Fragt man den hessischen Landtagsabgeordneten Ismail Tipi, was er meint, was seine typischen Eigenschaften als Hesse sind, erzählt er über sich und seine Landsleute, der Hesse sei freundlich, er sei weltoffen, gastlich und zudem noch liberal eingestellt: „Hessen ist ein Land der Luftfahrt mit Frankfurt als Weltflughafen, so etwas prägt die Menschen hier und das hat dazu geführt, dass heute auch viele Menschen mit Migrationshintergrund in Hessen gut leben können.“
Für den im türkischen Izmir geborenen Ismail Tipi ist Hessen sein Zuhause und Deutschland seine Heimat. Wer sich mit dem 59-jährigen unterhält, der merkt schnell, das ist nicht nur so dahingesagt, da brennt einer für sein Land, man könnte sogar, ohne ihm zu nahe zu treten, von einer großen Schwärmerei sprechen. Nun ist Schwärmen für Deutschland schon lange keine einfache Sache mehr. Aber um irgendwelche schmeichelnden Liebesbekundungen geht es ihm auch nicht.
Der CDU-Politiker ist der erste türkischstämmige Landtagsabgeordnete der CDU in Hessen. Zuletzt gewann er sein Direktmandat im Wahlkreis Offenbach Land II mit 46,1 Prozent der Wählerstimmen. In den letzten Wochen vor der Neuwahl steht Tipi da, wo sich viele Landtagsabgeordnete jetzt gerne aufstellen: Auf der Straße bei den Leuten. Aber Tipi kommt nicht nach dem späten Frühstück um sich als Abgeordneter für ein Stündchen dem Volk zu zeigen, er steht schon um 05:30 Uhr beispielsweise vor dem S-Bahnhof Heusenstamm: Da wird dann nicht lange geredet oder debattiert, sondern zunächst einmal Präsenz gezeigt und mit auf den Weg gegeben, was um diese frühe Zeit Politikern gerne abgenommen wird: heißer Kaffee und ein Schokoriegel für die notwendige Energie für den langen Tag.
Auch wenn es mit gutem Gewissen möglich wäre, so soll das hier keine Werbeplattform für einen Journalisten-Kollegen sein. Viel spannender ist es sowieso, über diesen Mann und was ihn besonders antreibt, zu erzählen – zu berichten, was dahinter steckt, wenn der Landtagsabgeordnete von einer „tiefen Dankbarkeit“ spricht, die er seinem Land gegenüber empfände und die ihm immer wieder Energie gibt, auch als Mahner aufzutreten. Eine Dankbarkeit, die jenen, die schon länger hier leben, schon deshalb unangenehm sein könnte, weil mit dieser Dankbarkeit ein Bekenntnis Tipis zu seinem Deutschland verbunden ist, das vielen seiner Landsleute schwer fällt, überhaupt zu äußern, geschweige denn öffentlich. Allenfalls bricht es sich heute noch Bahn, wenn die Deutsche Fußballnationalmannschaft gewinnt. Also wenn …
Tipis Stimme wird wärmer, fast schon brüchig, wenn er uns die folgende Geschichte aus seiner Schulzeit in Deutschland erzählt, wenn er von einem frühen Moment von großer Scham berichtet, der sich aber positiv aufgelöst hatte für den kleinen Ismail, als der noch kein Wort deutsch sprach. Auf die Scham folgte ein Schwur. Und das kam so: Die Schulklasse sollte einen Aufsatz schreiben. In Ermanglung der entsprechenden Sprachkenntnisse hatte Tipi so sauber wie es ihm nur möglich war, versucht, wenigstens die drei Themenvorschläge von der Tafel abzuschreiben – oder besser abzumalen, denn deutsch schreiben konnte er ja noch nicht.
Eine Anstrengung, ein großer Aufwand. Und so musste Ismail einen ansonsten fast leeren Zettel abgeben. Was dann folgte, nennt der Journalist und Politiker heute den „Schlüsselmoment meiner Migrationsgeschichte“, als die Lehrerin ihm trotzdem die Note eins gab, zum einen wohl, weil sie erkannte, dass der Kleine alles ihm mögliche versucht hatte und dann auch als Vorschuss und Motivation.
Die Lehrerin wird sich in dem Moment wohl kaum träumen lassen haben, wie erfolgreich sie damit sein würde: Ismail Tipi legte für sich noch am selben Tag einen stillen Eid ab: „Ich werde mehr arbeiten, ich werde fleißiger sein als jeder andere.“ Und er erzählt im Interview über fünfundvierzig Jahre später: „Diesem Schwur bin ich bis heute treu geblieben.“ Aber ist das eigentlich noch typisch deutsch? Wahrscheinlich ist es schon wieder deutscher als deutsch.
Nachteile aufgrund seines nicht typisch deutsch klingenden Namens will Ismail Tipi nie erlebt haben. So etwas sei doch überholt. „Der Klang des Namens zählt schon lange nicht mehr. In Deutschland wird nach Leistung geschaut und beispielsweise danach, ob jemand Leerlauf in seinem Lebenslauf hat.“
Und dann zählt er sie auf, die Erfolgsgeschichten von Migranten und ihrer Nachfahren in Deutschland, erinnert an jene, die heute Rechtsanwälte sind und fordert weiter dazu auf, einmal in ein Krankenhaus zu gehen und sich die vielen dort Tätigen mit Migrationshintergrund anzuschauen, die Ärzte, die Krankenschwestern und die Pfleger. Oder in Banken zu gehen und in die Chefetagen der deutschen Fabriken.
Auch wenn es Ismail Tipi nicht so nennen will, wenn er es für sich für selbstverständlich halten mag, so wirkt es doch im positiven Sinne wie eine Mission, wenn er alle – und hier meint er wirklich „alle“ – jungen Leute aufruft, in Deutschland Teilhabe anzumelden an der Gesellschaft, sich mit allem, was sie anzubieten haben, einzubringen für diese ihre Gesellschaft.
Seine Mutter war Analphabetin. Auch das erzählt er ohne Scheu. Deshalb vielleicht auch, weil er weiter berichten kann, dass seine Mutter sich neben ihre Kinder zu den Schularbeiten gesetzt hat und so alles mitgelernt hätte, Buchstabe für Buchstabe: Die Sprache, das Lesen der Schrift und das Schreiben.
Nun ist der eigentliche Anlass für dieses Gespräch aber alles andere, als nur aus dem Wunsch geboren, den hessischen Landtagsabgeordneten mit der interessanten Herkunftsgeschichte näher kennen zu lernen und die eine oder andere zu Herzen gehende Anekdote mitzunehmen. Nein, der Grund ist ein düsterer: Ismail Tipi wird zunehmend auf der Straße und in den sozialen Netzwerken beleidigt, beschimpft und bedroht. Von einer bestimmten Minderheit unter den Migranten. So wurden schon mehrere Salafisten von ihm angezeigt, einer wurde bereits verurteilt.
Ist die Polizei zu langsam und zu unaufmerksam? Nein, auf den Staatsschutz, auf die Sicherheitsbehörden lässt Tipi nichts kommen. Die wären von Anfang an engagiert damit befasst, „Ich wurde mehrfach beraten und werde es noch, es gab und gibt Hausbesuche, Hausabsicherungen, Verhaltensschulungen, Polizeischutzangebote und vieles mehr, dafür und für vieles mehr möchte ich mich ausdrücklich bedanken.“
Ismail Tipis Wahlplakate wurde gerade gezielt beschmiert mit Begriffen, die für die allermeisten Hessen kaum zu dechiffrieren sind aber für Radikalislamisten, für Fundamentalisten und für Salafisten den Charakter einer Botschaft bekommen: Dann, wenn über seine Plakate Begriffe wie „Kafir“ gesprüht werden, die ihn als Ungläubigen der untersten Kategorie brandmarken, die ihn, so Tipi, „vogelfrei“ stellen samt schwarzer Übermalung der Augen, die so den Tod als quasi gerechte Strafe für diesen Unglauben markieren sollen. Dies alles sind die täglichen Begleiter und Sorgen Tipis.
Auf unsere Bitte hin, die Bedrohungslage noch einmal konkret zusammen zu fassen, wird der Landtagsabgeordnete noch deutlicher: Die Beleidigungen und Beschimpfungen wären zum Teil unterste Schublade. „Morddrohungen kommen sogar zum Teil per Post. In der Gesinnung der Radikalislamisten ist die Abstempelung „Kafir“ oder „Kuffar“ das schlimmste, was man einem Menschen zuschreiben kann, denn ein „Kafir“ hat im Verständnis der Islamisten kein Existenzrecht. Diese Brandmarkung wird von manchen Radikalislamisten und Dschihadisten auch als ein Auftrag angenommen, diesen als „Kafir“ abgestempelten Menschen zu töten. Das ist eigentlich die große Gefahr bei solchen Aktionen, weil manche radikale Islamisten das auch als Auftrag verstehen könnten.“, umschreibt Tipi diese für ihn elementare Gefahrenlage.
Und dann fügt er beinahe trotzig und mit durchgedrücktem Rückgrat hinzu: „Aber diese Extremisten, Demokratie- und Menschenfeinde kennen mich nicht. Ich habe in der Regel keinen Rückwärtsgang. Auch schlimmste Drohungen würden mich davon auch in Zukunft nicht abhalten, den demokratisch rechtsstaatlichen Kampf gegen den Dschihad zu führen. Ich lasse mich von denen nicht mundtot machen und werde solange demokratisch kämpfen, bis diese größte Bedrohung für unsere Gesellschaft und innere Sicherheit, bundesweit erkannt, Salafismus und Radikalislam in Deutschland verboten wird und alle Hassprediger und Gefährder vor den Augen der Gemeinde von der Kanzel geholt, festgenommen und abgeschoben werden.“
Und er kann benennen, was damit gemeint ist, wenn er erzählt, wie seine Landtagsfraktion heute hinter ihm steht. Das sein Anliegen längst auch das Anliegen seiner Mitstreiter geworden ist: „Vor ein paar Jahre war ich noch so etwas wie der Rufer in der Wüste. Heute hat meine Fraktion diese Problematik erkannt und zur Chefsache gemacht. Denken sie nur an unseren hammerharten Innenminister! Hessen ist hier sogar zum Vorreiter von Bundesentscheidungen geworden.“
Für Tipi ist dieses Hessen sogar eine Art Leuchtturm in Sachen Law & Order. Allerdings sei man damit im Wahlkampf nicht wirklich hausieren gegangen. Die mittlerweile hohe Personalstärke von Polizei und Verfassungsschutz sei nicht extra kommuniziert worden. „Die Leute hier“, so Tipi, „spüren das schon ganz genau. Diesen Mehrwert an Sicherheit und Sicherheitsgefühl müssen wir nicht extra ausloben, er ist bei den Menschen angekommen.“
Und dann kommt Ismail Tipi in diesem ausführlichen Gespräch an diesem sommerlich warmen Oktobertag doch wieder zu dem Punkt zurück, wo es ihn ganz besonders bewegt, wo der fast Sechzigjährige gar nicht mehr so unbedingt vermittelnd wirken mag oder gar Kompromissbereitschaft ausstrahlen will, wenn er auf die kommenden Weihnachtsmärkte bezogen sagt: „Wir dürfen uns nicht hinter diesen Betonpollern verstecken, sondern wir müssen hingegen all diejenigen bekämpfen, die daran schuld sind, dass wir sie aufstellen mussten.“
Mit eindrucksvoller Bestimmtheit und großer Intensität fordert der hessische Landtagsabgeordnete Ismail Tipi: „Wir müssen handeln, sonst werden wir behandelt.“
Ismail Tipi war vor seinem Landtagsmandat dreißig Jahre lang hauptberuflich Journalist – davon 27 Jahre bei der Hürriyet. Schon als Journalist hatte er Mitte der 80er Jahre über den schleichenden Radikalislam in Deutschland und Europa berichtet. In Deutschland war insbesonders die Kaplan-Bewegung für Tipi immer wieder ein Grund, auf die islamistischen Tendenzen und die drohende Gefahr in Deutschland öffentlich hinzuweisen. Auch als Journalist wurde er in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder von Mitgliedern der islamistischen, salafistischen, dschihadistischen Bewegungen beleidigt, beschimpft oder auch bedroht.
Tipis Forderungen gefallen den Islamisten als solche nicht und sind der Grund, weshalb sie ihn als „Kafir“ darstellen. Hinzu kommt, dass er Mitglied und Abgeordneter der „Christlich Demokratische Union“ ist. Auch das ist für manche Islamisten Anlass, ihn als „Kafir“ zu beschimpfen.
Hier im Anschluss sollen die politischen Forderungen von Ismail Tipi noch einmal zusammengefasst abgebildet werden:
- Die Prüfung und Durchführung von Vereinsverboten. Radikalislamistische und salafistische Vereine und Vereinigungen müssen verboten, geschlossen und die Verantwortlichen müssen juristisch zur Rechenschaft gezogen werden.
- Die Schließung salafistischer Zentren und Hinterhofmoscheen der Fundamentalisten.
- Eine schnellere und härtere Verurteilung von radikalen Salafisten durch die deutschen Gerichte.
- Die direkte Abschiebung und rechtsstaatliche Verfolgung ausländischer Hassprediger und islamistischer Gefährder.
- Ein Kopftuchverbot für junge Mädchen in Grundschulen.
- Ein Verbot der Vollverschleierung.
- Ein Verbot von Kinderehen.
- Die Ermöglichung, dass jugendliche Gefährder unter 16 Jahren von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet werden können.
- Die Entziehung der Kinder dschihadistisch gesinnter Familien.
- Die Beobachtung aller Rückkehrer, die für den IS oder andere radikalislamistische Organisationen im Ausland gekämpft haben oder sich haben ausbilden lassen.
- Die steuer- und strafrechtliche Verfolgung von bekannten Hasspredigern wie Pierre Vogel und Co.
- Die Einsetzung einer Task-Force zur Löschung salafistischer Internetauftritte und zur Verfolgung der Salafisten in diesen Netzwerken.
- Die Verstärkung der Präventionsarbeit durch Kurse und Aufklärungsunterricht in allen Schulen und in der Gesellschaft, um vor den Gefahren des extremistischen Salafismus zu warnen.