruht, entscheiden sich doch auch viele Menschen ins Ausland zu ziehen, um neue Orte, Kulturen und eine andere Lebensart kennen zu lernen oder sich Mitgliedern aus ihrer Gemeinschaft oder Familie anzuschließen, die bereits in der Vergangenheit ausgewandert sind.”
So macht der Bericht spätestens jetzt mit seiner Wortwahl dieses ““sicher” mehr als deutlich, dass er sich seiner Sache eben nicht “sicher” ist. Der Bericht betrachtet die Welt mit einem gehörigen Schuss Romantik so, wie der europäisch gebildete Europäer sie sich selbst aus den Augen der Migranten betrachtet vorstellt. Es ist die Weltsicht des Wohlstandsbürgers, der den unmöglichen Versuch unternimmt, in die Seele eines Verzweifelten einzutauchen, die bei den Zivilisierten in einem Augenblick der Erkenntnis aufflackert:
“Die Formulierung und Umsetzung einer internationalen Migrationspolitik gestaltet sich schwierig, da es hierbei um die Mobilität von Menschen geht, und zwar um entschlossene Akteure, die bereit sind Opfer zu bringen und Gefahren einzugehen, um ihre Ziele zu verwirklichen.”
Weil das so ist und weil auch deshalb “der Diskurs über Migration auf nationaler, regionaler und globaler Ebene hoch emotionalisierend” ist, erkennt die Kommission dann doch, dass “die Bürger einer derzeit zwar verständliche, aber unbegründete Besorgnis über die Ankunft von Menschen aus anderen Ländern und Kulturen” unterliegen könne vor allem dann, wenn diese unbegründete Besorgnis von böswilligen Kräften geschürt werde. Dieses könne sogar “einen entscheidenden Einfluss auf Wahlergebnisse” nehmen.
Das Ende der Nationalstaaten
“Irreguläre Migration hat eine Reihe negativer Konsequenzen. Wenn sie in größerem Ausmaß auftritt und die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zieht, kann irreguläre Migration das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität und Effizienz der Migrations- und Asylpolitik eines Staates untergraben. Sie stellt die Ausübung der staatlichen Souveränität in Frage und kann insbesondere in den Fällen, in denen sie mit Korruption und organisiertem Verbrechen einhergeht, zu einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit werden. Sofern irreguläre Migration zu schärferem Wettbewerb um knappe Arbeitsplätze führt, kann sie zum Entstehen fremdenfeindlicher Gefühle beitragen, die nicht nur gegen Migranten mit irregulärem Status, sondern oft auch gegen länger ansässige Migranten, anerkannte Flüchtlinge und ethnische Minderheiten gerichtet sind.”
Es soll hier nicht der Eindruck vermittelt werden, dass die Kommission nicht den Versuch unternommen habe, humane Wege zum Umgang mit der Migration zu suchen. Auch hat sie durchaus den einen oder anderen, richtungweisenden Vorschlag unterbreitet, wenn sie legale Wege der Arbeitsplatzvermittlung befürwortet und gleichwohl erkennt, dass dadurch illegale Migration nicht verschwinden wird.
Gleichzeitig aber wagt sie eben nicht den einzig konsequenten Schritt, konkret zwischen internationalem Arbeitsmarkt und Wohlstandsmigration zu trennen. Sie erkennt, dass “eine Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik, die nicht gerecht und transparent ist, nicht öffentlich diskutiert wird und nicht auf einem Konsens beruht,” das Misstrauen und Ressentiments unter den Bürgern der Zielländer weckt und den Integrationsprozess behindert. Und sie vermengt dabei selbst Zuwanderung als die von der Kommission nicht getrennte Gemengelage von Arbeitsmarkt und Wohlstandsinvasion mit Flucht, wie sie über die Kriterien der UN, mehr noch aber in der Bundesrepublik Deutschland als Asylgrund definiert ist, und die weder etwas mit Arbeitsmarkt noch mit Wohlstandsmigration zu tun haben darf.
Die Kommission fordert die Herkunftsländer auf, Migranten wieder aufzunehmen, wenn “es Situationen gibt, in denen die Rückführung von Migranten mit irregulären Status notwendig ist”. Doch man liest nicht nur zwischen den Zeilen – lieber ist es der Kommission, jeder Migrant könne ungehindert dorthin gehen und dort bleiben, wo ihm der Sinn danach steht.
Da die Damen und Herren, die im Auftrag der UN über die weltweite Völkerwanderung nachdenken sollten, dann doch erkannten, dass sie das Problem der weltweiten Migrantenströme als Folge unkontrollierbarer Überbevölkerung beim besten Willen nicht würden lösen können, kamen sie dann doch irgendwann auf jene Länder zu sprechen, die Ziel der Migranten sind. Und es fällt der Kommission dazu als erstes ein, dass “die Vorstellung eines vom sozialen und ethnischen Gesichtspunkt her gesehen homogenen Nationalstaates mit einer einheitlichen Kultur immer mehr als überholt angesehen” werden müsse.
Fast in einem Nebensatz versteckt findet sich hier ein Schlüsselsatz: Im Glauben, durch Migration der Überbevölkerung begegnen zu können, gehört der Nationalstaat abgeschafft. Zumindest dann, wenn er ein Zielland der Migration ist.
Mit dem Nationalstaat abgeschafft gehört folgerichtig auch jene einheitliche Kultur, die ihn dereinst erst hat werden lassen.
Frankreich den Franzosen, Deutschland den Deutschen, Polen den Polen?
Nicht dann, wenn sich Franzosen oder Deutsche oder Polen als eigenständige Kulturnationen begreifen. Nicht dann, wenn sie damit ein kulturelles Erbe, eine zivilisatorische Identität verbinden.
Da die Kommission ahnt, dass die Vernichtung zum Teil über Jahrtausende entstandener nationaler Identitäten nicht zwangsläufig bei jedem, der sich selbst dieser Identität zugehörig weiß, auf Gegenliebe stoßen wird, und sie den Anspruch, nicht durch die Träger einer anderen Kultur diskriminiert zu werden, in klassischer Täter-Opfer-Zuweisung ausschließlich bei dem Zuwanderer erkennt, wird sie dann auch hinsichtlich der Überwindung nationaler Eigenheiten unmissverständlich:
“Der Diskriminierung muss durch die Schaffung und Umsetzung adäquater Gesetze entgegengewirkt werden, besonders dort, wo sie die Erfolgsmöglichkeiten der Migranten in der neuen Gesellschaft direkt beeinflusst, wie bei Beschäftigung, Wohnen und Bildung.
Die Vertreter des Staates, wie Polizei, Richter, Beamte der Einwanderungsbehörde und medizinisches Personal, sind entsprechend zu schulen, damit sie die jeweiligen Kulturen der Migranten verstehen können und die Bürger nicht diskriminieren.”
Die dann folgenden, zahlreichen Punkte, die die Kommission in Sinne ihrer Form der Bewältigung der Bevölkerungsexplosion erwartet, lesen sich angesichts der Geschehnisse in der Bundesrepublik Deutschland wie die Beschreibung der ersten Etappen eines Masterplans:
- Etablierte Vorstellungen der Staatsbürgerschaft und des Nationalstaats werden neu definiert.
- Zuwanderer sollen schnell und kostengünstig die Staatsbürgerschaft des Aufnahmelandes erhalten.
- Zielstaaten sollen im Hinblick auf die Anerkennung von Qualifikationen sicherstellen, dass die im Heimatland erworbenen Fähigkeiten angewendet werden können.
- Zuwanderer sollen auch ohne Staatsbürgerschaft gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Diensten in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Sozialfürsorge, Arbeit und Strafverfolgung haben.
- Interkulturelle und religionsübergreifende Dialoge sollen “Mythen und Missverständnisse” ausräumen.
- Migrantenverbände und -gruppen sowie religiöse und zivilgesellschaftliche Institutionen, die “sehr eng mit Migranten” zusammenarbeiten, sollen bei Formulierung und Evaluierung von Integrationspolitik und -programmen beteiligt werden.
Da sie dann doch nicht völlig der Wirklichkeit entrückt ist, erkennt die Kommission auch, dass “die mächtigsten und eloquentesten Vertreter der Migranten Männer sind, die ein persönliches Interesse daran haben, kulturelle Praktiken beizubehalten, die ihre eigene Macht schützen und die Interessen und Präferenzen der Frauen und Kinder außer Acht lassen.”
Hierbei hat sie insbesondere die Medien im Auge, deren “Freiheit” sie zwar als “großen Wert” bezeichnet, gleichzeitig aber nicht davor zurückscheut, von “Gefahren” zu sprechen, “die der Versuch der Regulierung des öffentlichen Diskurses über die internationale Migration mit sich bringt”. Die Kommission spricht sich beispielsweise dafür aus, über “Vergehen” von Migranten zu berichten, dabei jedoch sicherzustellen, “dass der Ruf von Personen, die aus anderen Ländern stammen, nicht auf Grund ihrer nationalen Herkunft oder ihres rechtlichen Status beschädigt wird.” Sie lobt den “Wert freiwilliger Verhaltensregeln und anderer selbst regulierender Mechanismen für die Medien”.
Ziel dieser Maßnahmen ist es, zu verhindern, dass “populistische Politiker und Interessengruppen”, die versuchen, Fremdenfeindlichkeit zu schüren, Unterstützung aus der Bevölkerung bekommen. Gerade den Medien falle hierbei eine besondere Verantwortung zu, der sie gerecht werden können, indem sie “sich sowohl in der Art ihres Programms als auch in der Zusammensetzung ihrer Belegschaft zur sozialen Vielfalt bekennen”.
Die Kommission geht noch nicht so weit, öffentlich nachlesbar die Einführung von Zensur einzufordern. Doch dass sie es begrüßen würde, dass die Staaten mit hoher Zuwanderung in Medien und Gesellschaft eine Art freiwilliger Selbstzensur und sozialer Kontrolle etablieren könnten – das ist mehr als nur zwischen den Zeilen zu lesen.
Nach dem Teil 1 von Das Migrationskonzept der UN und diesem Teil 2 folgen 3 und 4 morgen.