Schon jetzt sprechen Beobachter mit Blick auf den Urnengang der Hessen an diesem Sonntag von einer Schicksalswahl: Es gibt einige Anzeichen dafür, dass die Wähler nicht nur über ihre künftige Landesregierung entscheiden, sondern auch mitbestimmen, wie lange die Große Koalition in Berlin noch halten wird. Es geht also auch um die Zukunft von Kanzlerin Angela Merkel.
Die Folgen der Bayern-Wahl haben vor allem innerhalb der Union für eine interessante Fraktionierung gesorgt: Es ist eine Absetzbewegung von der Kanzlerin festzustellen – von ihren Gegnern, aber auch von ihren Unterstützern. Aber kann es einen Merkelismus ohne Merkel geben?
Mit ihren Akzenten in der programmatischen Profilierung der Partei konnten sich die Zwei bisher mit der Kanzlerin einig fühlen. Doch die schwenkt, anders als die Merkelianer, mittlerweile eher auf einen mittleren Weg ein. Sie ist sichtlich bemüht, weitere Flügelkämpfe in der Partei zu verhindern. Ob dahinter tatsächlich, wie sie nun beim CDU-Landesparteitag in Thüringen betonte, vor allem die Sorge steht, die Union könne ihren Status als letzte verbliebene Volkspartei verlieren, ist schwer einzuschätzen. Interessant ist jedenfalls, dass es nun sozusagen Merkelianer gibt, die ihre Chefin links überholen. Es gibt unter ihren Getreuen aber auch eine Absetzbewegung. In die andere Richtung.
WerteUnion beim Parteitag
Annegret Kramp-Karrenbauer, immerhin von Merkel in das Amt der CDU-Generalsekretärin geholt, übt in letzter Zeit zum einen deutliche Kritik an der Regierungsarbeit – das war schon beim Deutschlandtag der Jungen Union vor zwei Wochen zu hören, nun aber auch wieder in der Bilanz nach der Bayern-Wahl. Und zum anderen: Kramp-Karrenbauer hebt so die Unabhängigkeit der Partei gegenüber der Koalition hervor. Dafür zu sorgen, dass die Partei nicht zur reinen Erfüllungsgehilfin des Regierungschefs wird, genau darin hatte einer ihrer legendären Vorgänger, Heiner Geißler, eine der wichtigsten Aufgaben des Generalsekretärs gesehen.
Alle diese Aspekte machen folgende drei Szenarien wahrscheinlich:
Szenario 1: Die CDU gewinnt ohne größere Verluste in Hessen. Das würde Merkel stabilisieren. Mit Blick auf die aktuellen Umfragen aber eher unwahrscheinlich.
Szenario 2: Die CDU verliert eindeutig und Merkel kündigt als Konsequenz ihren Rückzug an. Der Vorteil für die Kanzlerin, wenn sie selbst die Initiative ergreift: Sie könnte Einfluss auf den Zeitplan und auch auf die Auswahl der Personen setzen. Eine mögliche Option wäre etwa bereits im Dezember ein Wechsel im Parteivorsitz zu Kramp-Karrenbauer. Der Wechsel im Regierungsamt würde dann wahrscheinlich im kommenden Sommer erfolgen.
Szenario 3: Die CDU verliert, Merkel zeigt aber keine Bereitschaft zu Konsequenzen. Das könnte in der Bundestagsfraktion zu neuen Putschgedanken führen. Dann drohte ein Aufstand. Ein möglicher Übergangskanzler wäre Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Eine Schlüsselfigur wäre hier auch Ralph Brinkhaus: Bisher zeichnete er sich, bei aller Kritik, durch Loyalität aus. Das könnte sich dann ändern.
Dieser Beitrag von Sebastian Sasse erschien zuerst am 25.10.2018 in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur.
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