Tichys Einblick
Klimawechsel

Zensur? Oder Schere nur mit Bravour? Wie würden SIE entscheiden?

Im April stand TE-Autor Ludger K. als Kabarettist vor der Kamera – nun wurde die Hälfte seines Auftritts im NDR-Fernsehen ausgestrahlt, die andere Hälfte fiel unters Messer. Viele fragten ihn: „War das Zensur?“ Ludgers Antwort gewährt einen tiefen und sehr persönlichen Einblick ins Fernsehgeschäft. Und am Schluss gibt’s ein Video!

„Ich muss ins Fernsehen – um jeden Preis!“ Das sagen viele Jungendliche heutzutage, egal welche Darbietungsform es ihnen angetan hat. Auch ich war mal so! Ich wollte unbedingt „rein“, als ich vor 20 Jahren mein Studium dahin plätschern ließ, ich läutete an der Vorder- und an der Hintertür – und wurde auf beiden Seiten durchgelassen. Als freier Mitarbeiter des WDR-Fernsehens lernte ich viel über schmissiges Texten, Kameraführung, Minutenschritte, gutes Sprechen, gute Regie, die Arbeit am Schneideplatz, kurzum: über alles, was Berichterstattung im Fernsehen ausmacht; als Comedian verschlug es mich zur selben Zeit in jede Spelunke in NRW, die ein Mikrofon bereit hielt, und genau dorthin kamen dann auch (logisch) irgendwann die Kameras „meines“ WDR. Plötzlich stand ich auf beiden Seiten der Objektive, was zuweilen putzig wurde: Einmal sollte ich über eine Comedy-Veranstaltung am Düsseldorfer Medienhafen berichten, bei der ich selbst einer der Teilnehmer war.

Mit den Jahren änderte sich das Klima in den Redaktionsstuben, die Anforderungen wuchsen, Themen wiederholten sich, mein Überschwang ließ nach, ich machte mich rar. Aber: Mein tiefes Insiderdasein über eine so lange Zeit hat mich zu einem steten Verteidiger des Fernsehjournalismus werden lassen, wenn (aus verständlichen Anlässen) die Welle der Vorwürfe gegen unsere „Lügenpresse“ alles und alle mitzureissen droht. In meiner Zeit als „Freier“ (das Wort klingt für Nicht-Fernsehleute immer schlüpfrig ob seiner Doppeldeutigkeit, ich weiß) habe ich nicht einen einzigen Stinkstiefel auf den Fluren der WDR-Funkhäuser kennengelernt! Und erst Recht hat den Redakteuren niemals jemand „von außen/oben“ reingeredet, meine Kollegen und Vorgesetzten waren wirklich allesamt in Ordnung! Ich maße mir an, das mit relevanter Aussagekraft so sagen zu können, denn ich saß in unzähligen Funktionen in unzähligen Redaktionen. Einmal fragte meine Mutter: „Ist der Plasberg ein guter Chef?“ Meine Antwort gilt bis heute: „Er ist ein harter Hund, Mama, aber ein Vollblutjournalist, von dem ich viel lerne.“ Mutter legte nach: „Junge, wäre die Anne Will nicht eine Frau für dich?“ – „Mama, ich hab’s immer wieder probiert, doch irgendwie erwidert sie meine Blicke nicht, keine Ahnung warum…“

In meiner Parallel-Welt als Comedian hatte ich meine erste TV-Aufzeichnung so um die Jahrtausendwende rum in der Kleinen Revue des Friedrichstadtpalastes an der Seite von Ingolf Lück, Eckart von Hirschhausen und Kurt Krömer. Was für Namen! Der Sat1-Pilot ging nie über den Sender. Zum Glück für mich, denn ich hatte auf ganzer Linie versagt und zahlte fettes Lehrgeld. Ein Auftritt fürs Fernsehen in Berlin mag erstmal genau so daherkommen wie ein „normaler“ Auftritt vor Live-Publikum in Oberhausen, doch die Regeln sind gänzlich andere. Hirschhausen, Krömer und Lück wussten das und rissen das Publikum mit ihren perfekt getakteten Texten zu wahren Begeisterungsorkanen hin. Erst war ich neidisch auf sie, dann wütend auf mich selbst – dann beschäftigte ich mich nur noch mit der Frage, warum die alle so gut waren bei der Aufzeichnung und ich so schlecht. Mein „An-die-Wand-gespielt-worden-sein“ damals in Berlin hat mich letztlich zu einem erheblich besseren Comedian gemacht. Das nützte mir leider bei meinen spärlichen TV-Auftritten der Zukunft nur bedingt, denn das Gegeißelt-Werden von Formatvorgaben hielt sich hartnäckig in mir als großes Unbehagen.

Ich war überrascht, als mich zu Beginn dieses Jahres eine interessante Einladung erreichte vonseiten der Öffentlich-Rechtlichen, zumal ich noch immer ein fieses Erlebnis beim Saarländischen Rundfunk zu verknusen hatte (2015 war das, ich erzähl’ Ihnen ein andermal davon). Offenbar war es der persönliche Wunsch meines Langzeit-Kumpanen Wolfgang Trepper gewesen, mich in seiner neuen Show im NDR-Fernsehen als Gast dabei zu haben auf der Reeperbahn. Hat der denn nicht mitbekommen, wie „böse“ ich inzwischen bin? Also: Dass ich für Tichys Einblick schreibe und mich nicht am breiten Sachsen-Bashing in Deutschland beteilige? Egal, die wollen mich im NDR? Dann komme ich natürlich. Gern sogar! Der Name des Formats ließ mich aufhorchen: „Trepper und Feinde“ – das klingt nach Krawall, nach Ironie, es klingt gut! Man bat mich, meinen geplanten Auftrittstext in einem Skript vorab einzureichen. Ich tat es. Dann klingelte mein Telefon mit Vorwahl 040 im Display:

„Du Ludger, sag mal, also … willst du das wirklich so spielen?“ Mir war der zuständige Redakteur des NDR persönlich bekannt, sowohl als Comedian hatte ich bereits mit ihm gearbeitet, wie auch als Freier beim WDR, ein guter Mann! Mein Skript war offensiv, keine Frage, aber letztlich kam mir alles im Kontext echt harmlos vor, hart, aber herzlich. Was stand drin? Ich konnte nicht anders: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen allgemein und der aufzeichnende NDR im Speziellen bekamen von mir die ein oder andere verbale „Streicheleinheit“, meine unschöne Erfahrung beim Saarländischen Rundfunk brachte ich mit einem kleinen Gag unter, ich machte was über Putin (nicht GEGEN IHN, sondern gegen den Strich), und ich erlaubte mir, den dämlichen ZDF-Terrorexperten Elmar Theveßen textlich auf Kabarettmaß runter zu köpfen. Ich machte also einfach meinen Job! Jawohl, ein bisschen mit Kalkül, denn „die werden nachher ja wohl nicht JEDES systemkritische Wörtchen rausschneiden können“. Dachte ich …

Noch im Saal des Theaters „Schmidtchen“ (kurz bevor dort die Kameras auf rot sprangen) rieten mir Moderator Wolfgang Trepper und unser NDR-Redakteur dringend von meinem Putin-Gag ab und ebenso von anderen Stellen im Skript: „Ludger, mach doch besser dies oder das“ – Wolfgang Trepper hatte ein paar Gags in seinem Gedächtnis gefunden, die er von früher aus gemeinsamen Tagen in Duisburg kannte (als ich noch ein braver Junge war). Nix da, das spiele ich ja alles nicht mehr! Die Sachen im Skript, das bin ich heute!

Satte 15 Minuten durften alle Gäste ran, also ungewöhnlich lang, drum war klar, dass einiges rausgeschnitten werden könnte. Dies ist gängige Fernseh-Praxis und hat vom Grundsatz her erstmal nichts mit Zensur zu tun, da darf man als Betroffener kein Pingel sein. Ein bisschen muss ich den Bedenkenträgern im Nachhinein sogar Recht geben, das Format „Trepper und Feinde“ war nämlich (abgesehen vom bewusst rüpelhaften Gebaren des Gastgebers) keineswegs so krawallig wie ich dachte, sondern eher als Familienshow aufgezogen mit Geburtstagscharakter – darin war mein Text hier und da spürbar ein Fremdkörper. „Wir sind hier nicht Extra3“, sagte der Redakteur. Ja, ich sehe das ein! Aber: Die Pointen zündeten zumeist wie gewünscht. Ich war nicht unzufrieden, nahm tags drauf den ersten Zug heimwärts – und wartete.

Zwei Wochen später erreichte mich wie aus heiterer Hölle das liebreizende Schreiben eines liebreizenden Anwalts. Nehmen Sie’s mir nicht krumm, liebe Einblicker, dass ich Details zurück halte und hier nur die Quintessenz preisgebe: Man verlangte von mir das unverzügliche Unterzeichnen einer Unterlassungserklärung, setzte eine absurd kurze Frist dafür und rief für den Fall meiner Zuwiderhandlung einen noch absurderen Streitwert in fetter fünfstelliger Euro-Höhe auf. Paff! Im Subtext durfte ich lesen, man habe „Tichys Einblick“ die gleiche Drohlektüre zukommen lassen und verlange vom Chef dasselbe, kein Witz. Vielleicht wusste die Kanzlei nicht, dass Roland Tichy und ich lediglich in einem lockeren Arbeitsverhältnis stehen und weder füreinander haftende Geschäftspartner sind noch eine schadenersatzrelevante Homo-Ehe führen.

Aufgeregt suchte ich nach der Quelle dieser hirnverbrannten Aktion, mein NDR-Auftritt in Hamburg war nämlich nicht direkt als solche erkennbar gewesen – ein Telefonat mit einem Kollegen brachte mir das Aha: Im Publikum auf der Reeperbahn war offenbar ein einflussreicher Mann zugegen gewesen, dessen Namen ich zuvor nie gehört hatte. Nein, ich hatte ihn dort nicht persönlich getroffen, wohl aber erfuhr ich nun am Telefon, dass dieser Heini szenenintern grad eifrig über mich herzieht und für meine 15 Minuten Ruhm auf der Reeperbahn eine interessante Bezeichnung die Runde machen lässt. Er spricht allen Ernstes von (Achtung) einem „Nazi-Auftritt“. So steckte es mir mein Kollege am Telefon. „Ey, hat er das echt so gesagt?“ – „Ja Ludger, hat er. Ich habe ihn gefragt, wie er denn darauf käme. Da meinte er, du hättest eigentlich gar nichts Schlimmes gemacht auf der Bühne, aber er fühle das einfach. Sagt er.“ Besten Dank für die nette Info! Ein (mir bis heute noch immer völlig fremder) Mensch mag meinen Humor nicht, „fühlt“ irgendwas, zieht meinen Namen in den Vogelschiss und bringt eine Klage gegen mich ins Rollen. Ich war erschüttert. Wo sind wir nur hingekommen?

Die Sache war letztlich ein Rohrkrepierer, niemand hat denen was unterzeichnet, doch das war vermutlich auch gar nicht das Ziel. Das Ziel war offenbar: Aufschrecken und in Angst versetzen. Und das klappte auch. Nervös geworden mailte ich dem Redakteur des NDR und bot ihm aus alter ARD-Verbundenheit an, auf eigene Kosten nach Hamburg zu kommen und mit ihm gemeinsam am Schneidetisch meinen Auftritt mit ein bisschen Abstand mal unter die Lupe zu nehmen. Ich wollte sehen, ob ich wirklich ein … na ja, ob ich eventuell in den Objektiven des NDR etwas zu „preußisch“ rüberkam. Nochmal: Kürzen ist nicht zwangsläufig Zensur! Ich gab mich aufrichtig aufgeschlossen und war lediglich an einer geschmeidigen Version interessiert ohne Gesichtsverlust. Zu spät. „Tut mir leid, Ludger, das Ding ist bereits fertig geschnitten und wird am 29. September 2018 so gesendet.“ Also wieder: warten.

Wer sich von einem einsamen nächtlichen Kurzauftritt im Dritten einen nachhaltigen Effekt verspricht, dem fehlt die Erfahrung. Meist ist die Resonanz tendenziell gleich null – und auch mir schrieben nach der kürzlichen NDR-Ausstrahlung gerade mal eine Handvoll „normaler“ Zuschauer eine Mail. Wohl aber meldeten sich ungewöhnlich viele Kollegen, Freunde und Begleiter zu Wort, die meinen Auftritt gesehen hatten, und ihr Tenor war einhellig: „Die haben dich zensiert! Du wurdest verarscht!“ – „Nein, nein“, sagte ich, „Kürzen ist nicht Zensur. Vielleicht lief das einfach unglücklich.“ Ich dachte vergleichend an Martin Rütter, den RTL-„Hundeflüsterer“, dessen kritisches Live-Statement in der Sendung „Versteckte Kamera“ neulich vom ZDF vor der Ausstrahlung gekappt wurde – sein Ausrasten bei facebook war als Reaktion verständlich, aber war es auch berechtigt? Ich wollte nicht ausrasten. Doch die Stimmen verstummten nicht, immer wieder sprachen Leute mich an: „Wir kennen die Stelle in deinem Programm genau, das war Zensur! Ludger, du kannst die Typen da doch nicht ernsthaft noch immer verteidigen!“

An dieser Stelle wird hoffentlich klar, warum ich diesem Essay eine kleine Einleitung vorangestellt habe mit Verweis auf meine Solidarität, die ich werdegangbedingt den Mitarbeitern im ARD-Verbund noch immer entgegenbringe, auch wenn ich selbst „betroffen“ bin. Jawohl, mein Auftritt wurde fürs Fernsehen ganz schön zerfleddert, wirkt nun ungereimt aneinander gepappt und lässt mich irgendwie doof dastehen – darüber bin ich betrübt und ein bisschen zerknirscht, aber gekürzt wurden die anderen ja auch, das war doch bei mir jetzt kein POLITIKUM, oder? Ich weiß doch aus Erfahrung, dass niemand „von außen/oben“ reinredet! Tja, und gerade das macht nachdenklich – und beunruhigt:

Vielleicht ist es (von meinem Fall mal ganz abgesehen) generell gar nicht mehr nötig, irgendwelche Direktiven zu lancieren, weil das Gewünschte eh passiert. Bzw. NICHT passiert. Weil alles Unliebsame und auch nur in Ansätzen Zweifelnde sofort rausfliegt aus der Berichterstattung. Als Folge von (für sich genommen) unschuldig anmutenden Einzelentscheidungen eigentlich guter Leute, die sich bloß der potentiellen Tragweite Ihres Handelns nicht mehr ausreichend gewahr sind. Weil Gespräche am Schneidetisch gern folgendermaßen verlaufen:

„Ui, kann man die Stelle jetzt etwa als einen Pro-Putin-Gag verstehen?“ – „Furchtbar, denken wir nur an die Menschenrechte und Doping und so, ganz heikel.“ – „Besser raus?“ – „Besser raus! Und nun verspottet er uns, die Öffentlich-Rechtlichen …“ – „… welche doch unerlässlich sind für unsere Demokratie. Das klingt nach Pegida! Vielleicht sollten wir ihn vor sich selbst schützen.“ – „Ja, gute Idee, also auch raus mit der Stelle!“ – „Jetzt fehlt aber der Übergang.“ – „Egal, wir legen einen Lacher drüber, versendet sich.“ – „Ok, dann lass uns mal `n Häppchen essen gehen.“

Läuft das wirklich schon so? Und wenn ja: Wie gehen wir damit um, wenn es keine zu verurteilenden, „anfassbaren“ Verantwortlichen mehr zu geben scheint, sondern wenn eine Bereinigung von Missliebigkeiten quasi von selbst passiert? Am liebsten hätte ich die NDR-Sendung einfach auf sich beruhen lassen – bis mir der Hinweis und die Frage eines Freundes tief zu denken gaben:

„Du wurdest da nicht bloß gekürzt, sondern komplett enteiert und vermainstreamt. Jede noch so kleine Spitze von dir, die man als ‚nicht-konform‘ bewerten könnte, wurde rigoros aus deinem Auftritt rausgeschnitten. JEDE! Sogar, wenn sie mitten in einer Erzählung als Nebensatz auftauchte. Ludger, wenn du deinen Guillotinen-Gag nicht über ZDF-Theveßen, sondern über AfD-Gauland gebracht hättest, meinst du, die hätten den dann auch rausgeschnitten?“ Oje. Nein, hätten sie nicht. Gauland einen Kopf kürzer machen, das wäre wohl ok gewesen und gesendet worden. Aber ein (hüstel) ehrbarer Mann vom Heute-Journal muss natürlich vor Attacken geschützt werden …

Ich habe mein Gastspiel in Hamburg mit einer eigenen Kamera komplett aufgezeichnet, dezent im Hintergrund. Das mache ich fast immer. Zur Sicherheit. (Beim Saarländischen Rundfunk vor drei Jahren habe ich das versäumt, grrrr.) Mein letzter Auftritt im Fernsehen (es wird sich zeigen, ob „letzter“ doppeldeutig zu verstehen ist) gibt auf jeden Fall zu denken. Zensur? Oder Schere nur mit Bravour? Was war das da in Hamburg beim NDR: ein „Nazi-Auftritt“?! Es tut mir leid, ich bin (doppelt) befangen und will dazu nichts mehr sagen, SIE dürfen entscheiden! Den folgenden Video-Mix sehe ich formal durch Zitatrecht und inhaltlich durch Satirefreiheit gedeckt, er müsste vor einer Löschung sicher sein – aber vielleicht sollten Sie bei Interesse mit dem Klicken doch besser nicht allzu lange warten … Die im Fernsehen gesendeten Stellen und diejenigen, die rausgeschnitten wurden, sind klar ersichtlich (und zusätzlich gekennzeichnet). Falls noch jemand klagen möchte: Bitte schicken Sie Ihre Blanko-Unterlassungserklärungen in doppelter Ausführung auf Büttenpapier direkt an TE. Kommt an! Danke Deutschland. Ich bin gespannt und schreibe jetzt weiter an meinem Buch.

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