Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 33-2018

Italiens Budget: Lackmustest für die Einhaltung der EU-Regeln

Angela Merkel spricht im Bundestag von „soliden öffentlichen Finanzen“ und „Selbstverantwortung jedes Mitgliedsstaats“: Sonntagsrede oder Appell an Italien?

© Getty Images

Wenige Stunden vor dem abendlichen EU-Gipfel, bei dem auch die Stärkung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf der Tagesordnung steht, wartete mancher am Mittwochnachmittag gespannt darauf, ob die deutsche Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung auch ein direktes Wort zum italienisches Budget-Entwurf verliert. Nach einem einleitenden Loblied auf den Euro – „Seien wir froh, dass wir mit dem Euro eine gemeinsame Währung haben“ -, das von den beiden Regierungsfraktionen begeistert beklatscht wurde, konnte man eine Passage ihrer Rede zumindest als indirekte Botschaft an Italien verstehen. Sie sprach von der Notwendigkeit solider öffentlicher Finanzen, sprach von den „zwei Seiten einer Medaille, die aus Verantwortung und Solidarität, aus Haftung und Kontrolle“ bestehen: „Jeder Staat ist zunächst selbst für sich verantwortlich!“

Zwar wird es beim EU-Gipfel keine Entscheidungen zur Stärkung des EU-Stabilitätsmechanismus oder zur Bankenunion geben, sondern nur einen Sachstandsbericht. Aber es ist kaum vorstellbar, dass der von Italien gerade vorgelegte Budget-Entwurf keine Rolle hinter verschlossenen Türen spielt. Nimmt man das Wort der Kanzlerin im Bundestag ernst, dann müsste sie der EU-Kommission und dem italienischen Regierungschef unmissverständlich klarmachen, dass Deutschland diesen eklatanten Verstoß gegen die vereinbarten Stabilitätsregeln nicht billigen wird. Doch zwischen Reden und Handeln besteht bekanntlich auf EU- wie nationaler Ebene oft ein gewaltiger Dissens.

Da es bestimmte Regularien gibt, wie die EU-Kommission mit den von allen Mitgliedsstaaten bis zum 15. Oktober vorzulegenden Haushaltsentwürfen umgeht, wird man spätestens bis Ende Oktober sehen, wieviel Druck auf Italien von der Kommission zu erwarten ist. Denn sollte die Kommission Verstöße gegen EU-Regeln geltend machen, dann muss sie das innerhalb von zwei Wochen, also spätestens bis Ende Oktober, gegenüber der italienischen Regierung erklären und diese auffordern, innerhalb von maximal drei Wochen einen überarbeiteten Haushaltsplan vorzulegen. Noch während ich diesen Text schreibe, kommt die Meldung, dass Brüssel Italiens Budget zurückweist. Man darf jetzt gespannt sein, welches Eskalationsdrama sich daraus entwickelt und wie kreativ Rom und Brüssel bis Ende November nach Lösungen suchen.

Für Italien wird es aber schon am 26. Oktober spannend. An diesem Tag werden die Rating-Agenturen Standard & Poors sowie Moodys ihre neuen Kredit-Ratings für das hochverschuldete Land abgeben. Außerdem ist auf diesen Tag die nächste Auktion italienischer Staatsanleihen terminiert. Ein Rating auf Ramsch-Status würde Italien zwingen, Investoren höhere Zinssätze zu bieten. Aktuell liegt die durchschnittliche Verzinsung italienischer Staatspapiere bei 3,21 Prozent. Schon bei diesem Wert wachsen die Kosten der italienischen Staatsverschuldung deutlich schneller als seine Wirtschaftsleistung. Die niederländische Robobank hat kürzlich öffentlich gemacht, dass sich das erst ändert, wenn die durchschnittliche Verzinsung auf 2,63 Prozent sinken würde. Man darf spekulieren, wie sich die europäischen Akteure in den Monaten vor der nächsten Europawahl im Zweifel positionieren werden. Eine Zuspitzung der Euro-Krise, gar einen Exit Italiens, werden sie nicht zulassen wollen. Also wird Mario Draghis EZB flankierend „What ever it takes“-Politik betreiben. Und die EU-Kommission wie die deutsche Regierung werden EU-Regeln wieder einmal beugen, wenn es ernst wird. Schon an den ersten Tagen nach dem Vorliegen des italienischen Budgetentwurfs war an den Finanzmärkten ein leichtes Aufatmen zu spüren. Denn die Renditen der italienischen Staatsanleihen sind gesunken. Die Märkte scheinen darauf zu spekulieren, dass Brüssel alle Augen zudrückt und die EZB als „lender of last resort“ wie gewohnt bei Fuß steht. Nach der schnellen Zurückweisung des Budgets durch die EU-Kommission, die der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger dem SPIEGEL heute Nachmittag bestätigte, ist allerdings eine neue Lage entstanden. Die Marktreaktionen der kommenden Tage und Wochen versprechen Spannung.

Das populistische italienische „Wohlfühlprogramm“

Ein paar Details will ich noch auflisten, die zeigen, wofür Italiens Regierung die massive Erhöhung seines Staatsdefizits auf 2,4 Prozent des BIP im kommenden Jahr verwenden will. Es wird, wie von Cinque Stelle seit Jahren gefordert, ein Grundeinkommen von 780 Euro im Monat geben, allerdings in abgespeckter Form für Menschen ohne Arbeit, Einkommen und Vermögen. Außerdem wird eine Mindestrente in gleicher Höhe eingeführt. Rund 6 Millionen Menschen sollen nach Angaben der Regierung davon profitieren. 7 Milliarden Euro sind dafür im ersten Jahr etatisiert. Experten erwarten deutlich höhere Ausgaben.

Ab Februar 2019 können die Italiener wieder früher in Ruhestand gehen. Die 2011 durchgeführte Rentenreform wird zumindest teilweise wieder rückgängig gemacht. Wer 62 Jahre alt ist und mindestens 38 Jahre lang Beiträge bezahlt hat, kann abschlagsfrei in Rente gehen. Damit wird das schlechte deutsche Vorbild der abschlagsfreien Rente mit 63 und 45 Versicherungsjahren noch deutlich getoppt. Bereits im nächsten Jahr soll diese Renteneintrittsalter-Absenkung 7 Milliarden Euro kosten. Mittel- und langfristig ist das italienische Rentenpaket der mit Abstand teuerste Teil der kreditfinanzierten Konsumorgie der neuen Regierung.

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