Die Gemüter sind nach dem Kavanaugh-Fall noch nicht beruhigt, da steht der nächste Vergewaltigungsvorwurf auf den Frontseiten; die Schlinge liegt jetzt um Cristiano Ronaldos Hals.
Während dem Star-Richter sexuelle Übergriffe vorgeworfen wurden, die 36 Jahre zurückliegen und die nicht durch Beweise erhärtet werden konnten, soll der Star-Kicker vor neun Jahren eine Frau in einem Hotelzimmer in Las Vegas vergewaltigt haben. Gemäss dem „Spiegel“ hat Kathryn Mayorga den Übergriff damals der Polizei gemeldet, ohne den Namen des Täters zu nennen, später soll sie von Ronaldo 375.000 Dollar Schweigegeld akzeptiert haben. Jetzt hat sie eine Zivilklage eingereicht und fordert Schadensersatz für „psychische Schäden“. Laut Ronaldo ist der Sex einvernehmlich gewesen.
Wem soll man glauben? Die bissige Frage stellt sich jedes Mal aufs Neue, wenn uns, praktisch im Wochentakt, Meldungen erreichen, in denen Frauen prominenten Männern sexuelle Übergriffe vorwerfen. Für mich persönlich ist es nur schwer möglich, ein Schloss um die Emotionalität zu legen und die Anschuldigungen rein sachlich zu bewerten.
Vermutlich sind die meisten Menschen in diesen Glaubensfragen hin- und hergerissen. Meine Gedanken verhalten sich stets gleich – und in der Reihenfolge: „Warum kommt sie damit erst jetzt?“, „Luder“ (bei Geldforderungen), später „das kann sie unmöglich erfunden haben“, „falls wahr, wäre es schrecklich“, dann: „Die Beweise vor Gericht werden es klären.“
Ohne Beweise steht Aussage gegen Aussage. Jahre später kann diese Patt-Situation ‚er sagt, sie sagt‘ zum Nachteil des Opfers geraten. Dennoch: In unserem Rechtsstaat ist jemand erst dann schuldig, wenn seine Schuld bewiesen und dadurch die Wahrheit bestätigt ist. Sonst könnte jeder alles behaupten und wir bräuchten keine ordentlichen Gerichtsverfahren mehr – und viele Damen würden sehr schnell sehr reich werden (ja, dafür können Sie mich jetzt mit faulen Tomaten bewerfen).
Für viele scheint das Rechtsstaatsprinzip heute keine Gültigkeit mehr zu haben. Einerseits liegt es daran, dass ja meistens fremde Menschen von so einem Vorwurf betroffen sind – wäre der eigene Vater, Ehemann oder Bruder der Vergewaltigung beschuldigt, würde sich so mancher bestimmt wieder im Eiltempo für das „Im Zweifel für den Angeklagten“ entscheiden. Andererseits sind es gerade Bewegungen wie #MeToo, die Vorverurteilungen aufgrund reiner Behauptungen befeuern. Wäre es bei Kavanaugh möglich gewesen, seine Karriere aufgrund von unbewiesenen, 36 Jahre alten Vorwürfen zu zerstören, hätte das nicht nur völlig neue Möglichkeiten im Kampf gegen politische Gegner eröffnet, sondern auch im Geschlechterkampf ganz allgemein.
Anschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs müssen ernst genommen werden. Und da hat die #MeToo-Bewegung vielleicht, trotz ihrer Makel, ein Stück weit dazu beigetragen, dass Opfer von tatsächlichem Missbrauch heute mehr Gehör finden. Christine Blasey Ford oder Kathryn Mayorga auch ohne Fakten zu glauben ist völlig legitim. Es liegt in der Natur der Menschen, dass wir geneigt sind Dinge zu glauben, die uns als sehr wahrscheinlich erscheinen – oder einfach, weil wir sie glauben wollen. Gerade beim Vorwurf der Vergewaltigung sind wir rasch von emotionsgeladener Parteilichkeit ergriffen.
Ich denke aber, dass man die Parteinahme, ähnlich wie den Schmerz, auch in eine Kiste wegsperren kann, zumindest vorübergehend. Es ist möglich, dem Opfer zuzuhören und es ernst zu nehmen und gleichzeitig auf Beweisen zu beharren oder diese abzuwarten, und dem Angeschuldigten eine faire Chance zur Verteidigung zu geben – bevor man sich in Medien oder sozialen Medien in routinierter Manier zum Scharfrichter erhebt. Anteilnahme und Zweifel schliessen sich nicht per se aus. Und dafür muss man im Übrigen für die Beschuldigten nicht einmal besondere Sympathien hegen.
Wenn uns Kavanaugh und Ronaldo etwas lehren, dann das: Wer einen sexuellen Übergriff erlebt hat, sollte sich, wenn immer möglich durchringen und sofort zur Polizei gehen. Egal, wie schwierig es in dem Moment ist, später wird alles noch viel schwieriger.