Tichys Einblick
Gezählt, gewogen, geteilt

Wer ist schuld?

Seehofers CSU hat besser und früher als CDU und SPD erkannt, dass sich die neue soziale Frage im Bereich von Identität und Migration stellt. Das ist die Großdebatte der Zeit.

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Wer ist schuld? Aus Berlin und von den Getreuen der Kanzlerin in der deutschen Fläche tönt es Seehofer!, Söder!, CSU!, aus Bayern schallt es Merkel!, CDU! zurück. Die Niederlage der CSU hat indes mehrere Väter, aber auch eine Mutter. Klar ist: Die CSU hat in dieser Wahl arg Federn lassen müssen, mochte aufgrund der Mobilisierung der Nichtwähler in letzter Minute auch das äußerste Desaster ausgeblieben sein und mit der sich abzeichnenden Koalition mit den Freien Wählern eine stabile bürgerlich-konservative Regierung unter CSU-Führung gewährleistet bleiben. Mit einem blauen Auge davongekommen, denken viele in der CSU erleichtert.

In maximaler Entfernung zum Wähler
Angela Merkels Nicht-Schlüsse aus der Bayernwahl
Dennoch ist der Verlust der absoluten Mehrheit und der wohl dauerhafte Schaden für den Mythos CSU natürlich zunächst ihre Verantwortung. Sicher, Bayerns Demografie hat sich verändert. Volksparteien sind eine unwahrscheinliche Erscheinung geworden. Insofern schwimmt die CSU ohnehin gegen den Strom. Doch Stil und Ton der unionsinternen „Flüchtlingsdebatte”, Seehofers Rücktritt vom Rücktritt, Söders offensichtliche taktische Beweglichkeit während des Wahlkampfs: All das hat natürlich geschadet. Aber: Dass der CDU in Hessen ebenfalls ein Debakel droht, zeigt, dass das Problem tiefer reicht und nun wahrlich nicht Seehofer und der CSU allein angelastet werden kann.

Angela Merkels Union ist im Herbst ihrer Kanzlerschaft schlicht erschöpft. Frau Merkels vor Jahren getroffene, lange erfolgreiche Entscheidung, der demokratischen Rechten in der Union kein selbstverständliches Hausrecht mehr einzuräumen, hat die CSU strategisch in die Ecke getrieben. Die Christsozialen, die für die Union den Raum bis an den rechten Rand beanspruchten, fanden sich spätestens mit der „Flüchtlingskrise” in der denkbar ungünstigsten Situation wieder. Die Kanzlerin ließ sie immer und immer wieder kühl abtropfen. Bei einem Thema wie Migration und Integration, das die eigene, von liberal bis konservativ reichende Wählerschaft polarisiert, wählte die CSU mit Blick auf die AfD daher den scharfen Ton, ohne in der Sache wirklich liefern zu können. Die AfD hält, was die CSU verspricht, konnte die AfD in Bayern denn auch feixend plakatieren. Liberale, auch christliche CSU-Wähler liefen zu den Grünen über – die ärgste Demütigung für die CSU –, zu den Freien Wählern – CSU minus staatstragende Arroganz –, oder eben zur AfD.

Ade Genossen
SPD. Der Untergang. Die letzten Kapitel.
Seehofers CSU hat dabei besser und früher als CDU und SPD erkannt, dass sich die neue soziale Frage im Bereich von Identität und Migration stellt. Das ist die Großdebatte der Zeit. Damit ist nicht gesagt, dass jeder unmittelbar mit Blick auf diese Frage seine Wahlentscheidung trifft. Andere Sachfragen oder grundsätzlichere Loyalitäten können sich vor diese schieben. Aber entscheidende Wählerbewegungen verlaufen auf dieser Linie. Die Grünen sind dabei auf dem Weg zur neuen Volkspartei. Ihre Mischung aus kosmopolitischem Humanitarismus und Öko-Lifestyle spricht ein hinreichend großes Wählerpotenzial an. Doch sind die Bäume für das linke Lager in Bayern nicht in den Himmel gewachsen. Das von weiten Teilen der Medien gewünschte schwarz-grüne Bündnis hat keinen Wählerauftrag erhalten. Es gab im Wesentlichen Wählerbewegungen innerhalb der Lager. In Bayern bleiben bürgerlich-konservative Mehrheiten möglich. Ob das im Adenauerhaus nicht zu denken geben sollte?

Dieser Beitrag von Oliver Maksan, Chefredakteurs der „Tagespost“, erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur.

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