Stimmt es, dass Deutschland der große Gewinner des Euro ist? Die Antwort der Politik ist immer positiv. Schließlich würden wir entsprechend mehr in die Eurozone exportieren und hätten damit einen erheblichen wirtschaftlichen Gewinn. In Wahrheit ist es nicht so einfach.
Zunächst ist der Euro ein Subventionsprogramm für die exportorientierte Industrie in Deutschland. Es profitieren vor allem die Aktionäre und (weniger) die Mitarbeiter dieser Branchen. Demgegenüber gibt es erhebliche Wohlstandsverluste für andere. Der »Mann auf der Straße« gehört nicht zu den Gewinnern des Euro. Wo immer man genauer hinblickt, muss man erkennen, dass der Euro zu einer Verringerung des deutschen Wohlstandes und der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit geführt hat, nicht zu einer Verbesserung.
Erstens: Zu Zeiten der Mark stand die deutsche Wirtschaft unter konstantem Aufwertungsdruck. Die Währungen der Haupthandelspartner, der französische Franc, die italienische Lira, aber auch der US-Dollar, werteten in schöner Regelmäßigkeit gegenüber der Mark ab. In der Folge war die deutsche Wirtschaft zu anhaltenden Produktivitätszuwächsen gezwungen. So wuchs die Produktivität in den Jahren vor der Euroeinführung deutlich schneller als in der Zeit danach. Seit dem Jahr 2000 liegt die Entwicklung der Produktivität hinter den Fortschritten in den meisten Industrieländern, inklusive der heutigen europäischen Krisenländer wie beispielsweise Spanien. Der schwache Euro und das wegen der Rettungspolitik der EZB tiefe Zinsniveau haben den Wettbewerbsdruck für die deutsche Wirtschaft signifikant gesenkt. In der Folge wurde weniger investiert, die Qualität der Arbeitskräfte hat sich verschlechtert, es gab weniger technischen Fortschritt und zusätzlich sind wir besonders in den weniger produktiven Bereichen gewachsen. Schleichend erodiert so unsere Wettbewerbsfähigkeit, was mittelfristig zu einem Rückgang des Wachstums in Deutschland führen wird.
Zweitens: So wuchs das BIP pro Kopf – der entscheidende Indikator für die Entwicklung des Wohlstands – ebenfalls langsamer als vor der Einführung des Euro. Lief die Entwicklung bis zum Jahr 2000 noch halbwegs parallel zur Schweiz – wenn auch auf tieferem Niveau – so ist Deutschland in den letzten Jahren deutlich zurückgefallen. Wir haben uns mehr darauf konzentriert, billiger zu produzieren – statt besser. Dies wird nachhaltig die Entwicklung der deutschen Wirtschaft belasten.
Drittens: Die deutschen Konsumenten haben bis zur Einführung des Euro von den Abwertungen der anderen Länder profitiert. Importierte Waren und Urlaube wurden billiger. Seit dem Jahr 2000 hat sich dies geändert. Die Importe wurden teurer und gleiches gilt für den Urlaub. Um weiterhin billig Urlaub machen zu können, musste man außerhalb des Euroraums reisen, Türkei statt Griechenland oder Italien war das Motto. Damit sank die Kaufkraft des Durchschnittsdeutschen.
Fünftens: Um die Wirtschaft wieder auf Trab zu bringen, setzte Deutschland auf die Wiedergewinnung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit über Kostensenkung statt Produktivitätsverbesserung. Die stagnierenden Löhne führten zu geringeren Steuereinnahmen, während die Exporte zulegten. Somit hat der Euro es Deutschland nicht erlaubt, Handelsüberschüsse zu erzielen, sondern es erzwungen. Die geringe Binnennachfrage ist der Hauptgrund dafür, dass sich die Wirtschaft auf den Export konzentrierte.
Sechstens: Die deutschen Unternehmen haben von der Lohnzurückhaltung und dem schuldenfinanzierten Boom in den anderen europäischen Ländern profitiert. Die Exporte boomten. Dabei ist es wichtig, zwei Aspekte dieser Entwicklung zu beleuchten: a) der Schulden- und Konsumboom in den heutigen Krisenländern führte zu einer Übernachfrage nach Gütern und Kapital, die die Länder selber nicht befriedigen konnten, und b) diese Güter und ihre Finanzierung hätten theoretisch von überall auf der Welt herkommen können. Dank der durch Kostensenkung gestiegenen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen konnten diese davon überproportional profitieren. So ist festzuhalten, dass die Eigentümer der exportorientierten Unternehmen am meisten von der Euroeinführung profitierten. Bei den börsennotierten Unternehmen sind es übrigens zu einem überwiegenden Teil ausländische Investoren, angesichts der Abneigung der Deutschen gegenüber dem Aktienmarkt. Die andere Gruppe der Profiteure sind die Beschäftigten der Exportunternehmen, die zwar stagnierende Löhne hatten, dafür aber einen Arbeitsplatz. Dabei muss man im Hinterkopf haben, dass zugleich auf den Binnenmarkt ausgerichtete Arbeitsplätze verloren gingen und das Lohnniveau insgesamt stagnierte.
Siebtens: Aufgrund der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung nach Einführung des Euro, der gedämpften Steuereinnahmen und anhaltend hohen Kosten für Sozialleistungen sowie den Aufbau Ost ging die Politik dazu über, die Ausgaben für Investitionen zu kürzen. Dies führte zu einer weiteren Senkung der Binnennachfrage in Deutschland.
Für den Durchschnittsdeutschen stellt sich die Situation so dar: Die Einführung des Euro führte zu einer langen Phase geringen Wachstums, hoher Arbeitslosigkeit und Lohnstagnation. Die Tage der billigen Urlaube in Italien und Griechenland waren vorbei. Der Staat hatte Ausgaben für Sozialleistungen und – viel schlimmer – für Infrastruktur und andere Investitionen gekürzt. Die Wirtschaft musste sich auf den Export konzentrieren, weil die Binnennachfrage gedrückt war. Vor diesem Hintergrund ist die Aussage, dass wir Deutschen die Hauptnutznießer des Euro sind, schwer haltbar.
Ohne den Euro hätte es die Schuldenparty im Süden nicht gegeben, aber auch nicht die großen deutschen Exportüberschüsse. Dafür einen höheren Lebensstandard und bessere Infrastruktur in Deutschland. Zugleich sind unsere Exportüberschüsse vor allem der Schwäche des Euro und der fehlenden Möglichkeit zur Abwertung in den anderen Ländern des Euroraumes geschuldet. Beides funktioniert auf Dauer nicht. Kommt es zur unvermeidlichen Neuordnung des Euroraumes und dem Austritt einzelner Länder – wahrscheinlichster Kandidat ist meines Erachtens Italien –, droht eine heftige Krise bei uns.
Auszug aus: Daniel Stelter, Das Märchen vom reichen Land. Wie uns die Politik ruiniert. FinanzBuch Verlag, 256 Seiten, 22,99 €.
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