Was Unternehmen der Exportwirtschaft brauchen, sind Wegfall von Zollschranken und verlässliche Rahmenbedingungen, keine quotenwirksamen Lamentos selbsternannter Bedenkenträger.
Eigentlich braucht man sich bei Talksendungen des deutschen Fernsehens nur die Ankündigungen anschauen um zu wissen, dass man am Ende nicht mehr wissen wird. „Streitfall Freihandelsabkommen – Chlorhühnchen für Verbraucher, Profite für Konzerne?“, wollte beispielsweise kürzlich Anne Will wissen. Dergleichen nennt man suggestive Fragestellung. Antworten bereits vorgegeben – und serviert mit eben jener Dosis Antikapitalismus, wie sie eben neuerdings nicht nur in der mit Zwangsgebühren finanzierten Schickeria des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Einstellungsvoraussetzung ist.
Nun haben sich an Hühnchen schon Männer die Zähne ausgebissen, deren Namen wir heute ehrfürchtig im Geschichtsbuch lesen. Historische Giganten wie Konrad Adenauer, Charles de Gaulle und John F. Kennedy scheiterten bereits an der Frage, ob und wie das Geflügel ohne Zollschranken tiefgekühlt den Atlantik überqueren dürfe. Die Protokolle zum Élysée-Vertrag, als deutsch-französisches Freundschaftsabkommen einer der Grundpfeiler der EU, dokumentieren umfangreiche und knochenharte Auseinandersetzungen zur Hühnchen-Importfrage. Der europäisch-amerikanische Freihandel scheiterte damals daran.
Seither ist die Welt größer und bunter geworden. Aber dass die Amerikaner ihre Hühnchen zum Abtöten lebensgefährlicher Salmonellen in Chlor tunken, gilt neuerdings in Europa als Verbrechen am Verbraucher. Neu dazugekommen sind Risiken, die Europäer anfallen, sollten sie zu Hause genmodifizierten Mais essen, der ihnen beim USA-Urlaub so schmeckt.
Die andere Seite ist nicht weniger pingelig. Europas Autos müssen wegen Italiens verwinkelter Gassen die Außenspiegel einklappen können – was im Land der unendlichen Prärie unnötig ist. In den USA darf der Blinker am Heck rot, in Europa muss er gelb sein. Und Rohmilchkäse gilt dort als so gefährlich wie hierzulande hormonbehandelter Schinken. Was ist denn (un-)gefährlicher – Rohmilchkäse als Bakterienschleuder oder Chlorhühnchen ohne Salmonellen? Geht es vielleicht nur darum, eingefahrene Gewohnheiten auf den Prüfstand zu stellen und auch mal Erkenntnisgewinn im Kühlregal und am Auto zuzulassen?
Nicht nur einzelne Wirtschaftsinteressen machen gegen das Freihandelsabkommen mobil, um ihre Marktstellung gegen transatlantische Wettbewerber zu schützen – auch viele selbst ermächtigte Verbände, Verbraucherschützer und NGOs haben bereits Hunderttausende Unterschriften gesammelt. Der alte Antiamerikanismus ist eben immer wieder für Erregungszustände und spendenwirksame Aufritte in Talkshows nutzbar. Dass Freihandel möglicherweise zu vergleichbaren vermeintlichen Zumutungen hüben wie drüben führt – im antiamerikanischen, antikapitalistischen Furor geht das unter.
Dabei wären gerade die Deutschen sogar die Nutznießer des Freihandels: Als Exportnation beweisen wir täglich, dass wir nichts mehr fürchten müssen außer willkürlichen Zollschranken. Auch das im Rahmen des Freihandelsabkommens vorgesehene Schiedsgerichtsverfahren zum Schutz von Investitionen vor willkürlichen Gesetzesänderungen sichert die Deutschen und ihre Direktinvestitionen von sagenhaften 1,196 Billionen Euro rund um den Globus gegen den Zugriff gieriger und sprunghafter Politiker ab. Über 130 Investitionsschutzabkommen, die deutsche Unternehmen gegen die Einflussnahme von Kleptokratien in aller Herren Ländern absichern, gibt es – neuerdings sollen sie Teufelszeug sein.
In Deutschland scheint man vergessen zu haben, dass Investitionen, die auf Jahrzehnte angelegt sind, vor dem willkürlichen Zugriff der Politik geschützt werden müssen, weil Investoren vor allem eines brauchen: langfristig stabile Rahmenbedingungen. Die deutsche Energiepolitik beispielsweise hat mittlerweile das Verlässlichkeitsniveau der Politik von Simbabwe. Und was an freiwilligen Schiedsgerichten eigentlich so gefährlich sein soll, wurde noch nirgends nachvollziehbar begründet. Wo sonst sollen komplexe technische Fragen verhandelt werden? Wer exportieren will, kann etwaige Streitfragen vor Expertenrunden fairer und zügiger klären als vor in der Sache überforderten Zuständigkeitsgerichten hüben wie drüben.
Neben den instrumentalisierten Anti-Haltungen ist es etwas ganz anderes, was die Freihandelsgegner umtreibt: Sie fürchten – zu Recht – dass dadurch die lästige und überflüssige, in der Summe schädliche Regelungswut auf den Prüfstand käme, die mal Glühbirnen und Staubsaugermotoren, mal Desinfektionsmittel oder Autospiegel zwangsnormiert.
Der britische Historiker Niall Ferguson macht in seinem Buch „Krieg der Welt – Was ging schief im 20. Jahrhundert?“ deutlich: Um das Jahr 1900 war die Welt so offen, so globalisiert und so vernetzt, wie sie erst jüngst erneut geworden ist. In der Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg wurden all überall Schutzzölle, Überregulierung, Besteuerung und Defizitfinanzierung eingeführt. Die Folge: Der Wohlstand der Welt schrumpfte nur umso schneller, die innenpolitischen Krisen verschärften sich bis zur bekannten Katastrophe. Noch am besten kam das britische Empire davon, weil es in sich eine riesige Freihandelszone war. Am ärgsten traf die Krise kleinere, auf sich zurückgeworfene Binnenwirtschaften wie Deutschland und Italien – die dann den Raubzug nach Lebensraum antraten.
Freiheit ist eben auch immer Handlungsfreiheit – und Öffnung der Märkte wohlstandssteigernd. Aber im deutschen Fernsehen nährt sich der Wohlstand ja aus Gebühren und Vorurteilen.
Erschienen am 23.5.2014 in Der Hauptstadtbrief