Tichys Einblick

Der Preis der Wahrheit ist vielen zu teuer

Je höher der Preis der Wahrheit ist, umso weniger Menschen können sie sich leisten. Das Ziel von Propaganda ist es, den Preis der Wahrheit so hoch zu treiben, dass die Masse bereitwillig die Gratislüge bevorzugt.

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Aber, Papa, du hast doch gesagt, dass wir es dürfen! – Leo war wütend! Empört war er, und wie! Ja, er mühte sich sogar Tränchen ab! Ich meine, irgendwo sogar das Wort »Lügner« gebrummt gehört zu haben. Kurz: Es war ein Familienskandal erster Güte!

Was war passiert?

Die Angelegenheit selbst, wie so oft im Leben: einfach, aber mit heftigen Konsequenzen.

Am Morgen, bevor es zur Schule ging, hatte Leo mich gefragt, ob ich nach der Schule mit ihm Fußball spielen würde. Ich hatte es gern zugesagt, es ist ja schön! Letzte Woche bin ich zwar einmal im Nahkampf mit dem Achtjährigen auf den Ball getreten statt gegen den Ball, und so bin ich aufs Steißbein gefallen, woraufhin Leo um mich herumdribbelte, aber vor lauter Lachen dennoch neben das nun leere Tor schoss, und sogar an jenem schmerzhaften Tag hatte mir das Kicken mit Leo großen Spaß gemacht.

An diesem Tag aber, also am Tag, als Leo so ungehalten war, da hatte es gegen Mittag zu regnen begonnen. Der Platz mit dem Kunstbelag war rutschig und nass. Um die Tore schwappten große Pfützen. Gegen Abend nieselte es noch und schwarze Wolken ließen die Dämmerung früher anbrechen. All das zusammen schien mir ein guter Grund zu sein, mein Versprechen zu kassieren, genauer: auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, doch Herr Leo Wegner sah das nicht ein und insistierte: »Versprochen ist versprochen!«

Es ist wohlbekannt, dass Eltern dazulernen, auch und besonders über sich selbst! Ich habe gelernt, extra vorsichtig zu formulieren, was ich verspreche.

Wie schnell versichert man in einem Moment gutwilliger Unachtsamkeit, den Kindern ein Eis zu kaufen, und dann kommt Elli und klärt mich über den Essensplan für den Abend auf, und warum die Kinder jetzt kein extragroßes Eis brauchen, und schon heißt es: »Aber, Papa, du hast es versprochen!« – Ich formuliere heute vorsichtiger als früher. Wenn meine Tochter mich fragt, ob sie sich am Wochenende mit ihren Freundinnen treffen kann, sage ich schon lange nicht mehr »Ja, klar«, sondern: »Hört sich prinzipiell gut an.«

Meine Kinder haben sich inzwischen an umständliche Formulierungen gewöhnt wie: »In der Tendenz prinzipiell ja, außer ich entdecke bis dahin noch etwas, was dagegenspricht.« (Es ist nicht immer einfach, einen Philosophen zum Vater zu haben.)

Es sind nicht nur Aussagen über die Zukunft, die ich heute dank meiner Kinder vorsichtiger formuliere. Selbst wenn man mich über so etwas Triviales wie den Inhalt des Kühlschranks befragt, antworte ich vorsichtig, wie: »Ich meine, dass noch Milch im Kühlschrank ist.« – Man will ja nicht als Lügner dastehen, wenn eben der, der fragt, vergaß, dass er die Milch ausgetrunken hatte.

Meine Kinder haben mich gelehrt, mir auch im Alltag bei jeder Aussage der Grenzen meiner möglichen Gewissheit bewusst zu sein.

Wer untersucht Wahrheit?

Auf den ersten Blick scheint es offensichtlich, was »Wahrheit« ist, doch auf den zweiten Blick ist Wahrheit erstaunlich schwer zu definieren.

Eine verlässliche Meta-Regel: Wenn wir bei einem Begriff schnell »ist doch klar!« ausrufen, doch bei Nachfrage zu seiner Definition schnell ins Stocken geraten, dann ist der Begriff oft ein trefflicher Spielplatz für Philosophen. (Weitere schwierig zu greifende Begriffe sind neben Wahrheit auch Ich, Gut, Böse oder Bewusstsein.)

Wahrheit als Funktion

Zweite verlässliche Regel: Wenn ein Begriff sich angeboren anfühlt (oder so-gut-wie-angeboren, weil er auf grundlegende Teilbegriffe aufbaut), dann sah die Evolution einen konkreten Nutzen darin, uns diesen Begriff von Natur aus verstehen zu lassen.

Beispiel: Ein Stamm, in welchem die Menschen intuitiv verstanden, was gut ist (z.B. Kinder schützen) und was böse (z.B. den Eltern nicht gehorchen), so ein Stamm hat sicherer überlebt als ein Stamm ohne solche einheitlichen Moralregeln.

Mit der Wahrheit wird es ähnlich sein wie mit der Moral (es ist ja nicht nur im Gefühl eng verknüpft): Ein Stamm, dessen Angehörige intuitiv begreifen, was Wahrheit ist (und dass es gut ist, Wahres zu sagen), wird eher überleben als ein verwirrter Stamm ohne Wahrheitskonzept. (Auch deshalb sind die unterm Schlagwort »politische Korrektheit« durchgesetzten Lügen so suizidal: man lügt sich in die eigene Tasche und bringt seine eigenen Leute in Lebensgefahr.)

Wir schätzen die Wahrheit und verstehen intuitiv, was Wahrheit ist, weil sich eine solche Intuition als nützlich erwiesen hat. Doch, nur weil wir intuitiv zu verstehen meinen, was das Wesen einer Sache ist, heißt das noch lange nicht, dass wir die Sache auch in Zweifelsfällen sicher bestimmen können.

Der Philosoph Wittgenstein hat für eine ähnliche Situation einmal das Bild zweier benachbarter Gärten verwendet: Man weiß sicher, wenn man mitten in dem einen Garten steht, und man weiß sicher, wenn man in dem anderen Garten steht, doch an der Grenze, da ist es nicht immer ganz klar: Steht man in dem einen oder in dem anderen Garten? – An der Grenze zwischen Unwahrheit und Wahrheit, da braucht es mehr als eine Ahnung, um sicher zu sein, da braucht es mehr als Alltagsbauchgefühl.

Natürlich ist Wahrheit nützlich; natürlich ist es sehr oft »einfach so klar«, was wahr ist, doch wenn wir darüber nachdenken, haben wir häufig das wohl nicht ganz unberechtigte Gefühl, dass das Wesen von Wahrheit tiefer sein muss als reine Nützlichkeit und Offensichtlichkeit.

Wenn die Wahrheit eines Satzes von mehr als nur seiner Nützlichkeit (bzw. seiner Funktionalität) bestimmt wird, dann muss es etwas geben, das den Satz unabhängig von Nützlichkeit wahr macht – aber was?

Woran erkennen wir, dass ein Satz wahr ist, woran machen wir es fest? Oder, abstrakter gefragt: was ist der Wahrmacher eines Satzes?

Wichtig: Wir dürfen nicht verwechseln, woraus wir im Alltag die wahrscheinliche Wahrheit eines Satzes ableiten mit einer Beschreibung des Wesens der Wahrheit.

Beispiel: Ein Auto erkennen wir z.B. am Brumm-Brumm-Geräusch, aber nicht alles, was Brumm macht, ist ein Auto – und nicht jedes Auto macht Brumm. Wenn man ein kleines Kind ist, dann kann man denken, dass ein Auto etwas ist, das Brumm macht, doch man lernt bald dazu; bei der Wahrheit bleiben wir leider in zu vielen Hinsichten auf dem Stand von Kindern.

Autorität

Wenn ein Mensch, der Autorität ausstrahlt, etwas behauptet (dabei vielleicht ernst in eine öffentlich rechtliche TV-Kamera blickt), dann sind viele Menschen geneigt, ihm automatisch zu glauben – er strahlt für sie »Autorität« aus. (Das ist der eine zentrale Grund, warum die Politik diese absurden Milliarden dem Bürger abpresst und in den Staatsfunk schiebt, warum Sprecher und Moderatoren solche riesigen Geldsummen verdienen: ihr Job ist es, mit Autorität und kluger Miene bei Bedarf selbst die Schafe auf dem Weg ins Schlachthaus zu überzeugen, dass es ihnen noch nie so gut ging wie heute.)

Wir sind damit aufgewachsen, dass Eltern uns mit Autorität »die Wahrheit« verkündeten. Früher gab es Stammesälteste, die mit Autorität eine Wahrheit verkündeten. Es ist wohl teils natürlich und teils anerzogen, Wahrheit und Autorität zu verknüpfen. Welche Wahl hat denn ein Kind, als denen zu glauben, die mit Gravität und Selbstbewusstsein, sprich: Autorität, auftreten?

In einer ehrlichen, wohlmeinenden Welt ist es durchaus nützlich, Autoritäten zu glauben! Wenn ein Biologe etwas über Pflanzen sagt, dann ist es mit höherer Wahrscheinlichkeit wahr, als wenn ich Ihnen meine Vermutungen über das Wesen der Pflanzen mitteile. Wer sich mit einem Thema beschäftigt, der tritt mit Autorität auf und wir neigen dazu, seinen Aussagen auch Wahrheit zuzuschreiben. Wir lernen: wenn ein Experte etwas sagt, dann ist es wahrscheinlich wahr.

Doch, die sogenannten Experten im Staatsfunk lehren uns als mahnendes Gegenbeispiel, dass die implizite Verbindung von autoritativ auftretenden Experten mit der Wahrheit auf geradezu komische Weise falsch sein kann.

Ja, traditionell lassen sich wahre Aussagen oft daran erkennen, dass ein Experte sie mit Autorität ausspricht, doch es ist offensichtlich nicht Autorität, die einen Satz wahr macht; Autorität ist kein Wahrmacher – was aber dann?

Kohärenz

Jeder von uns hat ein Netzwerk von Annahmen im Kopf, und wir gehen davon aus, dass die meisten von ihnen wahr sind; wenn eine neue Behauptung auftaucht, prüfen wir ihre Wahrheit oft anhand der Frage, ob die neue Aussage in das alte Aussagennetzwerk hineinpasst, ob sie kohärent ist mit den übrigen Aussagen, die wir bereits als wahr anerkannt haben – dies gilt im Privaten wie im Beruf, in der Religion wie in der Politik.

Wenn mein Kind sich jeden Tag brav die Zähne putzt, und es mir heute sagt, dass es sich die Zähne geputzt hat, dann glaube ich ihm. Wenn mein Sohn mir sagt, dass es unser Hund war, der die Kekse aufgefressen hat, werde ich misstrauisch ob der Wahrheit dieser Aussage, da sie nicht in das mir bekannte Netzwerk von Wahrheiten passt, beginnend damit, dass wir keinen Hund haben.

So brüchig wie uns eine Kohärenztheorie der Wahrheit erscheint, so selbstverständlich setzen wir sie oft ein: Trump-Hasser werden alles Negative glauben, was sie über Trump hören, denn es passt in das Netzwerk ihrer bislang geglaubten Wahrheiten. Im Mittelalter glaubten Menschen alle möglichen abergläubischen Thesen über die Welt, denn sie passten in das Netzwerk ihres übrigen Aberglaubens. Und so fort.

Dass eine Aussage zu anderen Aussagen, die als Wahrheit anerkannt sind, passt, ist in der Praxis ein guter Hinweis darauf, dass sie wahr sein könnte (wie das Brumm Brumm des Autos), doch sie definiert noch nicht, was Wahrheit ist (beschreibt nicht das Auto selbst) – was aber dann?

Korrespondenz

Die wohl anerkannteste Theorie der Wahrheit nennt sich Korrespondenztheorie. Es ist ein kompliziertes Wort, doch das Konzept ist einfach: Eine Aussage ist wahr, wenn sie mit der Realität korrespondiert.

Sie mögen nun sagen: »Das ist doch klar! Natürlich ist eine Aussage wahr, wenn sie mit der Realität übereinstimmt!«

Ich würde Ihnen zustimmen (wie die meisten Philosophen heute) und doch würde ich hämisch antworten: »Ha, hereingefallen!«

Vergessen wir nicht: Wenn Ihnen in der Philosophie eine Antwort als klar und einleuchtend erscheint, bedeutet das immer nur, dass Sie nicht gründlich genug über die Frage nachgedacht haben.

Stellen wir eine Anschlussfrage: Woher wissen Sie denn, dass eine Aussage mit der Realität übereinstimmt? Wenn Sie sagen, dass ein Satz mit der Realität korrespondiert, dann haben Sie eine weitere Aussage getroffen, und wie überprüfen Sie diese? Sie sagen, dass der Satz A mit der Realität übereinstimmt, damit also wahr ist, wie überprüfen Sie aber, ob wiederum der Satz B, nämlich »Satz A stimmt mit der Realität überein«, wahr ist?

Die Annahme einer Wahrheit sollte in der Praxis gerechtfertigt werden können, doch wie rechtfertigt man die Korrespondenz ohne eine neutrale externe Prüfstelle, und wie sollte so eine Prüfstelle aussehen? Und dann: Was ist eine Wahrheitstheorie wert, die nie jemand endgültig überprüfen kann (anders als etwas eine Kohärenztheorie)?

Wahrheit als akademisches Fach

Habe ich Sie genug verwirrt? Es war nur die Hälfte meiner Absicht. Die andere Absicht war, ein wenig die Haarigkeit des Problems fühlbar zu machen. Elli und ich hatten die große Ehre, bei einem Experten für Wahrheitstheorien zu studieren. Mir ist sehr wohl bewusst, wie tastend alle Suche nach Wahrheit sein muss. Auch und besonders beim Versuch die Wahrheit zu greifen gilt die Neurathsche Mahnung, wonach wir wie Schiffer sind, die das Schiff auf offener See umzubauen gedenken.

Wenn man Dinge unter das Mikroskop hält, merkt man stets, dass sie aus ungezählten anderen Dingen besteht; das gilt für Materialien wie für Begriffe. Es gibt Menschen, die sich jahrelang mit der Frage beschäftigen, wie man Wahrheit definieren könnte, und die sind zugleich sehr vorsichtig und sehr präzise darin, zu bestimmen, was und wo Wahrheit ist. Auf der anderen Seite gibt es heute Personen und ganze Firmen (stets mit guten Beziehungen zur Macht), die vom Staat (bzw. vom Staatsfunk) beauftragt werden, »Fakten zu checken« und so festzulegen, was »die Wahrheit« ist. Diese beiden Gruppen haben keine Schnittstellen und wenig Gemeinsamkeiten.

Wenn Sie zu einem Quacksalber gehen, wird er ihnen die garantierte Heilung versprechen; wenn Sie zu einem seriösen Arzt gehen, wird sein Versprechen meist weit vorsichtiger sein. Dass quasi-offizielle Faktenchecker und gelegentlich ordenbehangene Journalisten dem Volk verkünden sollen, was die Wahrheit ist, das ist wie wenn die Ärztekammer einen bekifften Voodoo-Priester zu ihrem obersten Arzt erklären würde.

Wert der Wahrheit

An der Oberfläche betrachtet wären staatliche und machtnahe Wahrheitskommissionen nur eine Kuriosität, wenig mehr als ein dissonanter Widerhall schlechter Zeiten und gefährlicher Orte, doch unter der Oberfläche lauert das immerselbe Böse.

Die Philosophie lehrt uns, dass selbst wenn es eine absolute Wahrheit geben sollte (also etwa einen Satz, der zweifellos mit der Realität übereinstimmt), wir bislang keine sichere Art haben, dies zu diagnostizieren. Diese Unsicherheit macht sich die Propaganda zunutze: man redet dem Bürger das Erlebte aus und impft ihm eine den Bürokraten und Machthabern genehmere Wahrheit ein.

Doch: Dass »die Wahrheit« nicht letztendlich feststellbar ist, bedeutet nicht, dass eine Aussage nicht näher an der Wahrheit sein könnte als eine andere. Wenn der Staat mit aller Autorität und über alle Kanäle verkündet, dass die Sonne sich um die Erde dreht, und nur ein Einzelner das bezweifelt, dann ist dieser dennoch näher an der Wahrheit als das gesamte Wahrheitssystem, egal wie viele Journalistenpreise die Propagandisten gewannen.

Seit nun schon Jahren schreiben mir Menschen in privaten Mails, dass sie Angst haben, in ihrem Umfeld über das zu sprechen, was sie sehen, was sie erleben, was sie denken und was sie fühlen. Man würde denken, dass mit leider täglich sichtbarem Scheitern gutmenschlichen Wahns, mit Gewalt gegen Polizei und der offenen Verhöhnung des Rechtsstaats durch Familienclans, mit regelmäßiger Gewalt und Straftaten durch Herren, die längst hätten abgeschoben werden sollen, mit all den Toten, die wir beerdigt haben und noch beerdigen werden, dass mit all diesem offenkundigen Wahnsinn es endlich auch dem sogenannten »kleinen Mann« möglich sein sollte, überall in Deutschland, zu sagen was er denkt und fühlt, doch dem ist keinesfalls so – im Gegenteil.

Die »Wahrheitssysteme« reagieren auf die tägliche Widerlegung der offiziellen Wahrheit nicht durch Einsicht, nein, sie drehen vielmehr die Lautstärke hoch und brüllen ihre offizielle, realitätsverachtende Wahrheitsversion eben noch lauter und noch schamloser in die Wohn-, Kinder- und Klassenzimmer.

Propagandisten betreiben das Gegenteil dessen, was ich im Umgang mit meinen Kindern gelernt habe: Ich berichte Wahrheit immer aus meiner Perspektive und bin mir der Einschränkung meiner Erkenntnismöglichkeiten bewusst (also jederzeit bereit, sie aufgrund neuer Faktenlage zu revidieren); ich suche nach gutem Grund für meine Annahmen, etwa im eigenen Sehen, im eigenen Erleben und im logischen Schließen, und ich bin mir doch der Beschränkungen all dieser Wege bewusst – wie aller übrigen Wege auch. Staatsnahe Wahrheitssysteme üben psychologischen Druck auf den Einzelnen aus, seine unmittelbare Wahrnehmung und seinen Verstand zurückzustellen, wenn die Macht sagt, dass eine andere Wahrheit zu gelten habe.

Menschen haben heute Wahrheitsangst: Es gibt eine offizielle Wahrheit, und die erlebte Wahrheit ist im Zweifelsfall »böse« und »gefährlich«. Wahrheitsangst ist die Angst, zu sagen, was man sieht und was sich einem logisch erschließt, weil es der von der Propaganda verbreiteten Wahrheit widerspricht.

Ich höre von Lesern im Privaten immer wieder: »Die Wahrheit zu sagen ist heute zu gefährlich, das ist es einfach nicht wert.«

Wenn die Lüge gratis ist, dann hat die Wahrheit einen Preis. Je höher der Preis der Wahrheit ist, umso weniger Menschen können sie sich leisten. Das Ziel von Propaganda und Staatsfunk ist es, den Preis der Wahrheit so hoch zu treiben, dass die Masse bereitwillig die Gratislüge bevorzugt. Was bringt es, den Job zu riskieren und eine selbst erlebte Wahrheit zu äußern, wenn diejenigen, die der offiziellen Wahrheit gehorchen, als »wir sind mehr«-grölender Mob durch die Straßen ziehen?

Üben, üben, üben

»Nix es ömesöns«, sagt man in Köln – nichts ist umsonst. Die alternative Wahrheit des Staatsfunks ist gleich doppelt nicht umsonst: erstens ist der Bürger gezwungen, seine eigene Verdummung zu bezahlen, zweitens ist der Preis für die unwahren Wahrheit schon jetzt hoch, und er wird noch höher werden.

Es ist wichtig, den täglichen Bullshit zu widerlegen, wie viele freie Denker es täglich tun; wir dürfen allerdings nicht vergessen, dass unsere Mittel begrenzt sind und die Propaganda jederzeit den Druck auf den Bullshit-Rohren verdoppeln kann, und was dann?

Es ist wichtig, doch es genügt nicht, diesen oder jenen Bullshit abzuwehren, diese oder jene Pseudo-Wahrheit als solche zu entlarven – morgen wird neuer Bullshit durch die TV-Rohre in die Wohnzimmer gepumpt – und damit in unsere Köpfe. Es ist wichtig, dass wir uns täglich im präzisen Denken üben, im Erkennen und Zerlegen offizieller Wahrheit, in der Be- und Auswertung aller Nachrichten und »Einordnungen«. (Mein Buch Relevante Strukturen ist auch eine Übung im präziseren Denken über ethische Wahrheiten.)

Dass die Definition von Wahrheit nicht endgültig geklärt ist, sollte uns keinesfalls demotivieren und aufgeben lassen, im Gegenteil! Eine bessere und besser begründete Wahrheit ist eben das: besser – besser als der Bullshit aus dem Fernsehen allemal.

Ich spreche auch zu mir selbst, wenn ich sage: Habe den Mut, die offizielle Wahrheit zu hinterfragen! Prüfe, was wahr ist, und glaube nichts, nur weil eine Autorität es dir gesagt hat. Lerne, zu zweifeln. Lerne, eine bessere Wahrheit zu suchen. Wenn du aber selbst eine Wahrheit verkündest, füge stets »soweit ich das jetzt beurteilen kann« hinzu – sonst machst du den kleinen Leo traurig, und das willst du doch nicht, oder?


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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