Gaaanz mutig war Joe Kaeser vor ein paar Monaten: „Lieber ‚Kopftuch-Mädchen‘ als ‚Bund Deutscher Mädels‘“, twitterte der Siemens-Konzernchef, nachdem die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel im Bundestag über importierte „Kopftuch-Mädchen und Messermänner“ geschimpft hatte. Kaeser, der eigentlich Josef heißt, sich aber schick „Joe“ nennt, wollte auch andere DAX-Chefs zu einer Anti-AfD-Kampagne mobilisieren, doch winkten die anderen Konzernlenker ab. Sie wollten sich politisch nicht zu sehr aus dem Fenster hängen.
Nun wird genau das Kaeser zum Verhängnis, seine vorgetragene Moral ist nämlich tief verlogen. Der Siemens-Chef, der sich im Inland so betont politisch korrekt gibt und nach den Chemnitz-Protesten gleich Deutschland beschädigt sah, hat keinerlei Probleme damit, mit ausländischen Autokraten und Potentaten Geschäfte zu machen. Etwa mit dem türkischen Quasi-Sultan Erdogan. Der Türkei will Siemens zehn neue Hochgeschwindigkeitszüge verkaufen, ein Auftrag mit dreistelligem Millionenvolumen.
Die Doppelmoral fängt inzwischen so zu stinken an, dass auch große Medien sie kritisieren. „Der mächtige Siemens-Chef, der gegen die AfD wettert und mit Erdogan arbeitet“, titelte die „Welt“. Auch mit dem ägyptischen Machthaber Abdel Fatah Al-Sisi, nur sehr eingeschränkt ein Demokrat, hat der 61-jährige Kaeser keinerlei Probleme. Dem verkaufte er Kraftwerke und ließ sich dann im Kreis von Militärs ehren, als er pünktlich lieferte.
Nun aber wird es besonders widerlich: Soeben haben sich die Hinweise verdichtet, dass die Saudis in ihrem Konsulat in Istanbul den kritischen Journalisten Jamal Kashoggi brutal ermordet haben (mutmaßlich bei einem „Verhör“ wurde er getötet). Während die Amerikaner nun auf Distanz zu Riad gehen, zucken auch immer mehr Wirtschaftsführer zurück, zu einer von der saudischen Herrscherfamilie organisierten Investorenkonferenz Ende Oktober nach Riad zu fahren. Die Liste der Absagen ist schon lang: Wall-Street-Größen wie Jamie Dimon (JP Morgan Chase), Steve Schwarzman (Blackstone) und Laurence Fink (Blackrock) haben als Redner abgesagt, die Chefs von Credit Suisse und HSBC kommen auch nicht mehr, obwohl ihre Banken Sponsoren der Konferenz sind.
Nur „Joe“ hält die Treue zum radikal-islamischen Saudi-Königshaus und seinen Ölmilliarden. Ein „Armutszeugnis“ sei das, kommentierte die FAZ. „Gerade der Siemens-Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser, der sich gerne als AfD-Gegner zur moralischen Instanz aufspielt, sollte sich anders verhalten, wenn er seine Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel setzen will. Mutig ist es nicht, eine von Medien beklatschte, populäre Position zu beziehen. Mutig ist es, auch dann Haltung zu zeigen, wenn das kurzfristig Geld kosten kann.“ Glaubwürdigkeit, Geld kosten? Eher lautet Kaesers Motto „Geld stinkt nicht“.
Der Siemenskonzern macht seit dem Verkauf der Handy-Sparte keine Geschäfte mehr mit Privatleuten, nur noch mit Regierungen und (staatsnahen) Konzernen, die seine Züge, Kraftwerke und Turbinen kaufen. Einfachen Bürgern muss der Siemens-Chef nicht mehr gefallen. Deshalb kann er es sich auch erlauben, die 17 Prozent der Bevölkerung, die laut derzeitigen Umfragen AfD wählen wollen, vor den Kopf zu stoßen (die anderen Dax-Konzerne wollen nicht Millionen potentielle Kunden vergraulen und sind daher eher zurückhaltend).
Für Kaeser ist dagegen vor allem wichtig, dass das Kanzleramt ihm applaudiert. Mutti Merkel findet es bestimmt gut, wenn er die rechte Oppositionspartei anrempelt.
Und mit den Saudis hat sich ja auch Berlin lange ganz gut verstanden. Deutschland ist ein großer Waffenlieferant für das wahhabitische Golf-Königreich, das im Gegenzug mit dreistelligen Millionenbeträgen seine Version eines besonders rückständigen, radikalen Islams auch nach Europa exportiert und hier fleißig Moscheen baut und unterstützt.
Robert Mühlbauer