Bundeskanzler Helmut Schmidt schlägt in der WirtschaftsWoche einen weiten Bogen über die Siebzigerjahre bis in die Gegenwart: Den Zusammenbruch des damaligen Währungssystems fester Wechselkurse benennt er als die eigentliche Ursache für die Finanzkrise, an deren Folgen wir noch immer laborieren. Und als Jubiläumsgeschenk für Sie hat er eine Rede mitgebracht, die er 1975 vor dem Parteivorstand der SPD gehalten hat: Über die Folgen des demografischen Wandels, das Versagen staatlicher Banken wie WestLB und Nord/LB, drohende Milliardenzahlungen Deutschlands an Italien, weil die italienischen Staatsanleihen gestützt werden sollten – das klingt so aktuell wie eine Themenkonferenz heute und ist doch schon 40 Jahre alt. Mit diesem Interview beginnt eine Serie, mit der wir 40 Jahre WirtschaftsWoche feiern wollen. 1970 erschien unser Blatt in Frankfurt erstmals unter diesem Titel und im Magazinformat. Für Gerd Bucerius, der auch die Wochenzeitung „Die Zeit“ verlegte, war das der Beginn eines großen Erfolgs: Die Auflage stieg von zunächst 25.000 auf 77.000 Exemplare. Der neue Titel führte die Tradition seines berühmten Vorgängers fort: 1926 hatte Gustav Stolper in Berlin ein liberales Wirtschaftsblatt gegründet und es „Der deutsche Volkswirt“ genannt. Den Namen Stolpers trägt heute noch einer der wichtigsten deutschen Preise der Wirtschaftswissenschaften.
Es war eine schicksalhafte Zeit: Acht Monate später, im Mai 1927, war der „Schwarze Freitag“ an der Berliner Börse Auslöser für die Weltwirtschaftskrise, die wiederum den Nährboden für politischen Radikalismus bildete. Adolf Hitler hat kurz zuvor sein antisemitisches und antiliberales Pamphlet „Mein Kampf“ veröffentlicht.
Auf den Seiten des „Volkswirts“ kämpften Männer wie Joseph Schumpeter, der als Wissenschaftler den noch heute geläufigen Begriff von der „Kraft der schöpferischen Zerstörung“ prägte. Auch der spätere erste deutsche Bundespräsident Theodor Heuss und der Widerstandskämpfer Helmuth James Graf von Moltke schrieben für den „Volkswirt“.
1943 wurde die freiheitliche Stimme dem Parteiblatt „Wirtschaftsdienst“ untergeordnet, nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 der frühere Mitherausgeber Franz Reuter von der Gestapo verhaftet und im KZ Sachsenhausen eingesperrt. Mutige Männer waren geschlagen, der „Volkswirt“ schien damit begraben.
Aber schon ab 1950 veröffentlichte der „Volkswirt“ wieder umfassende Wirtschaftsanalysen und galt in der noch jungen Bundesrepublik als die Stimme der wirtschaftlichen Vernunft. In den Sechzigerjahren schließlich war einer der prägenden Journalisten des Blatts Karl Otto Pöhl – ab 1980 Präsident der Deutschen Bundesbank. Weil er deren Unabhängigkeit bedroht sah, trat Pöhl 1991 aus Protest vom Amt zurück.
Verlegerisch übernahm 1975 Dieter von Holtzbrinck die WirtschaftsWoche, die kurz zuvor nach Düsseldorf gezogen war. Unter seiner Ägide und mit großem Engagement stieg die Auflage bald auf 100 000 Exemplare. Publizistisch gab Wolfram Engels dem Magazin eine marktwirtschaftliche Stimme, ein studierter Wirtschaftswissenschaftler und Urenkel von Friedrich Engels, zusammen mit Karl Marx Verfasser des „Kommunistischen Manifests“.
Heute ist die WirtschaftsWoche mit einer Auflage von über 175.000 Heften und fast 1,1 Millionen Lesern das führende deutsche Wirtschaftsmagazin. Für die Redaktion ist die Geschichte Verpflichtung zu freiheitlichem, ordnungspolitischem Denken. Das macht die WirtschaftsWoche bei Regierungen aller Couleur unbeliebt. Das ist gut so, so soll es bleiben.
(Erschienen am 11.09.2010 auf Wiwo.de)